Menschen & Gemeinschaft

Ein starkes Team

Wenn Bergleute feiern

Text Alexander Lehmann – Fotos Anna Kristina Bauer

Seit dem 18. Jahrhundert gedenken Bergleute am 4. Dezember ihrer Schutzpatronin, der heiligen Barbara, mit einem Fest. An diesem Tag gibt es eine heilige Messe, Ehrungen, mitunter sogar Umzüge. Die IGBCE-Ortsgruppe Eisenbahnschacht im Saarland zeigt, wie sie sich auf das Ereignis vorbereitet.

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Ein Mann geht gemächlich die Stufen eines schmalen, dunklen Treppenhauses hinunter, Schritt für Schritt, die rechte Hand locker auf das Geländer gelegt. Am Fuße der Treppe geht es in einen Flur, am Eingang ein weißes Schild mit rotem Schriftzug: „Barbarakeller“. Von dort aus geht es weiter in einen kleinen Raum.

Hans Jürgen Becker heißt der Mann. Er ist Vorsitzender der IGBCE-Ortsgruppe Eisenbahnschacht im saarländischen Schwalbach. Ein herzlicher Mann mit Glatze, markantem Schnauzbart, er spricht in breitem saarländischen Dialekt.

Becker, heute 64, war Bergmann im nahe gelegenen Steinkohlebergwerk Ensdorf. Sein ganzes Arbeitsleben lang. „Ich hatte Glück, nie woanders arbeiten zu müssen“, sagt er. „Die Kameradschaft unter den Kollegen hat mir unheimlich gut gefallen. Wir waren fast alle in der IGBCE und deren Vorgängerorganisation IG BE organisiert.“

Wie die Ortsgruppe ihre Traditionen bewahrt

Seit 2012 leitet Becker die Ortsgruppe, betreut die 325 Mitglieder, plant Aktionen und Demonstrationen. Einmal im Jahr aber steht etwas ganz Besonderes an: die Barbarafeier. Deswegen ist Becker heute hier. Er betritt den holzvertäfelten Raum. Es ist schon alles vorbereitet: Kleine Deckchen liegen auf den Tischen, Getränke stehen bereit. Nachher kommen die anderen Mitglieder dazu, um das Fest zu ­planen.

Die Barbarafeier ist das wichtigste Fest der Bergleute. Seit dem 18. Jahrhundert wird es begangen, immer am 4. Dezember, dem Geburtstag der Namensgeberin, der heiligen Barbara. Es gibt Messen, Ehrungen, mitunter auch Umzüge.

Becker ist von klein auf dabei. Sein Vater war auch Bergarbeiter. Am Barbaratag hatten die Söhne und Töchter der Bergleute schulfrei. Sie gingen dann mit in die Kirche und sagten vor den versammelten Bergleuten ein Gedicht auf. „Als Belohnung gab es eine Cola, ein Stück Lyoner-Wurst und ein Brötchen“, erinnert er sich. „Stolz wie Oskar war man da.“

Ein Organisationsteam der Ortsgruppe bereitet das Fest vor.

Andächtig: Geschmückte Kirche zur Barbarafeier.

Die Schutzpatronin

Der Tag ehrt die heilige Barbara, eine christliche Märtyrerin aus dem dritten Jahrhundert. Ihr Vater hatte sie der Legende nach in einen Turm gesperrt, um sie vom Glauben abzuhalten. „Die Standhaftigkeit, mit der sie am Glauben festhielt, hat sie zum Vorbild gemacht“, sagt Becker. Für die Bergleute ist Barbara aber noch mehr als das. Sie ist ihre ­Schutzpatronin.

Ein wichtiger Halt

Der katholische Glaube sei eng mit dem Bergbau verbunden, sagt Becker. „Immer vor Schichtbeginn versammelten sich die Bergleute im Zechensaal. Den Helm unterm Arm standen sie da und sprachen ihr Gebet. Bis der Aufseher sagte: ‚Glück auf!‘ Dann ging es unter Tage.“ Als Bergmann hatte man am Barbaratag immer frei, musste seine Schicht aber am darauffolgenden Samstag nachholen.

Es habe mehrere Grubenunglücke in der Region gegeben, sagt Becker, ihm selbst sei nie etwas passiert. „Die heilige Barbara war für mich immer ein Halt – eine höhere Instanz, die ihre Hand schützend über mich gelegt hat.“ Er und seine Frau haben mehrere Barbarafiguren bei sich im Haus, darunter eine kleine, selbst geschnitzte aus Holz, ein Geschenk von einem Kollegen.

Die Figuren sind nicht die einzige Tradition rund um die Heilige. Jedes Jahr am Barbaratag schneidet Becker einen Kirschzweig ab und stellt ihn in eine Blumenvase. Wenn man darauf achtet, dass er im Kühlen steht, blüht er an ­Weihnachten auf.

Die heilige Barbara: christliche Märtyrerin.

Die heilige Barbara

Der Legende nach wurde Barbara am 4. Dezember in Nikomedia auf dem Gebiet der heutigen Türkei geboren. Ihr Vater hasste das Christentum. Um seine Tochter von der Religion fernzuhalten, sperrte er sie in einen Turm. Eine Sklavin aber unter­richtete Barbara und taufte sie. Als der Vater davon erfuhr, wollte er seine Tochter töten. Sie konnte fliehen und versteckte sich in einem Felsen. Dann aber wurde sie verraten und zum Tode verurteilt. Auf dem Weg zum Gefängnis blieb ein Kirsch­zweig an ihrem Kleid hängen. Sie stellte ihn ins Wasser. Am Tag ihrer Hinrichtung blühte er auf. Mit dem blühenden Kirschzweig gedenkt man ihrer noch heute.

Viel Arbeit

Eine Barbarafeier verläuft im Großen und Ganzen immer gleich, sagt Becker. 10 Uhr morgens beginnt die heilige Messe in der Kirche. Dann geht es in einen Festsaal. 100 bis 200 Menschen kommen hier zusammen. Jubilare und Jubilarinnen werden geehrt. Nach dem Mittagessen wird es kurz laut. Dann singen alle Anwesenden das „Steigerlied“, die Hymne der Bergleute, begleitet von Blasmusik. Im Anschluss wird Schnaps serviert. Meist geht das Fest bis in die Nacht. Das alles will gut ­vorbereitet sein.

Der Barbarakeller hat sich inzwischen gefüllt. 13 Menschen sitzen an den Tischen, fast ausschließlich Männer, nur eine Frau ist dabei. Wer übernimmt die Kasse? Wer kümmert sich um die Bedienung? Diese Fragen werden debattiert. Becker sitzt am Kopf des Raums und leitet die ­Diskussion.

Seit zehn Jahren feiert die Ortsgruppe den Barbaratag zusammen mit dem Bergmannsverein Ensdorf, einem Traditionsverein mit 150-jähriger Geschichte. Dessen Vorsitzender sitzt an diesem Abend ebenfalls hier, gleich neben Becker. Günter Felten, ein Mann mit kurzem, grauem Haar und Brille, er trägt an diesem Tag die Bergmannsuniform. „Der Barbara­tag ist unser Festtag schlechthin“, sagt er.

Frühzeitige Planung

Felten koordiniert die Feier gemeinsam mit Becker. Ende September gehe die Planung los. Nur um einen Veranstaltungsort müsse man sich schon eher kümmern. Der Veranstaltungsort wechsle, dieses Jahr ist es die Festhalle der Gemeinde Elm. Ob er aufgeregt sei? „Eher angespannt“, sagt Felten. „Aufgeregt ist man nach zehn Jahren nicht mehr.“

Während die Ortsgruppe vor allem gewerkschaftlich aktiv ist, steht beim Verein die Wahrung der Tradition im Vordergrund. Die Mitglieder bieten unter anderem Führungen in der ehemaligen Förderhalle des alten Bergwerks an, dann zeigen sie Neugierigen auch, wie die Förderdampfmaschine aus dem Jahr 1936 funktioniert.

Früher haben beide Organisationen – Ortsgruppe und Bergmannsverein – ihre Jubilare und Jubilarinnen separat gekürt. „Es ist gut, dass wir das inzwischen zusammen machen“, sagt Felten. Auch, weil es immer weniger Vereinsmitglieder gibt. Der Altersdurchschnitt steigt, das älteste Mitglied ist hundert Jahre alt.

Der Barbaratag ist unser Festtag schlechthin.

Günter Felten,
stellvertretender Vorsitzender
der Ortsgruppe Eisenbahnschacht

Die Zusammenarbeit zwischen beiden Organisationen laufe gut, sagt Felten. Nicht zuletzt, weil es viele personelle Überschneidungen gebe. Felten selbst ist nicht nur Vorsitzender des Bergmannsvereins, sondern auch stellvertretender Vorsitzender der Ortsgruppe. Er und Becker kennen einander seit Jahren, blicken auf ein gemeinsames Arbeitsleben zurück.

Auch Felten war Bergmann in Ensdorf. „Der Bergbau war unheimlich wichtig für die Region“, sagt der heute 64-­Jährige. „Das ganze Saarland hat davon gelebt.“

Felten spricht in kurzen, schnörkellosen Sätzen. Emotionaler wird er, wenn er über den 30. Juni 2012 spricht. An diesem Tag wurde das Bergwerk Ensdorf, die letzte Grube an der Saar, dichtgemacht.

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„Fast 15.000 Menschen sind damals zum Bergwerk gekommen“, sagt Felten. „Es wurden Reden gehalten, ein Chor sang. Dann trug ein Kollege das letzte Stück Kohle, so groß wie ein Medizinball, heraus. Das Ende des Bergbaus in der Region.“

Schicht im Schacht

Auch Hans Jürgen Becker erinnert sich gut an diesen Tag. „Nach über 250 Jahren Steinkohleförderung im Saarland war Schicht im Schacht. Das waren gute Arbeitsplätze, das war hart.“

Ob er wehmütig sei? „Auf jeden Fall“, sagt Becker, fügt aber hinzu: „Der Umstieg auf erneuerbare Energien und auf grünen Stahl ist richtig. Nur muss er von der Politik auch flankiert werden.“ Deshalb unterstützte er die Arbeiter und Arbeiterinnen aus den nahe gelegenen Stahlwerken in Dillingen und Völklingen, die derzeit auf Zusagen pochen, dass ihre Jobs sicher sind. Er und einige frühere Kollegen seien bei der letzten Demonstration mitgelaufen. „Als Bergmann ist man auch in der Rente solidarisch mit seinen Kollegen.“

Es wird kurz still im Barbara­keller. Die Anwesenden sammeln sich. Dann setzen sie zum Singen an. „Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt“, schallt es durch den kleinen Raum. Das „Steigerlied“. Ihr Lied. „Es ist wichtig, dass man nicht vergisst, welche Bedeutung Bergbau für die Region hatte“, sagt Günter Felten. „Es ist wichtig, dass dieser Beruf nicht in ­Vergessenheit gerät.“