Arbeit & Gesellschaft

Kompass

„Es geht um die Demokratie“

Text Inken Hägermann – Illustration Eugen Schulz

In der siebten Ausgabe unseres Kompass-Talks diskutieren IGBCE-Chef Michael Vassiliadis und Jochen Kopelke, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), über die Frage: „Auf der Straße gegen rechts – und nun?“

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In den vergangenen Wochen gab es zig Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt im ganzen Land, Deutschland hat solche Massenkundgebungen mit Millionen Menschen auf der Straße lange nicht erlebt. Hat sich da eine neue Demokratiebewegung Bahn gebrochen, Michael?

Michael Vassiliadis: Ich glaube, unsere Demokratie ist stabiler, als das aktuell oft dargestellt wird. Häufig war in der Vergangenheit bei Diskussionen über rechtsextremistische Provokationen die Rede von einer schweigenden Mehrheit, die sich nicht positioniert. Ich glaube, viele aus dieser vermeintlich schweigenden Mehrheit sind jetzt auf die Straße gegangen, weil sie die Demokratie bedroht sehen und endlich aufstehen. Als Initialzündung muss man das Treffen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten in Potsdam sehen, bei dem offenbar Deportationsfantasien ausgetauscht wurden, danach hat sich die Empörung Bahn gebrochen. Auch vorher waren viele schon empört, aber erst dieses Ereignis hat dazu geführt, dass sich die liberale Öffentlichkeit bewegt hat. Und es ist extrem wichtig, dass das passiert ist. Nicht nur als Zeichen den Extremisten gegenüber, sondern auch als Selbstvergewisserung, dass man nicht allein ist.

Foto: Kay Herschelmann

Jochen Kopelke, geboren 1984, trat 2005 in den Polizeidienst ein, ab 2008 war er drei Jahre lang bei einer Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei Bremen, ab 2011 drei Jahre lang bei der Schutzpolizei in Bremen. Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist der Polizeioberrat seit 2005. 2014 wurde er zum Landesvorsitzenden der GdP Bremen gewählt, 2022 zum Bundesvorsitzenden der GdP.

Jochen, wie haben die Polizistinnen und Polizisten die Proteste wahrgenommen?

Jochen Kopelke: Die großen Demonstrationen und Kundgebungen, die in den vergangenen Monaten stattgefunden haben, waren einzigartig. Wir haben absolut friedlichen Protest mit absolut klaren Botschaften erlebt: gegen Nazis, gegen Rechtspopulismus, gegen Intoleranz. Das Bild der Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer war bunter denn je – und alle sind zusammengekommen, weil sie den Ernst der Lage erkannt haben: Es geht um die Demokratie. Für die Polizei war nur wenig zu tun: Wir haben die Verkehrslenkung gemacht und mussten angesichts der schieren Dimensionen der Veranstaltungen – wie etwa in Hamburg – dafür sorgen, dass die Menschenmassen sicher hin- und wieder nach Hause kommen.

Der AfD kann das offenbar nichts anhaben, die Zustimmungswerte in Umfragen sind im Wesentlichen gleich geblieben. Ist das Land wirklich gespalten?

Vassiliadis: So kann man das nicht sagen. Dass die Gesellschaft sich in Unsicherheit und Unruhe befindet, ist ja offenkundig. Das liegt auch an der Gleichzeitigkeit vieler Entwicklungen, wie Krieg in Europa, Inflation, Wohnungsnot das sind Bedrohungen, die spüren die Menschen. Über diese Sachthemen können und müssen Politiker natürlich streiten: Wie modernisieren wir die Gesellschaft, wie kriegt man Probleme in den Griff, was ist der richtige Weg, wie macht man das sozial gerecht und fair?

Wo steht da die AfD?

Vassiliadis: Im AfD-Programm steckt wenig drin an inhaltlicher Substanz zu Themen wie Rente, Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik. Das, was die Partei verbreitet, ist in Teilen rechtsextrem und kein Angebot für die breite Masse. Die Partei gilt übrigens nicht wegen ihres Namens als rechts, wie sie immer behauptet, sondern hat sich selbst in diese Lage manövriert. Sie hat in ihren Reihen Rechtsextremisten und grenzt sich nicht ab gegen Rechtsextremismus, viele AfD-Mitglieder spielen mit Nazi-Begriffen und -Optik, überschreiten ständig Grenzen, nur um das später wieder zu relativieren. Das ist kein inhaltlicher Politikstreit, sondern ein populistischer Angriff auf den Parlamentarismus und die Institutionen unserer Demokratie.

Kopelke: Ich denke, dass die aktuellen Umfragewerte von der AfD genutzt werden, um einen Hype darzustellen, der aber so nicht existiert. Denn das eine sind Umfragen und das andere sind die tatsächlichen Wahlergebnisse. Wer sich die Mühe macht, in die Wahlprogramme zu schauen, wird sehen, dass die AfD an keiner Stelle gute Antworten auf die drängenden Fragen hat. Sie verbreitet Ressentiments, Diffamierungen und Schubladendenken nichts davon ist in unserer heutigen Welt zielführend. Deswegen ist es richtig, dass die bunte Gesellschaft in Deutschland Antworten findet und sich starkmacht gegen Populismus.

Nichts aus dem AfD-Wahlprogramm ist zielführend.

Jochen Kopelke,
Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei

Vassiliadis: Was uns zu der Frage bringt: Warum hat es die AfD manchmal so leicht? Die Gesellschaft steht vor fundamentalen Problemen, etwa in der Sozialpolitik, der Sicherheitspolitik oder bei der Inflation. Darüber redet die AfD inhaltlich aber gar nicht nennenswert, sondern raunt von irgendwelchen Zuwanderern, die angeblich verantwortlich sind. Meine Empfehlung an die anderen Parteien: Die Themen Wohnen, Mobilität, Energie, Bildung, Sicherheit und Ernährung müssen an erster Stelle stehen und geregelt werden, damit nimmt man den Populisten viel Wind aus den Segeln.

Kopelke: Erinnerst du dich, dass wir als Gewerkschaften im Rahmen der Konzertierten Aktion zusammen mit der Bundesregierung und den Arbeitgebern den befürchteten heißen Herbst im Jahr 2022 verhindert haben? Wir haben dort die realen Probleme unserer Mitglieder geschildert und zusammen bewirkt, dass ein gemeinsamer Plan zur Reduzierung der Kosten im Energiebereich gefunden wurde. Das könnten wir auch jetzt erleben: Je mehr verschiedene Gruppen an einen Tisch kommen und einen Kompromiss finden, desto lösbarer werden die Probleme auch im Umgang mit rechtspopulistischen Positionen. Immer mehr Verbände positionieren sich klar gegen die AfD, weil die Partei menschenverachtendes Gedankengut verbreitet.

Vassiliadis: Das stimmt, nach mühsamen Gesprächen in der Gaskommission konnten wir Maßnahmen vereinbaren, die unseren Mitgliedern geholfen haben. Natürlich kann man diskutieren, ob auch Gutverdienende und Reiche die Gaspreisbremse bekommen sollen es ließ sich aber technisch nicht anders umsetzen. Was soll man dann lange rumlamentieren, man muss das Hauptziel im Auge behalten: 98 Prozent der Menschen haben die Gaspreisbremse gebraucht und gekriegt. Das zeigt: In dieser Gesellschaft steckt Stärke, wir haben was und wir können was. Ja, wir erleben aktuell eine schwierige Situation und haben echt Druck auf dem Kessel. Ja, es gibt viel zu kritisieren. Aber so zu tun, als sei dieses Land kurz vorm Abriss, überschwemmt von Flüchtlingen und nicht mehr zu kontrollieren dieses von Rechtspopulisten unentwegt in schwärzesten Farben ausgemalte Bild ist kompletter Unsinn.

Wie laufen die Diskussionen auf der betrieblichen Ebene?

Vassiliadis: Es herrscht eine nicht unberechtigte Genervtheit über das dauernde Gezänk in der Ampel und den nicht immer so sachlichen Umgang miteinander. Unsere Leute sind Vernunft gewohnt und sachbezogen, die schütteln da schon den Kopf. Ich nehme eher eine Müdigkeit wahr, komplexe politische Themen zu besprechen. Das nutzen die Rechten aus und fordern, Betrieb und Gewerkschaften müssten ein politikfreier Raum sein – das ist natürlich Quatsch. Umso wichtiger ist, dass wir gemeinsam klare Kante zeigen, und zwar nicht gegen die AfD, sondern für Solidarität und Vielfalt innerhalb der Belegschaften. Die IGBCE hat Mitglieder aus 99 Nationen, da ist Deutschtümelei völlig fehl am Platz.

Michael Vassiliadis, Moderatorin Lea Karrasch und Jochen Kopelke im Kompass-Talk.

Foto: IGBCE

Wie ist das in den Dienststellen, Jochen?

Kopelke: Wir führen andere Diskussionen, als von populistischer Seite oft unterstellt wird. Bei uns wird im Alltag nicht über die politische Auseinandersetzung links gegen rechts debattiert, sondern beispielsweise darüber gesprochen, wie viel Geld man bekommt, wenn man sonntagnachts um 23 Uhr zum nächsten Einsatz fährt – das sind wirklich geringe Beträge. Bei Personalratswahlen in unserem Bereich spielen dementsprechend die Themen unserer Arbeitswelt eine Rolle: veraltete Ausrüstung, Dienststellenschließungen, Personalknappheit, tarifliche Ungleichheiten, Reformen. Im Moment erringen wir bei den Personalratswahlen überall die Mehrheiten – das spricht für den Kurs der GdP.

Michael, du hast in den vergangenen Wochen wiederholt einen Mahnstreik für Demokratie und Vielfalt angeregt, der sich an Beschäftigte und Arbeitgeber wendet. Was erwartest du dir davon?

Vassiliadis: Der Appell richtet sich an die Betriebsparteien, mir geht es dabei nicht um eine theoretische Überbaudebatte. Vielmehr sollten sich die betrieblichen Sozialpartner positionieren bei den Themen Vielfalt und Weltoffenheit. Gerade bei international tätigen Unternehmen sind unterschiedlichste Menschen mit unterschiedlichsten Biografien beschäftigt. Die Arbeitsstätte muss ein Ort der Solidarität und Kollegialität sein, an dem man sich sicher aufhalten kann – ohne Angst haben zu müssen vor Ausgrenzung oder Mobbing.

Was kann man konkret tun zur Stärkung der Demokratie?

Vassiliadis: Wir brauchen ein gemeinsames Leitbild, wie man bei komplizierten Themen in die Zukunft kommt. Klimaschutz, Wohnungsbau, Verteilungsfragen, das alles muss miteinander austariert werden. Es ist völliger Unsinn, eine Transformation, die Milliarden verschlingt, zulasten des Sozialstaats abzuarbeiten. Ich bin sicher: Wenn die Priorisierungs- und Finanzierungsfragen endlich geklärt sind, beruhigt sich auch die Debatte wieder. Dazu möchte ich anmerken: Viele Probleme, die uns derzeit beschäftigen, haben ihre Wurzel weit in der Vergangenheit, sie wurden nur überdeckt in den Zehnerjahren, in denen es Deutschland volkswirtschaftlich ziemlich gut ging. Da haben wir sehr viel Zeit verschwendet mit überflüssigen Debatten. Wir hätten längst investieren müssen in den Sicherheitsapparat, in Infrastruktur, Wohnungsbau, erneuerbare Energien und die Netze, ebenso hätten wir längst die Schuldenbremse reformieren müssen. Das hat nicht allein die Ampel verpennt.

Kopelke: Den Gewerkschaften zuzuhören ist auf jeden Fall hilfreich. Es gibt leider immer noch viele im politischen Lager, die gern weghören und sich nicht mit unseren Vorschlägen auseinandersetzen wollen. Warum? Weil es für Populisten einfacher ist – und auch weniger Arbeit –, auf eine reißerische Überschrift bei Social Media zu setzen, als sich ernsthaft mit Problemlösungen zu beschäftigen. Wenn man es ernst meint mit einem Pakt für den Rechtsstaat, muss man Gerichte, Polizei und Staatsanwaltschaft mit Personal, Digitalisierung und bürgernahen Zugängen ausstatten. Wir hätten da Ideen, dazu müsste man uns aber zuhören.

IGBCE Kompass: Den neuen Polit-Talk mit Michael Vassiliadis und Gast kannst du in voller Länge nicht nur in der digitalen Ausgabe dieses Magazins sehen und hören, sondern auch über die „Meine IGBCE“-App, im Web bei igbce.de sowie auf dem Youtube-Kanal deiner Gewerkschaft und auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Dort lässt er sich auch leicht abonnieren.