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Arbeitgebercheck

Foto: Uniper

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Ruhe nach dem Sturm

Text Lars Ruzic

Die Gaskrise führte den Energieriesen Uniper an den Rand des Abgrunds. Der Bund musste übernehmen. Was macht das mit den Beschäftigten? Und was mit dem Arbeitgeber?

Uniper

Uniper steht für Unique Performance. Böse Zungen behaupten, der junge Konzern habe diese „einzigartige Leistung“ in seinen ersten sieben Jahren allemal schon erbracht – nur anders als gedacht. Erst mit Mühe herausgeschält aus dem e.on-Konzern, verschrien als „fossile Bad Bank“, dann eine unsägliche Übernahmeschlacht mit dem finnischen Energieversorger Fortum und schließlich das Gasdesaster im vergangenen Jahr. Uniper, größter Importeur von russischem Gas, stand aus bekannten Gründen plötzlich ohne seinen wichtigsten Lieferanten da, musste aber seine Lieferverpflichtungen mehr als 1.000 Stadtwerken und Industriebetrieben gegenüber erfüllen. Uniper kaufte und kaufte Ersatz am Weltmarkt, zu immer absurderen Preisen. Ein Kollaps mit Ansage, der schließlich Ende 2022 zum Einstieg des deutschen Staats führte. Mit insgesamt 21 Milliarden Euro mussten die Steuerzahlenden Uniper retten – gut 250 Euro pro Kopf. Andernfalls wäre die Heizung kalt geblieben und die Industrie ohne Rohstoff. Klassischer Fall von systemrelevant. Dabei ist Gashandel nur ein Teil des Geschäfts: Uniper ist auch einer der größten Stromerzeuger der Welt und betreibt Gasspeicher. Jetzt soll massiv in den Ausbau der Erneuerbaren investiert werden.

Gründung 2016 (durch Abspaltung von e.on)

Rechtsform SE, mitbestimmt

Börsengang 2016

Eigentümer Bundesrepublik Deutschland (99,12 Prozent)

Umsatz 2022 274,1 Milliarden Euro

Verlust 2022 19,1 Milliarden Euro

Beschäftigte 7.000, gut die Hälfte davon im Inland

Betriebsklima

Ob sie im Gasspeicher in der niedersächsischen Tiefebene, am Wasserkraftwerk an der Isar, in der Leitwarte des Kohlemeilers im Ruhrgebiet oder in der schicken Konzernzentrale im Düsseldorfer Medienhafen arbeiten: Das vergangene Jahr ist nicht spurlos vorbeigegangen an den Uniper-Beschäftigten. Der Schock saß tief darüber, dass man von einem Tag auf den anderen vor dem Aus stand. In der Zeit der Unsicherheit sollen einige auch dem Unternehmen den Rücken gekehrt haben. Gleichzeitig war klar, dass es weitergehen musste. Zu zentral ist Uniper für die Energieversorgung. Insofern war es für viele Beschäftigte nicht nur naheliegend, sondern auch logisch, dass der Konzern verstaatlicht wurde.
In die Belegschaft hat das schlagartig Ruhe gebracht. Viele halten Energieversorgung ohnehin für eine staatshoheitliche Aufgabe und liebäugeln damit, dass der Bund auch langfristig zumindest mit einer Sperrminorität bei Uniper engagiert bleiben könnte. Ein neuer Aufbruch sei zu spüren, heißt es. Dazu hat auch beigetragen, dass Uniper mit dem schnellen Aufbau des LNG-Terminals in Wilhelmshaven Vorbild für das „Deutschlandtempo“ wurde. Unsicherheiten gibt es gleichwohl: Sie betreffen vor allem die Beschäftigten im Kraftwerk Datteln 4 und bei der Uniper Wärme, die Uniper nach EU-Vorgaben abgeben muss. An wen, steht bislang in den Sternen.

Arbeitsumgebung

„Safety first“ ist eine eherne Regel bei Uniper. Das wirkt sich zwangsläufig auf das direkte Arbeitsumfeld der Beschäftigten aus. Kaum eine Besprechung, die nicht mit Fragen der Arbeitssicherheit beginnt – und sei es, dass man zunächst auf die Notausgänge hingewiesen wird. Gut 70 unterschiedliche Sicherheitsunterweisungen haben sie allein in der Kraftwerkssparte gezählt. Manche fragen sich mitunter, ob es nicht schon zu viel ist.
Viel Aufmerksamkeit wird auch auf Gesundheitsmaßnahmen gelegt. Sie sind in einer Konzernbetriebsvereinbarung geregelt. So gibt es beispielsweise lokale Gesundheitskoordinatorinnen und -koordinatoren und Sozialberatung. Auch können Beschäftigte im Unternehmen Vorsorgeuntersuchungen vornehmen lassen, auf die sie bei Fachärztin oder Facharzt Monate warten müssten – Beispiel: Hautscreening zur Krebsvorsorge. In manchen Betrieben und in der Düsseldorfer Zentrale gibt es eigene Fitnessstudios.
Bei Uniper werden pro Jahr rund 100 junge Menschen ausgebildet. Die Hochburg ist das Ausbildungszentrum in Gelsenkirchen, auch als Anlaufstation für den Nachwuchs vieler anderer Unternehmen aus der Region. 55 Auszubildende werden dort pro Jahr ausgebildet davon jedoch nur zehn für Uniper selbst.

Mitbestimmung

Im Unternehmen herrscht eine ausgeprägte Mitbestimmungskultur, die über Jahrzehnte gewachsen ist. Die Betriebsräte werden meist früh in Entscheidungsprozesse eingebunden, in der Regel verständigt man sich auf vernünftige Kompromisse. Das gilt auf allen Ebenen: Uniper hat standortbezogene Betriebsräte, Gesamt-, Euro- und Konzern­betriebs­rat. Die starke Position der Belegschaftsvertretungen ermöglicht Betriebsvereinbarungen, die den Beschäftigten Sicherheit und Jobvorteile zugleich bieten. So verpflichten ein Tarifvertrag und Konzernbetriebsvereinbarungen Uniper, alle Veränderungsprozesse im Unternehmen sozialverträglich zu organisieren. Dadurch war es beispielsweise möglich, dass die Schließung von Kraft­werks­blöcken in Scholven ohne betriebsbedingte Kündigungen organisiert werden konnte, obwohl mehr als 300 Stellen an nur einem Standort abgebaut werden mussten.
Zur mobilen Arbeit trafen beide Seiten Vereinbarungen, die den Mitarbeitenden maximale Flexibilität ermöglichen. Dort, wo es die Abläufe im Unternehmen erlauben, können Beschäftigte auch komplett aus dem Home­office arbeiten. Zusätzlich gilt eine Geoflex-Regelung: Bis zu 45 Tage oder neun Wochen im Jahr darf man auch aus dem EU-Ausland, Großbritannien oder der Schweiz arbeiten.

Tarifbindung

Für Uniper gelten Haustarifverträge, die IGBCE und ver.di mit zwei Arbeitgeberverbänden aushandeln. Der Rahmentarifvertrag sieht eine Arbeitszeit von 37 Stunden in der Woche vor, für in Wechselschicht Beschäftigte 36 Stunden. Es können Jahresarbeitszeitkonten mit einem Dispositionsrahm von plus/minus 150 Stunden vereinbart werden. Da beide Gewerkschaften gut im Unternehmen organisiert sind, konnten sie in der Vergangenheit ordentliche Tariferhöhungen für die Beschäftigten herausholen, ein 13. Gehalt als Weihnachtsgeld kommt obendrauf. IGBCE-Mitglieder erhalten zusätzlich 400 Euro im Jahr in Form einer Einmalzahlung (Auszubildende 75 Euro).
Auch tarifpolitische Innovationen sind bei Uniper möglich: So haben sich die Verhandlungspartner 2023 auf die bundesweit erste betriebliche Altersversorgung nach dem Sozialpartnermodell verständigt. Dies ermöglicht, Betriebsrentenbeiträge in risikoreichere, renditeträchtigere Anlageformen fließen zu lassen. Der Staat hatte dies mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz 2018 möglich gemacht. Die letzte reguläre Entgeltverhandlungsrunde fand im Krisensommer 2022 statt. Man einigte sich auf Erhöhungen von drei und vier Prozent bei einer Laufzeit von 21 Monaten. Im Frühjahr 2023 wurde zusätzlich die Zahlung der steuerfreien Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro durchgesetzt.

Zukunftsfähigkeit

So schnell die Krise kam, so schnell hat sie Uniper schon wieder hinter sich gelassen – freilich nicht aus eigener Kraft, sondern weil sich die Lage am Gasmarkt entspannt hat, die Strompreise aber gleichzeitig hoch sind. So rechnet das Unternehmen für 2023 schon wieder mit einem Milliardengewinn. Man prüft bereits, einen Teil der Staatshilfen zurückzuzahlen. Ein Drama wie 2022 werde sich nicht wiederholen, beteuert das Unternehmen. Das wird auch die Bundesregierung gern hören, die ihre Uniper-Anteile bis 2028 auf eine Sperrminorität von 25 Prozent plus eine Aktie reduziert haben muss. Eine Ausstiegsstrategie muss der Bund der EU noch in diesem Jahr vorlegen. Dividenden und Vorstandsboni sind bis dahin tabu.

Zu den EU-Auflagen für den Deal gehört auch der Verkauf von Datteln 4, einem der modernsten und saubersten Steinkohlekraftwerke weltweit, das vor allem die Deutsche Bahn mit Strom versorgt. Auch vom heimischen Fernwärmegeschäft soll sich Uniper trennen. Beides muss bis Ende 2026 abgeschlossen sein und dürfte im Ruhrgebiet gut 230 Beschäftigte betreffen. Das Management will radikal umsteuern und Uniper zu einem grünen Energiekonzern umwidmen. Acht Milliarden Euro sollen bis 2030 investiert werden, der Großteil davon in Deutschland. Die Stromproduktion aus Kohle soll 2029 enden.

Das sagt Uniper

Das Unternehmen hat die Anfragen von Profil bis Redaktionsschluss unbeantwortet gelassen und keine Stellung bezogen.

Unser Fazit

Starke Gewerkschaften, starke Betriebsräte: Entsprechend belegschaftsfreundlich sind die Arbeitsverhältnisse bei Uniper geregelt. Das zeigen nicht zuletzt Vorteilsregelungen für IGBCE-Mitglieder oder weitreichende Möglichkeiten, aus dem Ausland zu arbeiten. Mehr denn je kann man zudem aktuell davon sprechen, dass Uniper ein sicherer Arbeitgeber ist. Schließlich hat der Staat den Energieversorger im vergangenen Jahr sogar gerettet und ist nun nahezu Alleineigentümer. Doch Unipers Zukunft ist alles andere als klar. Was passiert, wenn der Bund wieder ausgestiegen ist? Wie schnell kann die klimagerechte Transformation gelingen? Der Ausblick birgt einige Unsicherheiten für die Beschäftigten.

Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten sowie Betriebsbetreuerinnen und -betreuern der IGBCE. Die zusammen­getragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.