Arbeit & Gesellschaft

Interview

„Der Industriestrompreis beschleunigt die Transformation“

Jens Südekum,
Professor für internationale Volkswirtschaftslehre

Foto: Schmidt-Dominé

Deutschland diskutiert intensiv über die Einführung eines staatlich abgesicherten Industriestrompreises. Sie sprechen sich klar dafür aus. Warum?
Die energieintensiven Unternehmen in Deutschland stehen vor großen Heraus­for­de­run­gen. Es sind riesige Investitionen im Rahmen der Transformation nötig. Aber die Wettbewerbsfähigkeit hat gelitten, denn unsere Energiepreise sind nach der Krise deutlich höher als an anderen Standorten, insbesondere den USA. Zudem werden dort im Rahmen des Inflation Reduction Acts großzügige Subventionen für Ansiedlungen geboten. Hierauf müssen wir reagieren. Denn Deutschland ist sehr gut beraten, ein attraktiver Standort für zukunftsfähige Industrieproduktion zu bleiben. Davon hängt wirtschaftlich und gesellschaftlich sehr viel ab.

Kritiker*innen – darunter auch der Bundesfinanzminister bemängeln, von dem nun geplanten Konstrukt würde nur die Industrie profitieren, Kleinbetriebe und Steuerzahler*innen müssten die Zeche dafür bezahlen. Was entgegnen Sie diesem Argument?
Wenn es im großen Stil zu Verlagerungen kommt und die Industrieproduktion schrumpft, leiden alle darunter, auch viele Kleinbetriebe und Haushalte. Denn dann fallen Aufträge und Arbeitsplätze möglicherweise für immer weg. Zudem ist der Industriestrompreis ja nicht dauerhaft angelegt. Er soll eine Brücke bauen, bis die erneuerbaren Energien so weit ausgebaut sind, dass die Marktpreise spürbar sinken. Bis dahin müssen wir Sorge tragen, dass die industrielle Substanz erhalten bleibt, denn das ist schon das Rückgrat des deutschen Geschäftsmodells.

Klar ist: Die Absenkung des Preises auf die vorgeschlagenen sechs Cent pro Kilowattstunde würde den Staat Milliarden kosten. Woher soll das Geld kommen?
Die Bundesregierung hat für die Finanzierung der Strom- und Gaspreisbremse Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) geparkt. Das war der sogenannte Doppelwumms. Diese WSF-Mittel werden nun aber gar nicht in voller Höhe benötigt, es ist jede Menge übrig. Der Industriestrompreis ist nichts anderes als eine Verlängerung der bisherigen Strompreisbremse, bloß mit leicht veränderten Parametern. Die WSF-Mittel müssten also nicht einmal umgewidmet, sondern bloß zeitlich gestreckt werden. Die Finanzierung wäre darüber also gesichert.

Ist ein Industriestrompreis eher Bremse oder eher Katalysator einer klimagerechten Transformation der Industrie?
Die Transformation der Industrie basiert doch auf Elektrifizierung. Stahl soll zum Beispiel künftig mit Wasserstoff statt mit Koks hergestellt werden. Wenn die Unternehmen Planungs­sicher­heit bei den Strompreisen haben, werden sie die notwendigen Investitionen, etwa in Elektrolyse, früher durchführen. Der Industriestrompreis beschleunigt also die Transformation, indem er Unsicherheiten aus dem System nimmt.

Was erwarten Sie von Unternehmen, die von einem Industriestrompreis profitieren würden, als Gegenleistung?
Die Unternehmen, die den Industriestrompreis bekommen, müssen das zum Anlass für Investitionen und die Schaffung guter Arbeitsplätze nehmen. Das sollte mit entsprechenden Standortgarantien verbunden werden, notfalls auch mit Rückforderungen, wenn ein Unternehmen zuerst Subventionen kassiert und seine Produktion dann doch verlagert. Außerdem ist selbstverständlich, dass nur tarifgebundene Unternehmen in den Genuss dieser Förderung kommen dürfen.

Zur Person: Jens Südekum ist Professor für internationale Volkswirtschaftslehre am Düsseldorf Institute for Competition Economics an der Heinrich-Heine-Universität. Der Ökonom ist als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz zudem ein enger Berater der Bundesregierung in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen.