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Nord

Die Neuen sind angekommen

Text Michaela Ludwig

Rund 1.400 Kolleginnen und Kollegen wurden bei den Betriebsratswahlen 2022 erstmals in ihr Amt gewählt. Jetzt, ein Jahr später, ziehen vier Mitglieder Bilanz.

Ann-Carolin Kuhlmann

Foto: Privat

Ann-Carolin Kuhlmann ist mit ihren 23 Jahren das Küken in der neunköpfigen Arbeitnehmendenvertretung der Hüttenes-Albertus Chemische Werke GmbH in Hannover. Die ehemalige Jugend- und Auszubildendenvertreterin (JAVi) wollte und sollte nach dem Willen der Kolleginnen und Kollegen „frischen Wind“ in das Gremium bringen. Der Zeitpunkt war perfekt: „Ich hatte gerade ausgelernt, keine familiären Verpflichtungen und deshalb viel Zeit.“ Seit anderthalb Jahren vertritt sie nun die Interessen der 250 Beschäftigten am Standort und als stellvertretende Vorsitzende im Gesamtbetriebsrat des Unternehmens. Für Ann-Carolin Kuhlmann ist dies ein Weg, Gesellschaft zu gestalten. „Man merkt überall im Alltag, dass man sich politisch engagieren muss – nicht nur auf größerer Ebene in der Politik, sondern auch im Betrieb.“ Weil das auch Spaß bringt, beginnt sie nun – nachdem sie die meisten Grundlagenseminare durchlaufen hat – die Ausbildung zur Referentin für die IGBCE.

Marco Rätzer

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Marco Rätzer, seit anderthalb Jahren Betriebsratsvorsitzender bei der DBW Advanced Fiber Technologies GmbH in Bovenden bei Göttingen, konnte wie auch Ann-Carolin Kuhlmann auf das Vertrauen und die Unterstützung seines Amtsvorgängers bauen. Der Industriemechaniker „wollte vieles umkrempeln“. Heikle betriebliche Themen waren liegen geblieben, in der Belegschaft hatte sich eine Kultur des „Meckerns, nicht Machens“ breitgemacht, so der 45-Jährige. Das sollte sich ändern. Jeden Konflikt, den der Schlosser in der Produktion wahrnimmt, spricht er an. „Ich haue auch schon mal auf den Tisch und zeige die Grenzen.“ Er redet mit den Kolleginnen und Kollegen, bringt sie untereinander ins Gespräch. Missstände leitet er an die Geschäftsführung oder die Personalleitung weiter. Bei allen Schritten stimmt er sich eng mit dem zuständigen Gewerkschaftssekretär und der Rechtsabteilung ab, „das gibt uns Sicherheit“.

Der Betriebsrat ist stolz auf erste handfeste Erfolge: Die Umkleideräume wurden saniert und die Angleichung der Schichtzulagen sowie der Waschzeiten werden in den anstehenden Haustarifverhandlungen aufgegriffen. Auch die Stimmung bessere sich, denn „die Kollegen fühlen sich wahrgenommen“.

Wir mussten sehr schnell sehr viel lernen.

Gesa Gödde,
Betriebsrätin bei Sensient Technologies Europe

Gesa Gödde

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Gesa Gödde beschreibt die Betriebsratsarbeit für sich und ihre sechs Kolleginnen und Kollegen als komplettes Neuland. Denn der Betriebsrat von Sensient Technologies Europe in Geesthacht wurde neu gegründet. Damit sich das Gremium überhaupt konstituieren und seine Arbeit aufnehmen konnte, hat der verantwortliche Gewerkschaftssekretär es in einer dreitägigen Schulung vor Ort über seine Rechte und Aufgaben aufgeklärt.

„Wir mussten sehr schnell sehr viel lernen“, berichtet die 37-jährige Außendienstmitarbeiterin. Anfangs seien sie häufig unsicher gewesen, wann der Betriebsrat aktiv werden kann. Trotz dieses Kaltstarts können sich die ersten Erfolge all der Arbeit sehen lassen: Er hat zwei Betriebsvereinbarungen sowie die Auszahlung des Inflationsgeldes für alle verhandelt. Weil Gesa Gödde eine gute und transparente Kommunikation mit der Belegschaft am Herzen liegt, berichtet sie in einem regelmäßig erscheinenden Newsletter über die Aktivitäten und Erfolge des Betriebsrats.

Als Betriebsrätin die Welt ein Stück weit gestalten.

Simone Nierobisch,
Betriebsratsvorsitzende Plixxent

Simone Nierobisch

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Simone Nierobisch war 14 Jahre lang Vertrauensperson beim Kunststoffhersteller Plixxent in Oldenburg, bevor sie zur Vorsitzenden des neu gegründeten Betriebsrates gewählt wurde. Damit wurde ein Gemeinschaftsbetriebsrat abgelöst, „der die spezifischen Belange für unsere 85 Beschäftigten nicht mehr zufriedenstellend aufgreifen konnte“, so die 42-jährige Ingenieurin. Glücklicherweise hatte eine Kollegin Betriebsratserfahrung und anfangs „das Heft in die Hand genommen“. Es wartete viel Arbeit auf das Gremium. „Wir mussten uns mit der Geschäftsführung über neue Betriebsvereinbarungen, eine betriebsbedingte Kündigung und Veränderungen in den Prozessen auseinandersetzen.“ Dass jetzt ein Betriebsrat auf die Arbeit schaut und Prozesse gegebenenfalls sogar stoppt, sei auch für die Geschäftsführung ein Lernprozess.
Ihren Start beschreibt Simone Nierobisch rückblickend als „Sprung ins kalte Wasser“. Während man sich das notwendige Wissen in Seminaren aneignen könne, müsse man Erfahrungen erst sammeln. Auch deshalb habe sie ihre hohen Ansprüche ein wenig zurückschrauben müssen. Aber das ist ohnehin wichtig, um nicht im Alltagsgeschäft aufgerieben zu werden. Heute weiß sie: „Als Betriebsrätin kann man die Welt nicht verändern, jedoch ein Stück weit gestalten.“