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Abkehr von fossilen Brennstoffen: Die Ardagh investiert in eine hybride Schmelzwanne.

Foto: Ardagh

Auf dem Weg

Text Michaela Ludwig

Unsere Industrie steht vor der Jahrhundertaufgabe, ihre Produktion klimaneutral umzubauen. Erste Unternehmen im Landesbezirk zeigen, wie die Energiewende im Betrieb gelingen soll.

Die ersten braunen Glasflaschen, die Anfang November vom Band liefen, markierten einen Wendepunkt in der Glasproduktion der Ardagh am Standort Obernkirchen: Mit dem Anfahren einer neuen Schmelzwanne ist das Unternehmen dem Ziel der Dekarbonisierung seiner Produktion einen großen Schritt näher gekommen.

Durch eine innovative Hybridtechnologie kann die sogenannte Next-Gen-Schmelzwanne mit verschiedenen Energien betrieben werden. Während im herkömmlichen Produktionsprozess ein Energiemix aus etwa 90 Prozent Gas und 10 Prozent Strom benötigt wird, lässt sich der Anteil von Strom nun auf 80 Prozent erhöhen. Dieser stammt ausschließlich aus erneuerbaren Energien.

Während alle Unternehmen, nicht zuletzt aufgrund der hohen Energiekosten, mit Effizienzmaßnahmen an der Senkung ihres Energieverbrauchs arbeiten, beginnen die ersten parallel dazu die eigene Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auszubauen. So setzen Unternehmen wie Steinbeis Papier aus Glückstadt auf Reststoffverbrennung, viele andere auf Fotovoltaik. Gerflor aus Delmenhorst setzt bereits seit 2019 ein Konzept zur Nutzung von Solarenergie um. Aktuell produziert der Linoleumhersteller fünf Megawatt Strom auf seinen Anlagendächern und kann das firmeneigene Blockheizkraftwerk ersetzen. „Unseren gasbetriebenen Dampferzeuger müssen wir mittlerweile nur noch einmal täglich hochfahren“, berichtet der Betriebsratsvorsitzende Frank Heyna. „Perspektivisch wird auch er auf Strom umgestellt.“ Auch der Druckfarbenhersteller Sun Chemical aus Osterode bezieht einen Teil seines Stroms aus seiner 0,78-Megawatt-Fotovoltaik-Anlage. „An guten Tagen sind wir tagsüber autark“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Björn Mackensen. „Da wir in drei Schichten produzieren, müssen wir allerdings nachts Strom zukaufen.“

Petra Adolph (links): Der Brückenstrompreis ist notwendig, um die Transformationsprojekte in den Unternehmen nicht zu gefährden.

Foto: IGBCE

Die Nutzung von Windenergie mit eigenen Windrädern auf Firmengrund ist wegen geltender Bestimmungen meist nicht möglich. Allerdings bieten die Nordländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein aufgrund ihrer Nähe zu den großen Windparks auf See und an der Küste enorme Standortvorteile, die es zu nutzen gilt. So betonte Laura Pooth, Vorsitzende des DGB Nord, im Herbst auf der Kieler Transformationskonferenz: „Hier im Norden haben wir alle Chancen, den Wandel gut zu gestalten. Wir haben Sonne, Wind und Wasser.“ Schleswig-Holstein bezieht bereits einen Großteil seiner Energie aus Erneuerbaren und beabsichtigt nach den Worten seines Ministerpräsidenten Daniel Günther bis 2040 der erste klimaneutrale Industriestandort in Deutschland zu werden. Dazu seien jedoch staatliche Investitionszusagen unerlässlich, betonte die stellvertretende Vorsitzende im IGBCE-Landesbezirk Nord, Petra Adolph. „Wir brauchen jetzt den Brückenstrompreis, um die Transformationsprojekte in den energieintensiven Unternehmen nicht zu gefährden.“

Wesentlich seien darüber hinaus beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie notwendige gesetzliche Rahmenbedingungen. Dies sind Voraussetzungen, damit große Unternehmen wie die BP-Raffinerie in Lingen oder die Heide-Raffinerie ihre fertigen Pläne zum Aufbau der Produktion von grünem Wasserstoff realisieren und „grün“ werden können.