Arbeit & Gesellschaft

Kompass

Wie stärken wir die Wirtschaft?

Protokoll Inken Hägermann – Illustration Eugen Schulz

Die Lage in Deutschlands Industrie ist angespannt. Welche Ideen und Pläne haben die Parteien, um den Unternehmen zu helfen? Im Wahl-Extra des Kompass-Talks hat der IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis bei Vertretern der demokratischen Parteien im Bundestag nachgefragt.

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Die Branchen der IGBCE sind in großer Sorge angesichts der aktuellen Lage. Wir haben Krise, zumindest in den energieintensiven Bereichen. Deshalb die Frage: Was haben Ihre Parteien zu Transformations- und Wirtschaftspolitik, zu Zukunftsinvestitionen, Industriepolitik und Rahmenbedingungen für Gute Arbeit zu sagen?

Foto: FDP

Marco Buschmann, FDP, Mitglied des Deutschen Bundestages (2009 bis 2013 und seit 2017), war von 2021 bis 2024 Bundesminister der Justiz. Seit Dezember 2024 ist er Generalsekretär der FDP.

Marco Buschmann: Ich denke, wir haben das gemeinsame Ziel, dass in Deutschland auch in Zukunft In­dus­trie stattfinden kann. Im Moment verlieren wir jeden Monat 10.000 industrielle Arbeitsplätze in Deutschland. Das ist ein Trend, den wir nicht nur stoppen, sondern umkehren müssen. Denn bei diesen Arbeitsplätzen handelt es sich in der Regel um sehr gut bezahlte Jobs. Dann müssen wir dafür sorgen, dass der Abbau von Kapitalstock in Deutschland endet und bei der Stellschraube Unternehmenssteuern etwas dafür tun, dass wieder mehr von privater Seite investiert wird. Und wir müssen uns überlegen, wie wir die Kosten für die Energieversorgung senken. Das wird man nicht dauerhaft mit Subventionen in den Griff bekommen. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, ergänzend auch andere Energiequellen in Betracht zu ziehen, etwa Minireaktoren. Ich weiß, dass ist ein heißes Eisen, aber als Industrienation braucht man auch einen Plan B bei der Energieversorgung. Und wir brauchen eine radikale Umkehr bei der Verbürokratisierung industrieller Verarbeitung.

Wir müssen den Standort attraktiver für Investitionen machen und die Standortbedingungen verbessern.

Jens Spahn,
stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Foto: Tobias Koch

Jens Spahn, CDU, seit 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages, war von 2018 bis 2021 Bundesminister für Gesundheit. Seit Dezember 2021 ist er stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Jens Spahn: Wir stecken seit zwei Jahren in einer Rezession und brauchen deswegen jetzt eine Wende in der Wirtschaftspolitik und ein ehrlich gemeintes Bekenntnis zum Industriestandort und zu Wachstum. Wachstum ist die Voraussetzung für alles andere: für gute Löhne und Renten, für Infrastruktur, gute Schulen, Sozialleistungen. Wir müssen den Standort attraktiver für Investitionen machen und die Standortbedingungen verbessern. Wir fordern konkret Bürokratieabbau, unter anderem müssen wir das deutsche Lieferkettengesetz und die EU-Taxonomie wie etwa Reach abschaffen. Wir müssen die Steuern senken, sowohl für Unternehmen als auch für Beschäftigte. Und wir müssen die Energiekosten senken: Wir streben eine Entlastung von mindestens fünf Cent pro Kilowattstunde an. Dafür wollen wir die Stromsteuer dauerhaft für alle auf das europäische Mindestmaß senken und die Netzentgelte reduzieren.

Wir wollen starke Gewerkschaften, die gute Löhne und Arbeitsbedingungen aushandeln.

Matthias Miersch,
stellver­tretender Vorsitzender der SPD-Bundes­tagsfraktion

Foto: Jason Mitchell

Matthias Miersch, SPD, seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestages, ist seit Dezem­ber 2017 stellver­tretender Vorsitzender der SPD-Bundes­tagsfraktion und seit Oktober 2024 kommissarischer Generalsekretär der SPD.

Matthias Miersch: Wenn Jens Spahn von Rezession spricht, muss man daran erinnern, dass die Bundesregierung wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor riesigen Herausforderungen stand. In der Situation hat die Ampel die Energieversorgung gerettet, mit milliardenschweren Energiepreisbremsen, die Industrie und der Bevölkerung zugutegekommen sind. Die Union hat damals gegen diese Maßnahmen gestimmt. Wenn wir jetzt nach vorn schauen, ist für die SPD Folgendes wichtig: Zum einen Gute Arbeit und das klare Bekenntnis zur Tarifpartnerschaft; wir wollen starke Gewerkschaften, die gute Löhne und Arbeitsbedingungen aushandeln. Und natürlich müssen wir den Standort Deutschland mit guten Rahmenbedingungen ausstatten; derzeit investieren wir nicht ausreichend. Deswegen ist eine Reform der Schuldenbremse unabdingbar. Investitionen sind entscheidend, um die Transformation zu stemmen, das sagt übrigens nicht nur die SPD, sondern auch der BDI. Außerdem wollen wir mit dem „Made in Germany“-Bonus über Zuschüsse und Steuergutschriften sehr dosiert und zielgenau Unternehmen mit heimischer Produktion fördern und damit Investitionen anreizen.

Das Wahl-Extra des Kompass-Talks in der Hauptverwaltung der IGBCE: Auf der Bühne sprachen IGBCE-Vorsitzender Michael Vassiliadis und Marco Buschmann (FDP) mit Matthias Miersch (SPD) und Jens Spahn (CDU), die per Stream zugeschaltet waren.

Foto: Alexander Reupke

Auch wir sagen, Steuerpolitik kann einen Beitrag leisten, ebenso wie der Abbau von Überregulierungen und Investitionsanreize. Aber warum reden wir nicht mal über ein Konjunkturprogramm, wie es die IGBCE fordert? Das gibt es in keinem Wahlprogramm.

Buschmann: Steuerpolitik kann helfen, die Konjunktur anzukurbeln. Jemand, der nach IGBCE-Tarifvertrag bezahlt wird, sollte nicht den Spitzensteuersatz in Deutschland zahlen – das ist aber aktuell der Fall. Das ist unfair. Denn das sind ganz normale Leute aus der Mitte der Gesellschaft. Wenn man denen mit Steuerpolitik ein wenig mehr Luft verschafft, lässt man ihnen auch mehr Luft, zu konsumieren. Konjunkturprogramme haben zwar eine gewisse Wirkung, aber die lässt schnell nach. Deswegen halten wir Liberale es für besser, eine angebotsorientierte Politik zu machen, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das hat einen nachhaltigeren Effekt.

Spahn: Ein Konjunkturprogramm geht am eigentlichen Problem vorbei. Wir haben kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem. Der größte Wohlstandsverlust in der Geschichte der Bundesrepublik war die Inflation der vergangenen Jahre, wir sind weltweit das einzige Industrieland, das schrumpft. Deswegen wird in Deutschland nicht investiert und die Konsumenten kaufen nicht. Nur wegen einiger Abschreibungsverbesserungen wird ein Unternehmen keine neuen Maschinen kaufen, wenn der Standort nicht attraktiv ist und man damit kein Geld verdienen kann. Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, helfen auch milliardenschwere Konjunkturprogramme nicht.

Miersch: Wir haben viel getan, um die Energiepreise zu stabilisieren und wir hatten weitere Pläne, allerdings hat uns das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem vergangenen Jahr zum Haushalt vor große Probleme gestellt, die wir jetzt politisch lösen müssen. Wir sind deswegen überzeugt, dass die Schuldenbremse reformiert werden muss, um Infrastruktur modernisieren zu können. Wir brauchen diese Luft für neue Investitionen.

Statt 2045 als Ziel für die Klimaneutralität sollten wir das europäische Ziel 2050 auch in Deutschland anpeilen.

Marco Buschmann,
Generalsekretär der FDP

Wie stehen Sie zur Notwendigkeit von Klimaschutz und Klimaneutralität? Wir teilen das Ziel – aber müssen wir nicht ehrlicher die Frage stellen, wie die Transformation zu schaffen ist?

Buschmann: Wir verfolgen weiter das Ziel der Klimaneutralität, aber wir glauben auch, dass wir uns als Land überfordern mit den aktuellen Zielen. Wir haben uns eingeredet, dass wir diese schwierige Aufgabe nicht nur schultern können, sondern auch noch schneller und besser als die anderen. Wir erleben einen deutschen Sonderweg in der Klimapolitik. Aber dieser Plan geht nicht auf, die Kosten sind aus dem Ruder gelaufen. Ist die Idee Klimaneutralität bis 2045 also noch realistisch? Ich sage Nein. Das ist keine Absage an die Klimaneutralität. Aber Deutschland sollte seine Maßnahmen an seine Möglichkeiten anpassen. Statt 2045 als Ziel für die Klimaneutralität sollten wir das europäische Ziel 2050 auch in Deutschland anpeilen das ist schon anstrengend genug.

Spahn: Es gibt da diesen Glaubenssatz: Sonne und Wind schicken keine Rechnung. Der stimmt nicht: Sie schicken eine ziemlich hohe Rechnung über die Netzentgelte. Unter vernünftigen Bedingungen, wenn Kosten und Wirkung in einem vernünftigen Verhältnis liegen, ist das Ziel Klimaneutralität leistbar. Die aktuelle Regierung sagt dazu: Transformation bringt Wachstum. Wie wir alle gesehen haben, hat das zuletzt nicht geklappt. Wir sagen: Wachstum ist die Voraussetzung dafür, dass Industrie und Gesellschaft in Transformation investieren können. Und wer glaubt, die deutsche Industrie sei nur mit Wind und Sonne zu fahren, ist naiv und hat nicht verstanden, wie die Hütte brennt. Um mal konkret zu werden: Wir bieten jetzt und hier der Bundesregierung an, ihren aktuellen Gesetzentwurf zum Thema CCS und CCU (CO2-Abscheidung und Speicherung beziehungsweise Nutzung) noch in dieser Legislatur zu beschließen.* Das kostet nichts, ist technologieoffen und gibt den Unternehmen neue Möglichkeiten. Statt Investitionen in die Goldrandlösung Wasserstoff zu pumpen, sollte man erst mal Gaskraftwerke mit CCS betreiben. Das wäre sehr ­pragmatisch.

Miersch: Das Angebot gebe ich gern zurück: Auch das Problem der Netzentgelte könnten wir noch in dieser Legislatur beseitigen, wir bieten seit Monaten an, dort eine kurzfristige Lösung zu finden. Gern können wir auch über CCS und CCU diskutieren. Allerdings sollten wir uns genau überlegen, was wir mit dieser Technologie anstellen. Für die SPD steht fest, dass CCS kein Ausweichmechanismus sein darf, um sich um andere Maßnahmen drücken zu können.

In den Parteiprogrammen gibt es große Unterschiede beim Blick auf den Sozialstaat und wie sie auf Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen schauen. Was hat die SPD vor?

Miersch: Die Frage, inwieweit unser Sozialstaat zukunftsfähig ist, ist zentral. Man kann die Unterschiede zwischen den Parteien da ganz gut sehen, etwa bei dem aktuellen Vorstoß zum Thema Karenztag bei Krankmeldungen, den wir ablehnen andere hingegen nicht. Wir registrieren zudem, dass die Union keine Bereitschaft zeigt, das Rentenniveau gesetzlich abzusichern, das ist fatal. Denn das bedeutet indirekt eine Rentenkürzung. Auch die Diskussionen um eine Anhebung des Renteneintrittsalters innerhalb der Union offenbart die Unterschiede, ebenso die Vorschläge zur ­Steuerpolitik.

Spahn: Die Frage, wie sich die Renten entwickeln, hat vor allem mit dem Thema Wachstum zu tun. Ich habe es schon gesagt: Wachstum ist die Voraussetzung für alles andere, auch für Rente, Kranken-, Pflegeversicherung. Deswegen ist es entscheidend, dass wir alles andere diesem Thema unterordnen. Ich möchte außerdem das Bürgergeld ansprechen, das in der Bevölkerung für große Verärgerung sorgt, weil es ihr Gerechtigkeitsempfinden angreift. Viele wünschen sich, dass diejenigen, die arbeiten können, auch arbeiten gehen. Wer erwerbsfähig ist, sollte anpacken und sich nicht darauf verlassen, dass die anderen schon für ihn zahlen.

Buschmann: Wachstum ist die Voraussetzung für vieles, da stimme ich Herrn Spahn zu. Allerdings gibt es ein Problem, dass uns bei der Nachhaltigkeit der Sozialsysteme zu schaffen macht: die Demografie. Das werden wir mit Wachstum allein nicht lösen. Derzeit haben wir ein Umlagesystem. Weil es immer mehr Ältere gibt, die Leistungsbezieher sind, und immer weniger Junge, die einzahlen, gerät das System in Schieflage. Wir werden nicht darum herumkommen, Teile der Finanzierung am Kapitalmarkt zu generieren. Wir müssen in die Kapitaldeckung gehen, um die demografische Schlagseite ausbalancieren zu können.

Vielen Dank.

IGBCE Kompass: Den Polit-Talk mit Michael Vassiliadis und Gast kannst du in voller Länge nicht nur in der digitalen Ausgabe dieses Magazins sehen und hören, sondern auch über die „Meine IGBCE“-App, im Web bei igbce.de sowie auf dem Youtube-Kanal deiner Gewerkschaft und auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Dort lässt er sich auch leicht abonnieren.

* Dieser Gesetzentwurf ist in den letzten Sitzungen des alten Parlaments Ende Januar nicht beschlossen worden.