Viele Aktionen im Südwesten
Die aktuelle Tarifrunde für die 20.000 Beschäftigten in der feinkeramischen Industrie (West) bestimmen Gewerkschaftsmitglieder aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland aktiv mit. Nach der zweiten Verhandlungsrunde vermissten sie Respekt und ein Angebot, das diese Bezeichnung auch verdient.
Konstruktiv gestaltete sich der Verlauf der Tarifrunde für die Beschäftigten in der feinkeramischen Industrie (West) bis zum Abschluss Mitte Juli (mehr dazu auf Seite 26) zunächst nicht. Die zweite Verhandlungsrunde auf Bundesebene brachte sogar etwas Unerwartetes: Die IGBCE brach, nachdem die Arbeitgeber ihr Angebot vorgelegt hatten, die Gespräche ab. „Das Angebot war so grottenschlecht und unverschämt, dass es keine Basis bot, um in ernsthafte Gespräche einzusteigen“, entrüstete sich IGBCE-Verhandlungsführerin Sabine Duckstein. Die gesamte IGBCE-Tarifkommission verließ den Verhandlungstisch.
Für Ralf Schäfer, Betriebsratsvorsitzender bei Rastal in Höhr-Grenzhausen, war das die richtige Entscheidung. „Was bleibt denn von einer Tabellenerhöhung von 120 Euro bei den Menschen hängen?“, kritisierte er einen Teil des Arbeitgeberangebots. Die rund 230 am Standort Beschäftigten würden einiges mehr erwarten. „Zumal wir als Rastal einen sehr, sehr guten Jahresstart hatten und viele Aufträge abarbeiten konnten. Klar wird das nächste Jahr schwieriger. Aber ein mögliches Zukunftsszenario 2024 kann doch nicht Teil eines Abschlusses sein, der 2023 mitberücksichtigt“, erwartet Schäfer.
Ich erwarte mehr Ernsthaftigkeit und Respekt.
Uwe FranÇois,
Betriebsratsvorsitzender Villeroy & Boch Fliesen
Susanne Wingertszahn stellte die Bedeutung von Tarifverträgen in den Mittelpunkt: „Sie sind das wichtigste Instrument, um Löhne, Arbeits- und damit auch Lebensbedingungen zu verbessern. Immer mehr Arbeitgeber stehlen sich aus der Verantwortung. Nur noch 50 Prozent der Beschäftigten fallen unter den Schutz eines Tarifvertrages. Das muss sich ändern“, forderte sie.
In Mainz strömten bei bestem Wetter über 800 Menschen auf den Liebfrauenplatz. Die Rede hielt Jennifer Otto, Bundesjugendvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Auch in unruhigen Zeiten stehen die Gewerkschaften zusammen und setzen ein solidarisches Zeichen“, kommentiert IGBCE-Gewerkschaftssekretärin Mareike Hanson. Hanson blickt auf einen erfolgreichen 1. Mai zurück: „Viele Besucher*innen tauschten sich auch an unserem IGBCE-Stand aus und waren froh, nach den Jahren der Pandemie wieder zusammenzukommen.“
Clemens Ellmaurer, Betriebsratsvorsitzender bei Deutsche Steinzeug Cremer & Breuer (DSCB) in Ötzingen, hängt die Verhandlungsatmosphäre noch immer nach. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Ellmaurer, der seit mehr als zehn Jahren Teil der Bundestarifkommission ist. „Nachdem die Arbeitgeberseite ihr ,Angebot‘ präsentiert hat, haben wir alle zusammengepackt und den Raum verlassen“, schildert er. Der Gewerkschafter macht sich Gedanken, wie es langfristig mit der Belegschaft weitergehen soll. 134 Beschäftigte arbeiten derzeit in Ötzingen, „einige davon in Lohngruppe 3 mit einem Stundenlohn von 13,65 Euro. Das ist nicht mehr weit vom künftigen Mindestlohn entfernt. Dann aber stellt sich umso mehr die Frage, mit welchen Argumenten wir neue Beschäftigte finden sollen.“ Schon jetzt fehlten der DSCB dringend benötigte Handwerkerinnen und Handwerker. Im Bereitschaftsdienst sei es zunehmend eine Herausforderung, Fachkräfte zu finden, die sich beispielsweise um die Anlagen kümmerten.
Uwe François, Betriebsratsvorsitzender bei Villeroy & Boch Fliesen und ebenfalls Mitglied der Bundestarifkommission, erwartet für die weiteren Gespräche „dringend mehr Ernsthaftigkeit und gegenseitigen Respekt. Das ist schließlich auch für uns selbstverständlich“, betont er. François ist sich bewusst, dass es nicht der gesamten Branche gut geht. „Aber einerseits ist den Kolleginnen und Kollegen aus der technischen Keramik unsere Forderung zu niedrig, sie war also schon ein Kompromiss. Andererseits boten wir explizit an, Lösungen für die Unternehmen zu finden, denen es wirtschaftlich nicht gut geht“, berichtet er. Das nahm die Arbeitgeberseite zur Kenntnis – mehr aber nicht.