Vor Ort

Nordrhein

„Aufgeben ist keine Option“

Text Leo Kölzer

Hohe Inflation und Energiepreise, Unternehmen in der Krise: Petra Kronen, Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Covestro Deutschland AG, im Interview.

Foto: Joachim Wintz

Wie wirkt sich der russische Angriffskrieg in der Ukraine auf euren Betrieb aus?
Der Angriffskrieg hat die bisherige Weltordnung von heute auf morgen quasi auf den Kopf gestellt. Neben all dem unerträglichen menschlichen Leid sind die Folgen und Auswirkungen bei uns in Deutschland deutlich spürbar. Infolgedessen sind auch die Energiekosten in die Höhe geschnellt und Lieferketten gestört. Insbesondere die hohen Energiepreise führen für uns bei Covestro zu einem international ungleichen Wettbewerb, denn unsere Herstellungskosten sind drastisch gestiegen. Die Folge: „Made in Germany“ ist zu teuer und unrentabel, unsere Anlagen wurden zurückgefahren und die Produkte in anderen Regionen hergestellt. Gleichzeitig ist die Nachfrage bei Covestro zurückgegangen – die Lager blieben voll, die Auftragsbücher leer. Das Resultat ist das bislang schlechteste Unternehmensergebnis unserer Firma. Geplante Investitionen wurden gestoppt.

Und dann ist da noch die Inflation.
Die hohe Inflation hat zusätzlich zum Rückgang der Nachfrage beigetragen. Die Menschen sind verunsichert und haben weniger Geld in der Tasche. Das spüren unsere Kolleginnen und Kollegen, aber eben auch unsere Abnehmerbranchen deutlich. Da überlegt man es sich zweimal, ob es jetzt die neue Matratze sein muss oder ob es die alte nicht noch ein bisschen länger tut.

Was setzt Covestro der -Entwicklung entgegen?
Das Unternehmen hat mit einem Kostensparprogramm reagiert. Zu den Sparmaßnahmen gehört das Herunterfahren einzelner Anlagen, Betriebsteile und Produktionsstraßen, aber auch das Nichtnachbesetzen von Stellen und das Aufschieben von Qualifizierungs- und Personalentwicklungsmaßnahmen. Mit großer Sorge sehen wir, dass dringend benötigte Investitionen unter anderem für Innovationen, Digitalisierung und neue Anlagen ausbleiben. So wird die Transformation unserer deutschen Standorte nicht gelingen.

Und was kommt von politischer Seite?
Wir finden schon Gehör in der Politik – das ist schon mal gut. Es geht mir alles nur zu langsam. Wir brauchen ein schnelles und entschlossenes Handeln der Politik und keine endlosen Diskussionen oder noch mehr Bürokratie, sonst verlieren wir in Deutschland immer mehr an Boden. Die Politik muss ihrer Verantwortung für unsere Betriebe und den damit verbundenen Arbeitsplätzen gerecht werden. Wir brauchen eine Industriepolitik, die Standort- und Beschäftigungssicherung in den Fokus des Handelns stellt – für Deutschland und Europa. Und das so schnell wie möglich. Jetzt gilt es zu verhindern, dass unsere mitbestimmten Arbeitsplätze nach China oder in die USA abwandern, weil wir hier in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können. Da müssen jetzt ganz schnell Lösungen auf den Tisch und eine davon muss heißen: Industriestrompreis!

Die Politik muss handeln.

Petra Kronen,
Gesamtbetriebsratsvorsitzende Covestro

Wie geht die Belegschaft mit all dem um?
Unsere Kolleginnen und Kollegen erfahren hautnah, was gerade los ist, und machen sich Sorgen um die Zukunft von Covestro. Sie bekommen mit, dass die Anlagen nicht auf Volllast fahren und dass Investitionen auf Eis gelegt sind. Sie spüren es aber auch im Portemonnaie. Trotz erbrachter Leistung und vollem Einsatz gab es keinen Bonus und individuelle Leistungen konnten auch nicht honoriert werden, weil die Budgets gestrichen wurden. Da nützt es auch nichts, dass es auch keine Dividende für die Aktionär*innen gab. Gleichzeitig merken sie bei jedem Einkauf die Teuerung. Das macht keine gute Laune.

Welche Rollen spielen dabei Gewerkschaft und Betriebsrat?
Als Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen sind wir nah bei den Beschäftigten, insofern haben wir ein gutes Bild von der Lage und der Stimmung. Das hilft uns als Betriebsrät*innen dabei, die richtigen Lösungen zu finden. Wir kommunizieren ehrlich und machen unseren Leuten nichts vor. Bisher konnten wir gute Regelungen treffen, um auch im Falle von Anlagenstillständen materielle Nachteile zu verhindern. Das geschieht natürlich immer in enger Abstimmung mit der IGBCE. Unser Faustpfand ist dabei unsere Gesamtbetriebsvereinbarung „Zukunftssicherung“. Unsere Kolleginnen und Kollegen wissen, dass die IGBCE sich für sie auf vielen Ebenen starkmacht und an viele Türen klopft, um auf die Situation aufmerksam zu machen – und das schätzen sie auch sehr. Betriebsräte und IGBCE sind da ein gutes Team, auch im gemeinsamen Auftritt gegenüber der Politik.

Was erwartest du vom Rest des Jahres?
Im Moment sehen wir ein bisschen Licht am Ende des Tunnels. Die Zahlen des ersten Quartals geben Anlass für mehr Optimismus, aber inwieweit wir davon auch in Deutschland profitieren, wird sich zeigen. Das wird sehr von der Unterstützung aus der Politik und den entsprechenden Rahmenbedingungen abhängen. Aufgeben ist keine Option, also werden wir uns weiter auf allen Ebenen einsetzen und, wenn es sein muss, noch lauter werden. Enkelfähige Arbeitsplätze in Deutschland sind jeden Kampf wert.


Über das Unternehmen

Covestro zählt zu den weltweit führenden Herstellern von hochwertigen Kunststoffen und deren Komponenten. Das Unternehmen beliefert rund um den Globus Kund*innen in Schlüsselindustrien wie Mobilität, Bauen und Wohnen sowie Elektro und Elektronik. Außerdem werden Polymere des Unternehmens in Bereichen wie Sport und Freizeit, Kosmetik, Gesundheit sowie in der Chemieindustrie selbst eingesetzt. Covestro richtet sich vollständig auf die Kreislaufwirtschaft aus und strebt an, bis 2035 operativ klimaneutral zu werden.

Im Geschäftsjahr 2022 erzielte der Konzern einen Umsatz von 18 Milliarden Euro. In Deutschland beschäftigt das Unternehmen rund 7.900 Mitarbeitende. Auf die drei NRW-Standorte Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen entfällt nahezu ein Drittel der gesamten weltweiten Produktionsmenge.

Mehr unter www.covestro.com