Menschen & Gemeinschaft

Reportage

Sie stehen füreinander ein: das Tandem Caroline Zimmermann (links) und Julia Klanke.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Führen mit Vertrauen

Text Vera Schankath – Fotos Anna-Kristina Bauer und Martin Pötter

Noch ist es Neuland: Teams im Tandem zu führen, also mit zwei Teilzeitstellen, bietet enorme Vorteile für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmen und Gesellschaft.

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Caroline Zimmermann verabschiedet sich am Dienstagmorgen von Kind und Hund, dann hat sie Zeit für ihr Team.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Was für ein Zusammenspiel. Sie wiederholen nicht, was die andere sagt, stimmen nicht zu, lehnen nicht ab. Nicht mit Gesten, nicht mit Worten. Sie kommentieren einander nicht. Sie lassen stehen. Was eine sagt, gilt. Entscheidungen mittragen das ist der Schlüssel. So interagiert das Duo effizient und unglaublich angenehm. Caroline Zimmermann und Julia Klanke führen ein elfköpfiges Team im Produktmanagement des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Als Jobtandem sind sie gleichberechtigt in der Verantwortung. Jede arbeitet sechzig Prozent.

Zimmermann, 37, Pharmazeutin, und Klanke, 39, biomedizinische Chemikerin, stiegen gemeinsam auf, während sie in Elternzeit waren. Ihr Vorgesetzter Philip Huber hatte beiden unabhängig voneinander dieselbe Führungsposition angeboten. Klanke und Zimmermann kannten einander: „Wir wussten, wie gut wir zusammen funktionieren“, sagt Zimmermann. Die Frauen stimmten sich ab und präsentierten Huber ihre Idee: „Willst du nicht uns beide als Tandem?“ Das sei erst einmal „Denksprit für den Chef“ gewesen. Aber Huber setzt auf innovatives Arbeiten. Er gibt beiden Frauen Rückendeckung und Freiheiten.

Das Führungstandem teilt sich produktspezifisch auf. „Effizienz heißt, so wenig wie möglich zu doppeln“, sagt Klanke. Beide nutzen zehn Prozent ihrer Arbeitszeit für Überschneidungen. Das war’s. Lediglich Jours fixes mit Huber, Teamleitungen und dem Team nehmen sie gemeinsam wahr. Beide sind dienstags im Büro, arbeiten täglich bis 15 Uhr, sind theoretisch auch danach erreichbar. „Das nutzt selten jemand, denn wir sind vorher gut abgestimmt“, berichtet Klanke.

Neue Arbeitswelt: Führungsposition im Doppelpack

Tandems steigern Produktivität

„Mein Hauptgrund für das Tandem ist Julia“, sagt Zimmermann. „Wir hatten Lust auf das Modell und eine realistische Einschätzung.“ Das sei wichtig. Genauso wie eine Unternehmenskultur, in der man gut miteinander umgehe. Loyalität sei wesentlich für neue ­Führungsmodelle.

„Tempo ist elementar. Darin sind wir gut. Denn eine kann für beide entscheiden. Weil wir wissen, was der anderen wichtig ist, müssen wir das nicht infrage stellen“, benennt Zimmermann den Kern ihrer Zusammenarbeit. „Wir arbeiten mit dem Erreichten der anderen weiter. So steigern wir Produktivität. Das Tandem ist in allen Punkten ein Gewinn: Wir sind stärker gemeinsam, beflügeln uns gegenseitig und kommen schneller weiter.“ Jede hat dank der anderen Raum für Sonderthemen, Klanke zum Beispiel im Bereich künstliche Intelligenz. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.

Sparringspartnerinnen: Caroline Zimmermann und Julia Klanke doppeln sich so wenig wie möglich.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Dank Jobtandem hat Julia Klanke mehr Zeit für ihre Familie.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Sparringspartnerinnen: Caroline Zimmermann und Julia Klanke doppeln sich so wenig wie möglich.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Denise Hottmann, Head of Diversity, Equity and Inclusion Germany bei Boehringer Ingelheim oder, wie sie sagt, Vielfaltsmanagerin, sieht Führungstandems als wichtige Lösung, um die unterschiedlichen Anforderungen verschiedener Lebensphasen zu überbrücken. Rahmenbedingungen hat der Pharmariese gemeinsam mit den Betriebsratsgremien längst geschaffen, 2017 die Charta der Vielfalt, mit der sich Unternehmen zu Diversität in der Arbeitswelt bekennen, unterzeichnet und seit 2015 einen Plan für mehr Frauen in Führung. „Unsere Teilzeit- und Tandemmodelle stehen allen Mitarbeitenden offen“, betont Hottmann. Die meisten Führungskräfte reduzierten befristet. Einzelführung benötige vollzeitnahe Präsenz. Sechzig Prozent hingegen sei für Tandems die beste Option. Zur Einordnung: Bei Boehringer Ingelheim in Deutschland arbeiten sieben Prozent der gut 2.500 Führungskräfte in Teilzeit; 21 Prozent von ihnen sind Männer. Tandems sind nicht extra erfasst.

Deren Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand. Talente kommen und bleiben dank Entwicklungsoptionen in allen ­Lebensphasen, und es gibt nahezu keine Ausfälle, denn Urlaubs- und Krankenzeiten sind abgedeckt. Zufriedenheit und Gesundheit der oder des Einzelnen kommt allen zugute. Aber das Potenzial der Tandems geht weit darüber hinaus.

Wir sind stärker gemeinsam.

Caroline Zimmermann,
Teamleiterin bei Boehringer Ingelheim

Dienstags trifft sich das Führungsduo im Büro mit Team und Vorgesetzten.

Foto: Anna-Kristina Bauer

Frauen ebnen Wege

Anteilig zu führen und sich in Teilzeit weiterzuentwickeln ist für viele Menschen aus unterschiedlichen Gründen interessant. Dennoch ebnen überwiegend Frauen diesen Weg, weil sie oft vor der Herausforderung stehen, Sorge- und Erwerbsarbeit zu vereinbaren. Jennifer Mansey, Abteilungsleiterin Frauen/Diversity bei der IGBCE, weiß: „Das Thema Führen im Team wird von Frauen getrieben und gestaltet.“ Sie sieht immense Chancen darin, die gewerkschaftliche Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten und kooperatives Führen zu verknüpfen. „Die IGBCE steht für selbstbestimmte Arbeitszeiten und eine wertschätzende Führung.“ Mansey, selbst Führungskraft, weiß zudem, wie wertvoll Sparringspartner bei großer Verantwortung sind.

Den fachlichen Gewinn betont auch das Führungsduo Saskia ­Sporys und Daniel Zirnig. Beide teilen sich seit fünf Jahren die Leitung eines zehnköpfigen Teams beim Chemiekonzern BASF. Beide sind 42 Jahre alt, haben BWL studiert und jeweils zwei Kinder. Beide arbeiten sechzig Prozent. Beide Namen stehen in der Signatur ihrer gemeinsamen E-Mail-Adresse; darunter ihre Funktion im Plural: Heads of Business Management Pharma Solutions. Grundvoraussetzung für diese Rolle sei, erreichbar zu sein. Fünf Tage pro Woche von morgens bis abends. Also teilen sie sich zeitlich auf. Dienstags und donnerstags vormittags treffen sie sich zu Übergaben und Terminen.

Saskia Sporys und Daniel Zirnig von BASF führen seit fünf Jahren gemeinsam.

Foto: Martin Pötter

Man muss Freude am Teamplay haben.

Daniel Zirnig,
Leiter Business Management
Pharma
Solutions bei BASF

Zu zweit wie eine Person agieren

Ein Tandem brauche Disziplin, sind beide überzeugt. Sie haben zum Start gewusst: „Wir müssen schriftlicher werden, denn Gedanken können wir nicht lesen“, sagt Zirnig. Also dokumentieren sie in Microsoft Onenote. Sie schreiben jeden Termin knapp mit, um Kerninhalte zu kommunizieren. Schnell haben sie gelernt, optimal zusammenzufassen, nutzen eine präzise Ordnerstruktur. Ihre Aufgaben sind überwiegend nach Produktportfolio aufgeteilt. Beide sind in alle Themen involviert, wollen zu zweit wie eine Person agieren. Mitarbeitendengespräche führen sie gemeinsam. Das schaffe Mehrwert, so könne man optimal coachen.

Sporys und Zirnig kannten einander kaum, als sie die Gruppenleitung übernahmen. Bevor sie sich zusammen bewarben, klärten sie fundamentale Fragen wie: Für welche Werte stehen wir? Wie wollen wir führen? Im Tandem zu arbeiten bedeute: „Alles ist wir. Man muss Freude am Teamplay haben. Dann ist das Ergebnis besser als allein.“ Ein weiterer Gewinn: „Wir können abschalten. Denn alles ist in guten Händen bei der anderen Führungskraft. Wir können für die Familie sorgen, ohne dass die berufliche Welt zusammenbricht.“ Der Großteil der Führungskräfte bei BASF, davon knapp 25 Prozent Frauen, arbeitet Vollzeit, nur 13 Prozent der Mitarbeitenden insgesamt nutzen Teilzeit. Tandems sind wie bei Boehringer Ingelheim nicht separat erfasst.

Ist das Tandem-Modell zukunftsfähig? Die Duos Sporys, Zirnig (links) und Wolf, Wiest beantworten die Frage mit einem Ja.

Fotos: Martin Pötter

Doppeltes Lottchen

Wege ebnet auch das Führungsduo Katharina Wiest und Karin Wolf. Die Frauen leiten das 15-köpfige Team der internen Kommunikation bei BASF. Als 2022 ihre Chefin in Rente ging, wurden die beiden als Tandem für die Position angefragt. Jetzt führen sie mit jeweils 76 Prozent. Denn „erstens wollen wir mehr verdienen als fünfzig Prozent, zweitens wurden unsere vorherigen Referentinnenstellen nicht nachbesetzt. Wir übernehmen zusammen mehr Aufgaben und sparen ein.“

Auch hier ist dienstags Teamtag. Wolf hat montags, Wiest freitags frei. Ansonsten arbeiten beide gleichzeitig. Für Übergaben nutzen auch sie Onenote. Ungefiltert notieren die Geisteswissenschaftlerinnen Einschätzungen und Entscheidungen. Denn auch in diesem Duo ist eines klar: „Wir tragen Entscheidungen der anderen uneingeschränkt“, sagt Wolf. „Das ist leicht, denn wir sind im Einklang.“ Inhaltlich haben sie sich weder Aufgaben noch Mitarbeitende grundsätzlich aufgeteilt. Sie wollen vermeiden, dass „die Gruppe in Team Karin und Team Katha zerfällt“. Im Alltag verständigen sie sich unkompliziert, wer was macht. Jede kann an jedem Punkt die Arbeit der anderen übernehmen. Ihr Spitzname: doppeltes Lottchen. Sie vervollständigen die Sätze der anderen, das fällt eigentlich nicht auf, denn sie sprechen längst mit einer Stimme.

Wer von uns Ansprechpartnerin ist, funktioniert intuitiv.

Katharina Wiest,
Leiterin Interne Kommunikation,
BASF Ludwigshafen

Doppeltes Lottchen: Der Spitzname des Tandems Karin Wolf (links) und Katharina Wiest basiert auf dem erfolgreichen Roman Erich Kästners.

Foto: Martin Pötter

Wer welche Termine wahrnimmt, ergibt sich nach Kalenderlage. Bei Mitarbeitendengesprächen wechseln sie sich ab. „Da auch Teammitglieder Lieblingstage haben, ist man manchen näher als anderen, das liegt schlicht am Termin“, erklärt Wiest. „Wer von uns Ansprechpartnerin ist, funktioniert intuitiv. Ohne Regeln. Das gleicht sich aus.“ Zum Start der gemeinsamen Führungsrolle hatten beide einen Coach. „Wir wollten klären, wie wir miteinander arbeiten.“ Schnell war klar: „Wir sind total nah beieinander.“ Sie wollten im Coaching „keine Tabus und radikale Ehrlichkeit“.

Auch Wolf sagt: „Ich bin entspannt, seit ich im Tandem führe. Denn wenn ich freihabe, habe ich frei! Das ist sehr gesund.“ Die Akzeptanz sei im Unternehmen grundsätzlich da, vor allem die Vorgesetzte unterstützt das Modell. Sonst gehe es nicht. Aber es gebe Vollzeitkräfte, die andere Arbeitszeiten nicht im Blick haben und Termine in Randzeiten legen. Es sei nicht immer leicht. Ihr Wunsch: mehr Öffentlichkeit für unterschiedliche Arbeitsmodelle, Vorbehalte abbauen, Kulturwandel vorantreiben. Und vor allem: „Raus aus der Frauenecke.“

Bei BASF ist wie bei Boehringer Ingelheim die doppelte Führung gewollt, aber technisch noch nicht immer abbildbar. Obwohl Tandems juristische Verantwortung gleichberechtigt teilen, kennt das System nur eine Kostenstellenleiterin, die Rechnungen freigeben kann. Aber Wolf und Wiest haben eine gemeinsame Zielvereinbarung. Sie haben die gleichen Aufgaben und werden gleich bewertet. Keine verbucht Erfolge allein. Wiest, die Führen nicht anders kennt, sagt: „Ich finde es perfekt.“
Ute
Weisenbach, verantwortlich im Betriebsrat bei BASF, sieht großen Bedarf an Führung in Teilzeit, denn anders lasse sich Personalverantwortung mit reduzierter Arbeitszeit nicht umsetzen. Dennoch weiß sie: „Tandems kann man nicht anordnen. Es funktioniert nur, wenn zwei Teilzeitkräfte wollen und harmonieren.“ Das Angebot ist eindeutig freiwillig.

IGBCE-Netzwerk für AT-Beschäftigte

KAAT.net ist das besondere Angebot der IGBCE für Kaufleute, Akademikerinnen und Akademiker sowie außertariflich Beschäftigte (AT). Das Netzwerk verbindet Interessierte, Mitglieder, Betriebsräte, Vertrauens­leute und andere Aktive mit Expertinnen und Experten der IGBCE. Am 21. und 22. Juni findet zum vierten Mal der KAAT-Dialog der IGBCE statt. Neben Austausch und Möglichkeiten zum Netzwerken sorgen verschiedene Workshops wieder für reichlich Input.

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