Menschen & Gemeinschaft

Ein starkes Team

Mario Unger (rechts), Chef der IGBCE-Ortsgruppe Weddinghofen, und sein Vize Reinhard Schmidt halten die Gruppe auf Trab und haben viel Spaß dabei.

Geschätzt und gefürchtet

Text Susanne Rohlfing – Fotos Moritz Küstner

Die IGBCE-Ortsgruppe Weddinghofen legt Wert auf Geselligkeit, etwa beim jährlichen Skatturnier. Dem Vorsitzenden Mario Unger sind aber auch die basisdemokratischen Grundfesten der Gewerkschaftsarbeit ein Anliegen, entsprechend deutlich tritt die Gruppe im örtlichen Politikgeschehen auf – mit so manchem Erfolg.

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Der 24. Mann fehlt. Aber die IGBCE-Ortgruppe Weddinghofen hat schon ganz andere Probleme gelöst. Mario Unger, der erste Vorsitzende, übertönt freundlich, aber bestimmt das ratlose Gemurmel an den sechs Tischen im Gemeinschaftshaus des Kleingärtnervereins Im Krähenwinkel. Alle Namen werden noch einmal durchgegangen. Dann macht sich ein Suchtrupp auf den Weg nach draußen und kurz darauf kommt der fehlende Teilnehmer mit einem entschuldigenden Grinsen im Gesicht hereingetrottet. Er hatte noch ein Nickerchen in seiner Gartenlaube gehalten. Aber jetzt ist er da, jetzt kann es losgehen.

In den nächsten Stunden spielen 24 Männer, jeweils vier an jedem der sechs Tische, eine Runde Skat nach der anderen. Zweimal 48 Partien. In der Pause werden die Tischbesetzungen neu zusammengelost. Die Stimmung: irgendwo zwischen konzentriert und fröhlich. Das Spiel wird ernst genommen. Quatschen, scherzen, ein bisschen frotzeln sind aber auch erlaubt, fast schon gefordert. „Das Wichtigste ist die Geselligkeit“, sagt Unger.

Zu Besuch beim Skatturnier

Beim Skatturnier der Ortsgruppe erklärt Mario Unger im Gemeinschaftshaus des Kleingärtnervereins Im Krähenwinkel noch einmal die Regeln.

Viel mehr als ein antiquiertes Hobby

Ein Grüppchen also, das ein etwas antiquiertes Hobby am Leben hält? Weit gefehlt! Die 350 Mitglieder starke IGBCE-Ortsgruppe ist in Weddinghofen, einem Ortsteil des nordrhein-westfälischen Bergkamens mit 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern, eine geschätzte und gefürchtete Institution. „Wenn Probleme auftauchen im Ort, dann werden wir angesprochen“, sagt Unger. Weil die Menschen wissen, dass sich die Gruppe für ihre Belange starkmacht. Das ist Basisdemokratie, wie sie sein soll. „Bei uns hat jedes Mitglied die Möglichkeit, bei Entscheidungen mitzureden, von denen es betroffen ist“, sagt Unger.

Unger war Bergmann, sein Stellvertreter Reinhard Schmidt war in der Chemiebranche tätig. Gemeinsam halten sie ihre Gruppe auf Trab. „Die Ortsgruppen bilden die Basis der IGBCE“, betont Unger. „Hier fließen nicht nur Informationen ein, sondern auch Informationen an die einzelnen Gremien der IGBCE ab.“ In der Ortsgruppe Weddinghofen kämen viele Kolleginnen und Kollegen aus ganz verschiedenen Betrieben zusammen, da finde ein reger Meinungsaustausch statt.

Beim Skatturnier schaut der örtliche SPD-Stadtratsabgeordnete Jens Schmülling als geladener Gast zu. Er trinkt Bier, seine Frau ein Glas Sekt. Sie bekommen belegte Brötchen serviert. Man kennt sich. Man mag sich. Man respektiert sich. „Die Bergleute sind eine sehr meinungsstarke Gruppe“, betont Schmülling. „Die sagen ohne große Worthülsen, was Mist ist. Da muss man schon hinhören.“

Mario Unger leitet die Gruppe seit zwanzig Jahren. So lange gibt es auch schon das jährliche Skatturnier am Nachmittag des Volkstrauertags. Am Vormittag ist ein Trauermarsch zum Gedenken der in den Weltkriegen Gefallenen Pflicht. Später sitzt man dann im Kleingärtnerverein beim Kartenspiel zusammen. Das dortige Vereinsheim ist zur Heimat der Gruppe geworden, seit die ehemalige Stammkneipe Zum schrägen Otto geschlossen hat.

Wir machen ein bisschen Dampf!

Mario Unger,
Vorsitzender der IGBCE-Ortgruppe Weddinghofen

Manfred Müller aus dem Vorstand der Ortsgruppe sagt, es werde immer schwerer, Nachwuchs zu finden.

Bergleute prägen die Ortsgruppen

In den 1980er-, 1990er-Jahren war Bergkamen die größte Bergbaustadt Europas. „Da spielte hier noch die Musik“, sagt Unger. Auch nach dem Kohleausstieg prägen bis heute Bergleute die hiesigen Ortsgruppen der IGBCE. Etwa 220 der rund 350 Mitglieder in Weddinghofen seien Vorruheständler aus dem Bergbau. Die anderen rund 130 stünden aktiv im Berufsleben, zumeist in der Chemiebranche, etwa bei Bayer oder Lanxess, erklärt Unger.

Der 61-Jährige ist selbst seit 1981 Mitglied der IGBCE, damals begann er seine Ausbildung zum Betriebsschlosser. Manfred Müller, heute Ungers rechte Hand und Beisitzer im Vorstand der Ortsgruppe Weddinghofen, ist noch länger dabei. Er trat 1975 in die IGBCE ein – mit dem Beginn seiner Ausbildung zum Elektriker unter Tage. „Das war meine zweite Unterschrift nach der unter dem Arbeitsvertrag“, erzählt er. Das sei Standard gewesen damals. Heute ist es viel schwieriger geworden, Nachwuchs zu rekrutieren.

Für Mario Unger wurde die Gewerkschaftsarbeit schnell zu einem Steckenpferd. In der Zeche Haus Aden war er 25 Jahre lang im Betriebsrat. Und in der Ortsgruppe Oberaden der IGBCE kam er als Jugendleiter, Bildungsobmann und Schriftführer zum Einsatz. Nach seinem Umzug nach Weddinghofen wechselte er in die dortige Ortsgruppe. Heute ist er dort als Vorsitzender die treibende Kraft für einerseits Geselligkeit unter den Mitgliedern und andererseits politische Einmischung im Stadtteil. Auch wenn der Bergbau in Bergkamen Geschichte ist, die Gemeinschaft der Bergmänner ist geblieben.

Manfred Müller war 25 Jahre lang der Hauskassierer der Ortsgruppe. Er klingelte an den Türen der Gewerkschaftsmitglieder und sammelte die Beiträge ein. Waren die Lohntüten schon leer, wenn er kam, blieben die Türen geschlossen. Dabei war Müller nicht nur Geldeintreiber, sondern auch Ansprechpartner. Ihn konnte man fragen, ihm konnte man sein Leid klagen, er lieferte Informationen. Als Hauskassierer war Müller für die Mitglieder der direkte Draht in die Gewerkschaft. Heute gibt es andere Wege, an die Beiträge zu kommen. Aber Kontakt und Austausch mit der Basis sucht der Vorstand noch immer über Hauskassierer. Was bewegt die Menschen im Ort? Welche Sorgen plagen sie? Was kann dagegen unter­nommen ­werden?

Das Skatturnier ist nur eine von vielen Aktivitäten. Wichtig ist dem Vorstand, sich politisch einzumischen.

Die 24 Teilnehmer des Turniers nehmen das Spiel sehr ernst. Aber im Mittelpunkt stehen Austausch und Geselligkeit.

Um die Sorgen und Wünsche der Mitglieder politisch geltend zu machen, hat Unger in Weddinghofen einen politischen Frühschoppen ins Leben gerufen. Einmal pro Jahr lädt die Ortsgruppe der IGBCE dazu ein. Aus allen Parteien des Stadtrats kommt dann, wer Rang und Namen hat. „Wir sagen unsere Meinung und machen ein bisschen Dampf“, so lautet Ungers eindeutige Umschreibung für das Event. SPD-Politiker Schmülling stellt heraus: „Das ist keine Klatsch- und Tratschveranstaltung. Die wollen Antworten, keine Ausreden.“

Aktuelles Dauerthema ist die Nahversorgung im Ort. Ein Supermarkt für 10.000 zunehmend ältere Einwohnerinnen und Einwohner das ist einfach zu wenig. Manchmal sei es so gewesen, dass eine neue Lieferung schon wieder weg war, kaum dass sie es im Markt in die Regale geschafft hatte, erzählt Unger: „Die Leute wissen ja, wann der Lkw kommt.“ Inzwischen wurde der Supermarkt etwas umgebaut und das Sortiment wurde erweitert. Für wirkliche Entspannung würde aber wohl nur die Eröffnung eines zweiten Geschäfts sorgen. Gespräche liefen, sagt Unger. Langsam tut sich wohl was. Auch dank der Initiative der IGBCE-Leute.

„Es wird nicht alles möglich, was wir uns wünschen“, sagt Unger, „aber zumindest beschäftigt sich die Politik mit unseren Themen.“ So habe man entscheidend daran mitgewirkt, dass eine Umgehungsstraße gebaut wird. Und Mitte des Jahres wird ein öffentliches Multifunktionsspielfeld eingeweiht, das sich Jugendliche aus dem Ort schon lange gewünscht haben. Dort kann dann auch Basketball gespielt werden. „Es ist ja gut, wenn die was unternehmen, sich bewegen, Geselligkeit pflegen“, sagt Unger, da habe die IGBCE-Ortsgruppe gern unterstützt. Zumal die Nachwuchsgewinnung ein wichtiges Thema ist für Unger und seine Vorstandskollegen elf ältere Herren, die schon seit einer Ewigkeit zusammen­arbeiten.

„Der Nachwuchs ist leider noch nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen“, sagt Müller ohne Kummer in der Stimme, „die beschäftigen sich nicht so mit dem Vereinsleben, die sind lieber über Social Media vernetzt.“ Und Skat spielt von den Jüngeren kaum noch jemand. Aber Unger betont: „Wir halten es für elementar wichtig, dass die Ortsgruppen bestehen bleiben. Nur so können die Informationen der IGBCE fließen.“

Die Leute hier haben Herz.

Anja Petrat,
Mitglied der IGBCE-Ortsgruppe Weddinghofen

Geile Feste gemeinsam feiern

Müller erzählt, dass die Gruppe zu den Hochzeiten des Bergbaus rund 1.000 Mitglieder hatte. Und die Bergleute haben alle Skat gespielt, nach der Schicht oder am Wochenende in der Stammkneipe. Müllers Vater war schon in der Ortsgruppe engagiert, genauso im Kleingärtnerverein. Die Verquickung hat Tradition. Und die Geselligkeit auch. „Als ich Kind war, war hier richtig was los, da haben wir zum Tanz in den Mai die Turnhalle gemietet“, erzählt Müller.

„Geile Feste feiern“ – das sei für sie auch vor ein paar Jahren noch der Grund gewesen, der IGBCE-Ortsgruppe beizutreten, erzählt Anja Petrat. Sie ist eine von nur zehn Frauen unter den 350 Mitgliedern und kellnert beim Skatturnier. Ihr Mann Klaus spielt mit. „Was soll ich da allein zu Hause?“, fragt Petrat. Sie verteilt Getränke und hat mit ihrer 84 Jahre alten Mutter belegte Brötchen angerichtet. Zwischendurch gönnt sie sich ein kleines Glas Sekt mit der Frau des Stadtratabgeordneten.

Anja Petrat blickt auf die Männer an den insgesamt sechs Tischen, wie sie da Karten spielen, einander Anekdoten erzählen oder Probleme von heute diskutieren. „Die Leute hier haben Herz“, sagt Petrat. Sie lächelt dabei herzlich. Und zieht wieder los, um Getränke anzubieten und sich nach dem Wohl der Spieler zu informieren. Mario Unger teilt zwischendurch beim Beinevertreten mit, dass es bei ihm gut laufe. Er habe gerade drei Spiele in Folge gewonnen. Das macht ihm Spaß und steigert die Motivation, auch nächstes Jahr wieder zu zocken.

Der eigentliche Grund, der die Ortsgruppe der IGBCE in Weddinghofen zusammenhält, ist aber ein anderer: „Gerade jetzt, wo es um die Sicherung der Demokratie, den aufkommenden Rassismus und die wirtschaftlich schwierige Lage in Deutschland geht, ist es für uns wichtig, dass wir uns an den politischen Prozessen beteiligen.“ Und die große Politik fängt beim kleinen Skatturnier an.