Menschen & Gemeinschaft

Betriebsausflug

Alfons Eisch: Der 95-jährige hat sein Leben dem Glas gewidmet.

Der Schmelzofen: Noch ist das Glas flüssig.

Ort mit Glastradition: das idyllische Frauenau.

Aus Sand mach Glanz

Text Martin Wollenhaupt – Fotos Anna-Kristina Bauer

Durch die wildromantischen Naturjuwelen des Bayerischen Waldes schlängelt sich auf rund 250 Kilometern die bayerische Glasstraße. Seit 700 Jahren wird hier in Handarbeit Glas produziert. Heute bewahrt der Tourismus die Tradition vor dem Aussterben.

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Der letzte Glasbläser von Frauenau: Er bewahrt jahrhundertealtes Handwerkswissen.

Frühling im Bayerischen Wald. Malerische Landstraßen schlängeln sich durch sattes, schier endloses Grün. Eine frische Kühle steht zwischen dicken Baumstämmen, Pferde grasen, hier und da weht der Duft der Apfelblüte vorbei. Vogelgezwitscher vermehrt die Stille.

Mittendrin, am Fuße des höchsten Gipfels des Nationalparks, des Großen Rachels, liegt die beschauliche Gemeinde Frauenau. Sie ist das „gläserne Herz des Bayerischen Waldes“. Ein Beiname, dessen Herkunft schon bei der Einfahrt in das Städtchen seine Silhouette verrät: Stillgelegte Schornsteine aus roten Ziegelsteinen schießen steil in den Himmel. Es sind Überreste alter Glasmachereien.

Heute ist von ihnen noch eine einzige in Betrieb. In der Nähe des Glasmuseums, umschlossen von den Gläsernen Gärten, liegt das Werk der Familie Eisch. Aus dem alten Gemäuer dringt an diesem traumhaften Frühlingstag der Klang eines Instruments. Alfons Eisch, Historiker, Buchautor und wandelndes Lexikon, hat sich zwischen den alten Mauern des Glaswerks eine Trompete aus Glas geschnappt.

Obwohl die Glashütte, die sein Vater Valentin Eisch 1946 gegründet hatte, bereits in vierter Generation geführt wird, mischt der Senior immer noch mit. Mit stolzen 95 Jahren begeistert er Besuchergruppen mit Wissen und ­musikalischem Talent.

Ein magischer Ort: Glashütte Eisch in Frauenau

Der Grundstoff steckt im Boden

Der Klang der Trompete hallt noch nach, da beginnt er schon zu erzählen. „Mein ganzes Leben habe ich in Frauenau verbracht, ohne irgendwelche Gelüste, auszuwandern.“ Wenn er redet, wandert sein Blick immer wieder auf den Boden, ganz so, als fände er dort sein Material. Als alter Glasmacher weiß er, dass unter ihm der Grundstoff des Glases zu finden ist. Eine mächtige Quarzader, 150 Kilometer lang, beinahe unerschöpflich. Ihr Quarzsand ist Hauptbestandteil des Glases.

Noch aus einem anderen Grund war der Bayerische Wald der ideale Ort zur Glasherstellung, erinnert sich Eisch: „Um die Öfen anzuheizen, um Pottasche und Glasformen herzustellen, brauchte man Holz“, sagt er. Eine Ressource, an der es in der Region nicht gerade mangelt. Fehlten nur noch: Soda und Kalk. Vermengt ergeben die Zutaten ein pulvriges, formloses Mischmasch. Noch keine Spur von Glas. Der Weg dorthin, könnte man sagen, ist beinahe spannender als das Produkt selbst.

In Jeans, rotem Kapuzenpulli und Turnschuhen schlendert Johannes Stadler, Betriebsratsvorsitzender von Eisch und IGBCE-Mitglied, durch das Werk. Er hat sich Zeit genommen, durch die Firma zu führen, in der er seit 36 Jahren arbeitet. „Der Ort ist für mich magisch“, sagt der 58-Jährige. „Man erfährt Traditionelles über Glas, über die Herstellung, über die Menschen.“

Mit allen Sinnen erkundet Betriebsrat Johannes Stadler die Eisch-Erlebniswelt.

Der Ort ist für mich magisch.

Johannes Stadler,
Betriebsratsvorsitzender bei Eisch

Manuelle Glasfertigung ist Kulturerbe

Die Magie konnten Besucherinnen und Besucher nicht immer bestaunen. So etwas wie Werksführungen, das gab es anfangs noch nicht. Man versuchte, mit der industriellen Produktion in Billiglohnländern zu konkurrieren. Doch dort automatisierte sich die Produktion zunehmend, das traditionelle Handwerk ging verloren.

Im Bayerischen Wald entschloss man sich, eine andere Strategie zu fahren. Das über die Jahrhunderte angehäufte Wissen sollte bewahrt werden. Die Glashütten öffneten ihre Tore für Besucherinnen und Besucher. In Frauenau entstand ein Glasmuseum, das durch eine Mischung aus Geschichte, Kunst, Handwerk und Design die Kulturgeschichte des Glases erzählt und heutzutage jährlich mehr als 16.000 Interessierte anzieht. Vor dem Museum entstand ein Garten aus gläsernen Skulpturen, und wenige Gehminuten entfernt eröffnete Eisch seine kleine Erlebniswelt.

So richtig in Schwung gekommen sei der Tourismus mit der Gründung der Glasstraße im Jahr 1997, erzählt Stadler. Über 250 Kilometer führt sie durch die beiden Ferienregionen Oberpfälzer Wald und Bayerischer Wald. Den Besuch der Glashütten verbindet sie mit den Naturerlebnissen des Nationalparks. Glasbläsereien wie das Joska Glasparadies, die Kristallglasmanufaktur Theresienthal oder das Glasdorf Weinfurtner bieten Gästen an, selbst Glas zu blasen. In Zwiesel, Spiegelau und Neustadt an der Waldnaab können sie ihre Lieblingsstücke direkt im Werksverkauf erwerben.

Mischung aus Geschichte, Kunst, Handwerk und Design: Im Frauenauer Glasmuseum geht es bunt zu.

2023 erhob die Unesco die manuelle Glasfertigung zum immateriellen Kulturerbe. Die Tradition bleibt, wenn auch kleiner als früher: Zu Bestzeiten hatte die Firma Eisch 270 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heute sind es noch dreißig.

Stadler steht in der hohen Fabrikhalle. Es riecht nach Lagerfeuer. Über dem Schmelzofen schimmert die Luft. Tritt er näher an die Öffnung des Ofens, ist es, als würde er in einen Vulkan blicken. Mit hochrotem Kopf schwingt ein Glasbläser eine lange, hohle Stange. Es ist die Glasmacherpfeife des letzten Glasbläsers von Frauenau.

Zwischen 1.200 und 1.300 Grad Celsius hat der Schmelzofen in der Regel. Je heißer, desto flüssiger die Masse, erklärt Stadler, der nun in sicherem Abstand auf einem der Zuschauerstühle Platz genommen hat. Und je flüssiger die Masse, desto dünner das Glas. Es ist eine Gratwanderung. Ist die Masse zu dünn, haftet sie nicht an der Glasmacherpfeife. Es ist eine Kunst.

Schnell muss es gehen. Denn nach dem Erstarren ist das Glas nicht mehr formbar.

Der Schmelzofen hat 1.300 Grad

Mit der eisernen Pfeife holt der Glasbläser die geschmolzene Masse aus dem Ofen. Ein Atemstoß durch die Pfeife weitet den unförmigen Klumpen. Beständig drehen, damit die glühende Masse haften bleibt. Nur für wenige Augenblicke ist sie formbar. Er tunkt sie in eine Hohlform, den sogenannten Holzmodel. Er ist in Wasser getränkt. Ein Zischen. Qualm tänzelt in die Höhe. Der Blick des ­Glasbläsers: ­konzentriert.

Überflüssige Teile schlägt er nach dem Erstarren ab. Das fertig geformte Kunstwerk muss jetzt langsam abkühlen. Es wird nun stundenlang in einem Ofen liegen, dessen Temperatur Stück für Stück niedriger wird. Kühlte das Glas bei Raumtemperatur ab, spränge es.

Stadler führt in den ersten Stock des Werks. „Jetzt wird das Glas veredelt durch Farbe, Schrift oder Sandstrahlerei“, erklärt er. In einer mit bunten Arbeitsmaterialien zugestellten Künstlerwerkstatt sitzt Michaela Eisch. Sie weicht einen Pinsel auf, poliert einige Gläser und setzt eines auf einen türkisfarbenen Drehteller. Mit der linken Hand dreht sie ihn, mit der rechten tunkt sie den Pinsel in eine Flüssigkeit aus 24-karätigem Gold und ätherischen Ölen und setzt ihn anschließend an das Glas an. Ihre Hand ist ruhig. Das muss sie sein. Am Ende sollen alle Gläser möglichst gleich ­aussehen.

Volle Konzentration: Michaela Eisch führt den Pinsel mit ruhiger Hand, um den Glas den richtigen Anstrich zu verpassen.

Was beim Standardglas verloren geht

Im Nebenraum rattert ein Farbenbrennband, der letzte Produktionsschritt. Ein Laufband chauffiert die Gläser durch den Ofen, damit sich die aufgetragene Farbe einbrennt. Heraus fährt das fertige Produkt, formschön und handgemacht. Erwerben kann man es gegenüber im Werksverkauf. Auf 400 Quadratmetern steht das komplette Eisch-Sortiment. Alle am Produktionsprozess Beteiligten haben ihre persönliche Note hinterlassen. „Das ist es, was für mich beim Standardglas im Supermarkt verloren geht“, sagt Stadler. Das Familiäre, das Handwerkliche, die Wertschätzung dem Produkt und den Produzierenden gegenüber. Das Immaterielle am Materiellen. Das, was das Herz wärmt. „Der Unterschied liegt auch im Gefühl“, sagt er.

Im Garten vor dem Werk ruhen Glasskulpturen still in der Mittagssonne. Stadler macht einen Spaziergang, bevor er wieder nach Hause radelt. Hier und da blendet ihn aus dem satten Grün eines der Kunstwerke an. Die Gläsernen Gärten von Frauenau sind der weltweit erste Glasskulpturenpark. Tradition und Moderne Hand in Hand.

Guide: Frauenau und Umgebung

Glasmuseum Frauenau
Werk Eisch
Weitere Information unter der Karte.

Wanderung Trinkwassertalsperre
Weitere Information unter der Karte.

Auerhahn-Rundweg
Großer Rachel
Weitere Information unter der Karte.

Hotelempfehlung
Pension Waldkristall
Krebsbachweg 8
94258 Frauenau
Doppelzimmer p. P. ab 50 Euro.
waldkristall.de

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Hotel St. Florian
Althüttenstr. 22
94258 Frauenau
Doppelzimmer p. P. ab 159 Euro.
st-florian.de

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Wellnesshotel Eibl-Brunner
Hauptstraße 18
94258 Frauenau
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Gasthaus Schwellhäusl
Regionale Küche
schwellhaeusl.de

Gastronomie
Reh(h)serviert – Wirtshaus
der Genusskultur
Regionale und
internationale Küche
rehserviert.de

Gastronomie
Landgasthof Hubertus
Regionale und
internationale Küche
landgasthof-hubertus.de

Glasmuseum Frauenau
94258 Frauenau
Öffnungszeiten und Eintrittspreise:
glasmuseum-frauenau.de

Werk Eisch
Althüttenstraße 28
94258 Frauenau
Öffnungszeiten und Eintrittspreise:
eisch.de/werksverkauf/werksfuehrung

Wanderung Trinkwassertalsperre
Der zehn Kilometer lange Wanderweg beginnt am Parkplatz Oberfrauenau. Er führt zur Talsperre, über einen Staudamm und von dort um den See.

Auerhahn-Rundweg Großer Rachel
Start mit dem Bus von Spiegelau zur Haltestelle Gfäll. Von dort führt der 9,5 Kilometer lange Weg über das Waldschmidthaus auf den Großen Rachel.

Mehr Infos und Ausflugsrouten auf dieglasstrasse.de