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Arbeitgebercheck

Foto: picture alliance / Xinhua News Agency

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Samtweich
trifft knallhart

Text Lars Ruzic

Welcher Betrieb kann von sich behaupten, Teil einer eigenen Weltanschauung zu sein? Weleda hat seine Wurzeln in der Anthroposophie, und harte Bandagen sind deren Sache nicht. Doch der Wettbewerb kämpft genau damit.

Weleda

Weleda ist ein Unikum der Unternehmenswelt. Nicht unbedingt wegen seiner Produkte Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel stellen (inzwischen) auch andere her. Aber wegen seiner Geschichte, Kultur und Eigentümerstruktur. Mitgründer Rudolf Steiner ist der Vater der Anthroposophie und Weleda Teil derselben spirituell-esoterischen Weltanschauung wie Waldorfschule, Demeter-Landwirtschaft und Eurythmie. Offizieller Unternehmenszweck: „Entfalten von Gesundheit und Schönheit im Einklang mit Mensch und Natur.“ Aktien und Stimmrechte dürfen bis heute nur an Mitglieder der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft abgegeben werden. Gewinne sind nur Mittel zum Zweck. Aber Verluste auf Dauer sind eben auch ein Problem: Vor wenigen Monaten hat Weleda deshalb mit Tina Müller eine schillernde Managerin an Bord geholt, die sich schon bei Henkel, Opel und Douglas einen Namen gemacht hat und die Weleda wieder in die schwarzen Zahlen führen soll. Das Unternehmen verkauft inzwischen in mehr als 50 Länder, Kernmärkte bleiben aber Deutschland, die Schweiz und Österreich. Der Standort in Schwäbisch Gmünd ist das operative Herz des Unternehmens. Nahezu alle Produkte entstehen im Osten Baden-Württembergs.

Gründung 1921 (von Rudolf Steiner und Ita Wegmann)

Sitz Arlesheim bei Basel, Schweiz

Rechtsform AG nach schweizerischem Recht, nicht mitbestimmt

Eigentümer Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft und Klinik Arlesheim (77 Prozent der Stimmrechte), Rest Streubesitz

Umsatz 2022 413,8 Millionen Euro

Verlust 2022 6,1 Millionen Euro

Eigenkapitalquote 46 Prozent

Beschäftigte 2.500, davon 900 in Schwäbisch Gmünd

Betriebsklima

Die anthroposophische Unternehmenskultur sorgt für ein etwas familiäreres und entspannteres Betriebsklima als in börsennotierten Konzernen, sagen sie in Schwäbisch Gmünd. Man duzt einander. Dieses kollegiale Klima ist allerdings umso mehr auf die Probe gestellt, wenn es mal nicht rundläuft. Dass Weleda Kosten senken und Personal abbauen muss, sorgt für eine spürbare Verunsicherung im Unternehmen nicht nur bei den Beschäftigten, sondern auch im Management.
Gut 80 Vollzeitstellen müssen abgebaut werden. Betriebsrat und IGBCE haben durchgesetzt, dass dies möglichst ohne betriebsbedingte Kündigungen und weitgehend über das Ausnutzen natürlicher Fluktuation vonstattengeht. Interessenausgleich und Sozialplan sind inzwischen vereinbart. Es ist vor allem den Belegschaftsvertretungen zu verdanken, dass dieser Abbau am Ende in geregelten Bahnen verlaufen wird.
Auch die freiwilligen Unternehmensleistungen sind in den vergangenen Jahren weniger geworden. Das betrifft nicht nur die Eurythmiekurse, sondern auch das Fahrgeld, das inzwischen für neue Mitarbeitende komplett gestrichen worden ist. Immerhin: Im Gegenzug für die Schließung des betriebseigenen Kindergartens gibt es von diesem Jahr an einen monatlichen Zuschuss zur Kinderbetreuung.

Arbeitsumgebung

Nein, in Schwäbisch Gmünd laufen sie nicht alle in wallenden Gewändern herum, rezitieren täglich Steiner und tanzen ihren Namen. Und auch in Bewerbungsgesprächen spielt die Anthroposophie keine Rolle. Einst gab es noch Eurythmiekurse während der Arbeitszeit, aber selbst die sind inzwischen gestrichen – aus Kostengründen. Und trotzdem spürt man bei Weleda allenthalben die Naturverbundenheit, die nicht nur Teil der steinerschen Lehre, sondern auch prägend für die Marke ist. Symbol dafür ist der mit 23 Hektar Fläche größte Heilpflanzengarten Europas, wo sie nach Demeter-Kriterien mehr als 800 Pflanzen anbauen. Ein Großteil davon wird zu Tinkturen für Arzneimittel und Kosmetikprodukte weiterverarbeitet. Er ist ein Grund, warum die Vielfalt der Berufe am Standort so groß ist: In Schwäbisch Gmünd gibt es nicht nur Apotheker*innen, Pharmakant*innen sowie Chemikant*innen, sondern auch Gärtner*innen, Bäcker*innen sowie Metzger*innen.
Ein weiteres Symbol ist das neue, klimaneutrale Logistikzentrum, bei dem die Hochregallager aus Holz sind und in den Wänden der Lehm aus der eigenen Baugrube verwendet wurde. Die Energie kommt aus Erdwärme und von Solaranlagen. Dieses ökologisches Vorzeigeprojekt hat das Unternehmen allerdings in finanzielle Nöte gebracht. Die Kosten sind aus dem Ruder gelaufen, sodass man zuletzt rote Zahlen geschrieben hat und nun Personal abbauen muss.

Mitbestimmung

Die 13 Frauen und Männer im Weleda-Betriebsrat sind im Unternehmen voll akzeptiert. Meist werden sie rechtzeitig und umfangreich eingebunden, wenn es um Belegschaftsbelange geht. Man begegnet dem Management auf Augenhöhe, das gilt auch für die neue Firmenchefin Tina Müller. Im Kontrollgremium von Weleda sind allerdings keine Arbeitnehmervertreter zu finden. Schwäbisch Gmünd ist rein formal nur eine Niederlassung der Schweizer AG – und die Eidgenossen kennen eine Unternehmensmitbestimmung wie in Deutschland nicht.
Gleich zu Beginn der Corona-Krise hat der Betriebsrat mit dem Unternehmen eine weitreichende Vereinbarung zum mobilen Arbeiten getroffen. Sie sieht vor, dass man – wo möglich – 50 Prozent der Arbeitszeit von zu Hause arbeiten kann, teilweise auch noch mehr. Gegen Workation, also dem Arbeiten aus dem Ausland, wehrt sich die Personalabteilung noch. Was es aber gibt, ist eine Betriebsvereinbarung zum „Kauf“ zusätzlicher Urlaubstage. Bis zu 20 Tage im Jahr können Beschäftigte zusätzlich freinehmen, wenn sie entsprechend auf Lohn verzichten. Ein Angebot, das sich großer Beliebtheit erfreut.

Tarifbindung

So exotisch Weleda als Unternehmen auch daherkommen mag, als Arbeitgeber schwimmt es mit dem Strom. Für die Beschäftigten in Schwäbisch Gmünd gelten die Tarifverträge der chemischen Industrie in Baden-Württemberg. Damit hebt sich Weleda übrigens positiv ab von anderen Betrieben in der Region.
In der Belegschaft gibt es zudem einen großen Zuspruch zu den Vertrauensleuten der IGBCE. Das gilt mehr denn je in den aktuell unsicheren Zeiten für das Unternehmen. Insgesamt ist die Zahl der IGBCE-Mitglieder im Unternehmen in den vergangenen Jahren spürbar gestiegen. Auch im Weleda-Management will man die gewachsene Sozialpartnerschaft nicht missen.
Von vielen Tariferfolgen der Vergangenheit profitieren bei Weleda auch die außertariflich Beschäftigten. Das gilt beispielsweise für das Zukunftskonto oder die tarifliche Pflegezusatzversicherung. Insgesamt zeigt sich auch bei den tariflichen Angeboten, wie wichtig den Weleda-Beschäftigten eine ordentliche Balance zwischen Arbeit und Leben ist. Von der Möglichkeit, sich das Jahresguthaben des Zukunftskontos mit fünf zusätzlichen freien Tagen „auszahlen“ zu lassen, machen gut drei von vier Beschäftigten Gebrauch.

Zukunftsfähigkeit

Nicht nur das Logistikzentrum ist für Weleda eine Großbaustelle, auch im operativen Geschäft ist noch einiges zu richten. Die Naturkosmetik leidet unter der Kaufzurückhaltung der Verbraucherinnen und Verbraucher infolge der hohen Inflation. Außerdem haben inzwischen nahezu alle Discounter und Drogerieketten eigene Biomarken im Angebot, die deutlich günstiger sind und aggressiv vermarktet werden. Auf einen Preiskampf kann sich Weleda als das „Original“ aber nicht einlassen. Die eigenen Ansprüche an ihre Produkte werden die Schwaben nie zum Kostenführer machen. Zudem hat Weleda das Onlinegeschäft lange links liegen gelassen, hier gibt es massiven Nachholbedarf.
Unter Druck ist auch das Geschäft mit den anthroposophischen Arzneimitteln. Zum Portfolio gehören mehr als 1.000 Produkte, die teilweise in manufakturähnlichen Stückzahlen und damit teuer hergestellt werden. Verschärfend kommt hinzu, dass die Bundesregierung Homöopathie und anthroposophische Arznei nicht mehr länger als Kassenleistung zulassen will, was für weitere Umsatzrückgänge sorgen könnte. Die neue Weleda-­Chefin hat also einige Aufgaben vor sich, will sie das traditionsreiche Unternehmen wieder in die Spur bringen.

Das sagt Weleda

Das Unternehmen be­tont seine hohen Nach­hal­tig­keits­stan­dards, „die auch den As­pekt der Ar­beits­platz­qua­li­tät einschließen“. Bei der Personalentwicklung le­ge man einen Fokus auf Persönlichkeits- und integrale Organisations­entwicklung. Besser wer­den könne man noch bei der Digitalisierung, und gerade breche man durch Re­or­ga­ni­sa­tion altes Silo­den­ken auf.

Unser Fazit

Ein Unternehmen, so samt­weich wie die Haut, die gerade mit einem seiner Produkte eingecremt wor­den ist: Das ist das Bild, das Weleda als Arbeitgeber gefallen würde. Und tat­sächlich sorgen die große Tradition, ein klarer Wertekanon und eine starke Arbeitnehmervertretung dafür, dass der Natur­kosmetik­hersteller sei­nen Beschäftigten eng verbunden ist. Wer sich der Anthroposophie nahe fühlt, ist dort ohnehin gut aufgehoben. Doch Weleda ist im Umbruch, muss sich mit hausgemachten Problemen, politischen Veränderungen und ver­schärftem Wettbewerb auseinandersetzen. Diese Kombination ist alles andere als zum Wohlfühlen.

Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten sowie Betriebsbetreuerinnen und -betreuern der IGBCE. Die zusammen­getragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.