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Arbeitgebercheck

Foto: Picture Alliance/dpa | Swen Pförtner

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Holzmindener Paradoxon

Text Lars Ruzic

Der Duft- und Aromenkonzern Symrise erwirtschaftet seit Jahren satte Gewinne und eine Erfolgsgeschichte nach der anderen. Doch die Mitarbeitenden beschäftigt er noch immer zu Konditionen, als würde er tief in der Krise stecken.

Symrise

Bei kaum einem Unternehmen dürfte die Lücke zwischen öffentlicher Bekanntheit und Relevanz fürs Privatleben größer sein als bei Symrise. Den Namen des Dax-Konzerns kennen die wenigsten, doch jede*r kommt täglich in Berührung mit seinen Produkten – mitunter sogar 30-mal am Tag. Beim Essen, Trinken, Zähneputzen, Waschen, bei der Reinigung von Haus oder Kleidung, beim Tierefüttern. Symrise ist der weltweit drittgrößte Hersteller von Aromen, Duft- und Pflegestoffen. Seine Ingredienzien machen oft den entscheidenden Bestandteil eines Produktes aus – doch Lob (oder Tadel) dafür kassieren die Markenartikler, denen Symrise zuliefert und darüber schweigen muss. Die Arbeit im Verborgenen ist Geschäftsmodell – und bis heute auch ein wenig Teil der Unternehmenskultur. Dazu passt die Lage des Unternehmens, versteckt in den Tiefen des Weserberglands. Ausgerechnet in Holzminden, einer Stadt mit 20.000 Einwohner*innen, gab es mit der Bayer-Tochter Haarmann & Reimer und dem Familienbetrieb Dragoco einst gleich zwei traditionsreiche Vertreter dieser Branche bis 2003 ein Finanzinvestor beide Unternehmen kaufte und zu Symrise fusionierte. 20 Jahre danach ist die Eigentümerschaft breit gestreut und Symrise fest im Dax etabliert.

Gründung 2003 (durch Fusion)

Rechtsform AG, mitbestimmt

Börsengang 2006, im Dax seit 2021

Börsenwert 15 Mrd. Euro (Anfang Mai 2023)

Umsatz 2022 4,6 Mrd. Euro

Operativer Gewinn (EBITDA) 2022 922 Mio. Euro

Beschäftigte 12.000 (davon 3300 im Inland)

Arbeitsumgebung

In Holzminden, bis heute Herz des Konzerns, gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Die Bandbreite der Berufe ist größer als in jedem Chemiepark. Hinzu kommt beispielsweise eine Schar von Parfümeur*innen, die an den neuesten Duftkreationen arbeiten, oder Köch*innen, die die Gewürzmischungen der nächsten Generation entwickeln. In der Produktion braucht man schon zwei Hände, wenn man die unterschiedlichen Schichtsysteme zählen will. Kurz: Das eine Arbeitsumfeld gibt es bei Symrise nicht. Gemein ist allen nur, dass sie an einem Standort arbeiten, der sich inmitten einer Kleinstadt befindet.
Künftig dürfte die Zahl der Beschäftigten steigen, die in Holzminden keinen festen Arbeitsplatz (im räumlichen Sinn) mehr haben. Bereits 2019 haben Betriebsrat und Unternehmen eine Betriebsvereinbarung zur mobilen Arbeit geschlossen, bei der zwei Tage Homeoffice pro Woche möglich sind. Wer das allerdings mit seinem*seiner Chef*in vereinbart, verliert gleichzeitig das Anrecht auf seinen eigenen festen Arbeitsplatz und muss sich im Zweifel jeden Tag einen neuen suchen. Erste Pilotprojekte zeigen, dass sich drei Beschäftigte zwei Arbeitsplätze teilen können.

Betriebsklima

Es hat einige Jahre gedauert, bis sich eine gemeinsame Symrise-Identität ausgebildet hat. Anfangs erschwerte ein Clash der Kulturen die Fusion, denn trotz minimaler räumlicher Entfernung waren sich die beiden Beschäftigtengruppen maximal fremd. Hier die durch Konzernstrukturen geprägte Bayer-Tochter, dort das hemdsärmelige Familienunternehmen. Hinzu kam, dass die Investoren sich nach der Übernahme wenig um die Beschäftigten scherten. Sie überließen es Symrise, die Schulden für seine eigene Übernahme abzustottern, stiegen aus dem Arbeitgeberverband aus und drohten mit massiver Produktionsverlagerung nach Osteuropa. Erst ein Sanierungstarifvertrag der IGBCE mit massiven Zugeständnissen der Beschäftigten ermöglichte allen Seiten, nach vorn zu schauen.
Inzwischen haben viele Jahre mit zweistelligen Gewinnmargen und kräftigem Wachstum die Belegschaft selbstbewusster werden lassen. Der überwiegende Teil kommt aus der Region, was einen unprätentiösen und kollegialen Umgang untereinander fördert. Gesicht des einst gesichtslosen Konzerns ist Vorstandschef Heinz-Jürgen Bertram, den sie in Holzminden alle nur „Berti“ nennen. Er hat großen Anteil an der Symrise-Erfolgsgeschichte. Kehrseite: Zu viele Entscheidungen laufen über seinen Tisch, Mitarbeitende klagen über Mikromanagement und schwaches Führungspersonal in der weiteren Linie.

Mitbestimmung

Die innerbetriebliche Demokratie bei Symrise ist intakt. Es gibt einen starken Betriebsrat (21 Mitglieder), der Lösungen erarbeitet, wo der Schuh drückt. Beispiel Schichtarbeit: In einer Betriebsvereinbarung hat die Belegschaftsvertretung ein Pilotmodell für Teilzeit in Schicht durchgesetzt, das es Beschäftigten ermöglicht, die Arbeitszeit auf bis zu 33,6 Stunden zu verkürzen. So soll Schichtarbeit auch für Ältere attraktiv bleiben. Beispiel Europa: Vorbereitungen für die Gründung eines Euro-Betriebsrats sind angelaufen. Damit will man strategisch vorbauen und sich rüsten für mögliche Diskussionen über Kapazitätsverschiebungen zwischen den europäischen Standorten. Der Konzern hatte unlängst das Aromen- und Nahrungsmittelgeschäft zusammengelegt, was zu Überschneidungen führt. Ziel des Euro-Betriebsrats ist, dass nationale Belegschaftsvertretungen nicht gegeneinander ausgespielt werden und der Betriebsrat europaweit mit einer Stimme spricht.
Auch im Aufsichtsrat des Dax-Konzerns sind die Beschäftigten angemessen vertreten, stellen sechs der zwölf Mitglieder. Sie sind eng in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Im Unternehmen gibt es zudem eine große aktive Gruppe von mehr als 50 IGBCE-Vertrauensleuten, sodass die Beschäftigten überall Ansprechpersonen vorfinden, wenn sie Unterstützung suchen.

Tarifbindung

Bis heute verweigert Symrise die Rückkehr in den Arbeitgeberverband und in den Flächentarifvertrag der chemisch-pharmazeutischen Industrie – mit teilweise hanebüchenen Begründungen. So sieht man sich nicht als Chemieunternehmen, weil man viel mit natürlichen Einsatzstoffen arbeite. Der Kern des Widerstands ist ein anderer: Bis heute profitiert Symrise von dem in der Krise geschlossenen Haustarifvertrag, bei dem die Beschäftigten eine deutlich längere Arbeitszeit und den Verzicht auf viele Zusatzleistungen und Lohnbestandteile akzeptierten. Die Bedingungen dafür sind allerdings schon lange nicht mehr gegeben.
Für IGBCE und Betriebsrat ist deshalb klar, dass die Rückkehr in den Flächentarifvertrag das Ziel sein muss. Erste Schritte sind gemacht: Unter dem Druck von Demonstrationen und Aktionen Hunderter Beschäftigter gelang es 2021, die reguläre Arbeitszeit um eine auf 39 Stunden in der Woche zu reduzieren. In Schicht Arbeitende erhielten drei zusätzliche freie Tage pro Kalenderjahr. Bei den Verhandlungen zum Entgelttarifvertrag hat die IGBCE bei Symrise zudem ein Plus gegenüber der Einigung in der chemischen Industrie durchgesetzt. Zusätzlich zu den 3.000 Euro Inflationsgeld und der zweistufigen Entgelterhöhung um 6,5 Prozent erhalten die Symrise-Beschäftigten im Juli 2023 ein weiteres Entgeltplus von einem Prozent.

Zukunftsfähigkeit

Symrise hat das Geschäft in den vergangenen Jahren durch geschickte Zukäufe auf breitere Füße gestellt und ist dadurch kräftig gewachsen. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Umsatz mehr als verdreifacht. Neu hinzugekommen ist etwa das wachstumsstarke Geschäft mit Inhaltsstoffen für Tiernahrung, aber auch bei Kosmetikwirkstoffen hat Symrise das Geschäft erweitert.
Strategisch setzt der Konzern mehr und mehr auf natürliche Einsatzstoffe, aus denen man mit neuen Technologien noch effektiver Essenzen herstellt. Der Konzern hat Zugriff auf gewaltige Zitrusplantagen in Südamerika, große Vanilleanbaugebiete in Madagaskar – und die für nahezu alle würzigen Aromen entscheidenden Zwiebelessenzen werden aus Knollen gewonnen, die aus dem Weserbergland kommen. Die Symrise-Kundschaft aus der Nahrungs- und Drogeriebranche soll auf ihre Verpackungen schreiben können, dass sie nur natürliche Einsatzstoffe verwendet. Dieser Markt wird weiter wachsen.
Weltweit ist Symrise die Nummer drei der Branche, in der es nur wenige große Player gibt. Die Top 4 vereinen 60 Prozent des Weltmarktes auf sich. Derzeit stehen sie im Verdacht, Preise abgesprochen zu haben. EU-Kommission und andere Wettbewerbsbehörden ermitteln, in Holzminden wurden Büros durchsucht. Symrise sieht sich von den Vorwürfen nicht betroffen.

Das sagt Symrise

Das Unternehmen sieht sich als attraktiver Arbeitgeber „in einer Branche mit Perspektive“. Man biete viele Entwicklungsmöglichkeiten und wolle seine Auszubildenden mehrheitlich übernehmen. Die im Vergleich zur Branche schlechteren Konditionen räumt Symrise ein. Man habe begonnen, die alten Vereinbarungen „regelmäßig einer Revision zu unterziehen und Änderungen mit Augenmaß vorzunehmen“.

Unser Fazit

Symrise ist ein Paradebeispiel für einen „Hidden Champion“. Verborgen im Weserbergland, verborgen hinter großen Namen von Beiersdorf bis Unilever hat sich in den vergangenen Jahren ein Riese der Düfte, Aromen und Wirkstoffe entwickelt, der nicht nur eine erfolgreiche Zukunftsstrategie hat, sondern auch höchst profitabel und wachstumsstark ist. Der süße Duft des Erfolgs umweht den Dax-Konzern seit Jahren.
Umso unverständlicher ist es, dass die Symrise-Beschäftigten bis heute zu Konditionen arbeiten müssen, die alles andere als wohlriechend sind. Seit Jahren dringt die IGBCE auf die Abkehr von alten Krisenvereinbarungen und auf den Eintritt von Symrise in den Flächentarifvertrag. Erste Schritte sind gemacht, doch der Weg zu einem Arbeitgeber­champion ist noch weit.

Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten und Betriebsbetreuer*innen der IGBCE. Die zusammengetragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.