Vor Ort

Baden-Württemberg

Das sind
unsere Talente

Text Axel Stefan Sonntag

Im erstmals auf Landesbezirksebene stattfindenden Talenteprogramm qualifizieren sich derzeit 20 Betriebsrätinnen und Betriebsräte dafür, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Die Nord-Gruppe aus den Bezirken Mannheim, Karlsruhe und Stuttgart.

Foto: Axel Stefan Sonntag

Ehrlich gesagt, hatte ich anfangs Bedenken.“ Offen berichtet Andreas Bär, Betriebsratsmitglied bei Essity, von seiner Reaktion auf seine Nominierung zum Talenteprogramm. Doch sein Betriebsratsvorsitzender und der Bezirk sehen in dem 53-Jährigen viel Potenzial, sich weiterzuentwickeln. „Das freut dich einerseits, und trotzdem beschleicht dich die Sorge, im Rahmen dieses Programmes gesagt zu bekommen, wie du zu ticken hast. Doch diese Bedenken waren am ersten Tag vom Tisch“, lobt er. Die Zusammensetzung der 16-köpfigen engagierten Truppe dürfte ihm dabei geholfen haben: Bewusst jung und alt, bewusst Mann und Frau, bewusst mit Betriebsratsmitgliedern aus verschiedenen Branchen. „Die Mischung ist perfekt.“

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Ob projektorientierte Arbeitsweise, Strategieentwicklung im Gremium oder Umgang mit psychischen Belastungen: Das Talenteprogramm bereitet darauf vor, Führungsaufgaben zu übernehmen.

Fotos (2): Kai Daniel Königshausen

Das ist kein Zufall. „Wir machen keine Seminarreihe aus dem Lehrbuch, sondern eine aus der Praxis für die Praxis“, beschreibt Referentin Isolde Fischer das Talenteprogramm, welches erstmals auf Landesbezirksebene stattfindet. Sie sieht sich als Coach und führt durch die Module, um die Talente individuell gezielt zu fördern. In jedem Modul steht ihr eine Co-Referentin oder ein Co-Referent aus der Betriebsratspraxis zur Seite. Ziel der Qualifikation ist es unter anderem, dass alle ein fertig ausgearbeitetes Projekt in ihren Betrieb zurücktragen und vor Ort umsetzen. Andreas Bär etwa entwickelt ein Nachsorgeprogramm für Nachwuchskräfte, damit diese den Betriebsrat nach Ausbildungsabschluss als starken Partner an ihrer Seite wissen. „Wir sollten alles dafür tun, unsere Fachkräfte zu halten“, lautet sein Ziel. „Herausfordernd an diesem Projekt ist es, dass es nicht starr sein darf. Die Generation Z tickt anders als wir und die Generation Alpha steht bereits in den Startlöchern.“

Beide setzen Prioritäten anders, als die Generation der Babyboomer es jahrzehntelang gewohnt war. „Geld ist für uns nicht mehr der größte Antrieb“, weiß Nike Wilfing, Betriebsratsmitglied bei Fuchs. Mit 27 Jahren gehört sie zur Generation Z. „Es ist super, dass wir uns im Talenteprogramm auch mit dem Blick einer anderen Generation auseinandersetzen. Dieses gegenseitige Lernen ist für mich extrem wertvoll.“ Dank des anfangs erstellten „Quickchecks“ weiß sie um ihre Stärken und Schwächen und will sich nun insbesondere dem Thema Zeitmanagement und der Technik und Anwendung von Tarifverträgen verstärkt widmen.

Geld ist für uns nicht mehr der größte Antrieb

Nike Wilfing,
Betriebsratsmitglied bei Fuchs

Hochaktuell und immer wieder individuell sind die Projekte, die die Teilnehmenden erarbeiten. Selbst das Thema künstliche Intelligenz (KI) spielt eine Rolle. Im Seminar äußerten einige ihre Bedenken, aufgrund unklarer Inhalte und Auswirkungen der KI womöglich zu früh das falsche zu regeln. „Deshalb diskutieren wir Ideen, wie wir im Gremium dieser Gefahr begegnen könnten“, berichtet Co-Referentin Irmtraud Schneele-Schultheiß, Betriebsratsvorsitzende bei Sun Chemical Besigheim. Aus ihrem großen Erfahrungsschatz, wie sie Dinge im täglichen Alltag umsetzt, kann sie die Gruppe wertvoll unterstützen. Dazu gehören auch „Dos and Don’ts“ bei Betriebs­vereinbarungen.

Im südlichen Baden-Württemberg ist Christos Koulelis einer der Nominierten. Seit mehr als 20 Jahren ist er bereits im Betriebsrat beim Pharmahersteller Takeda. Hier könnte demnächst ein Generationenwechsel anstehen. Der Bezirk Freiburg hat den 50-Jährigen dazu motiviert, an der Qualifizierung teilzunehmen. Zwei der sieben Module hat er bereits abgeschlossen. Auch er lobt das Seminarkonzept: „Wir stehen untereinander alle auf Augenhöhe, wissen, worüber wir reden.“


Zum Hintergrund

Die Weiterqualifizierung, ursprünglich maßgeblich entwickelt im Bezirk Mannheim, findet erstmals auf Landesbezirksebene statt unterteilt in das nördliche und das südliche Baden-Württemberg. Die Seminarreihe besteht aus sieben Modulen über jeweils zweieinhalb Tage, die in einem Zeitraum von anderthalb Jahren stattfinden. Betriebsratsspitze und jeweiliger Bezirk nominieren aus interessierten Betriebsratsmitgliedern diejenigen, die zur Übernahme von Verantwortung in Bezirk und Gremium qualifiziert sind.