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Arbeitgebercheck

Foto: B. Braun Melsungen AG

Pioniergeist
in der Provinz

Text Inken Hägermann

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In sechster Generation liegt B. Braun schon in Familienhand. Vor knapp 200 Jahren ging alles in einer kleinen Apotheke in Melsungen los – heute gehört B. Braun zu den weltweit führenden Herstellern von Medizintechnik mit 63.000 Beschäftigten in 64 Ländern. Sozialpartnerschaft wird hier großgeschrieben.

B. Braun

In der Welt der Medizin kommt man an B. Braun nicht vorbei. Der familiengeführte Konzern mit Sitz in Melsungen gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Medizintechnik- und Pharmaprodukten. Das Portfolio umfasst etwa 5.000 Produkte rund um das Thema Gesundheitsvorsorge. Dabei hat alles klein angefangen, als Julius Wilhelm Braun 1839 in Melsungen für 14.000 Taler die Rosen-Apotheke kaufte und einen Versandhandel für Heilkräuter aufbaute. 1867 wurde der Betrieb unter dem heutigen Namen B. Braun ins Handelsregister eingetragen. Die nachfolgenden Generationen sorgten dafür, dass das Unternehmen größer und größer wurde und einige Meilensteine in der Medizintechnik setzte: So war B. Braun wegweisend bei der Entwicklung der künstlichen Ernährung und der Dialyse(geräte). Eines der bekanntesten Produkte dürfte die Braunüle sein, eine Kanüle, die bei der Infusionstherapie eingesetzt wird. Bis heute liegt der Konzern in Familienhand, seit 2019 in sechster Generation unter der Leitung von Anna-Maria Braun.

Zentrale Melsungen

Gründung 23. Juni 1839

Rechtsform SE (Europäische Gesellschaft)

Eigner Unternehmerfamilie Braun

Produkte Rund 5.000 Produkte für den Medizin- und Pharmabereich

Umsatz 8,755 Milliarden Euro (2023)

Vorsteuerergebnis 8,755 Milliarden Euro (2023)

Jahresüberschuss 125,2 Millionen Euro (2023)

Beschäftigte 63.000 (davon 16.000 in Deutschland)

Standorte weltweit 55 Gesellschaften und Standorte – allein in Deutschland mehr als zwei Dutzend

Arbeitsumgebung

Melsungen gilt nicht gerade als Sehnsuchtsziel für junge Menschen, die es nach urbanem Flair dürstet. Die Zentrale des weltweit agierenden Konzerns liegt im ländlich geprägten Nordhessen. Die Kleinstadt Melsungen mit rund 14.000 Einwohner*innen im Schwalm-Eder-Kreis glänzt mit verträumten Fachwerkfassaden in der pittoresken Altstadt, umgeben vom idyllischen Melsunger Land mit reichlich Burgen, Schlössern, Klöstern – und noch mehr Fachwerk. Hier hat B. Braun seinen Sitz, und das seit fast 200 Jahren. Aus der Apotheke, die Julius Wilhelm Braun Anfang des 19. Jahrhunderts gekauft hat, ist ein weltumspannender Konzern mit 63.000 Beschäftigten geworden. Das Geschäft ist heute in drei Sparten unterteilt: Hospital Care (Produkte für die klinische Versorgung und Behandlung), Aesculap (chirurgische Instrumente) und B. Braun Avitum (extrakorporale Blutbehandlung, also Dialyse). Rund 5.000 Produkte für die Gesundheitsversorgung hat B. Braun im Portfolio, von Massenprodukten wie Desinfektionsmittel oder Kochsalzlösung über Material für Wundversorgung oder Kanülen (die bei B. Braun natürlich Braunülen heißen) bis zu hochtechnischen chirurgischen Werkzeugen, künstlichen Hüftgelenken oder Dialysetechnik. Das spiegelt sich auch in den vielfältigen Tätigkeitsfeldern: Rund zwei Dutzend Ausbildungsberufe bietet B. Braun in ­Deutschland an.

Betriebsklima

Der Zusammenhalt unter den Beschäftigten wird im Großen und Ganzen als gut bezeichnet. Nicht nur am Hauptsitz nennt man sich auch heute noch stolz „Braunianer“, die Fluktuation ist ziemlich gering. Viele Beschäftigte stammen aus der jeweiligen Region: Wer bei B. Braun anfängt, bleibt dort oft sein ganzes Berufsleben. In der jüngeren Generation allerdings schwindet die Bindekraft langsam, wie auch in anderen Industriezweigen. B. Braun bildet traditionell über Bedarf aus, die Ausbildung hat einen guten Ruf. Aber die Auswirkungen eines starken Arbeitnehmermarktes sind auch bei B. Braun spürbar. Hier wird, wie in vielen anderen Betrieben auch, in der Produktion Schicht gearbeitet, das finden viele junge Arbeitskräfte heute nicht sehr anziehend. Zudem sind die Tätigkeiten in der Produktion und dem Reinraum körperlich anstrengend. Deswegen initiierte der Betriebsrat unter anderem ein Projekt zur Flexibilisierung in Schichtarbeit.
Auch in diesem Unternehmen gibt es Kritik an Führungskultur und Informationspolitik je nach Abteilung oder Standort scheint es auf Einzelpersonen anzukommen. In manchen Bereichen sind hohe Arbeitsbelastung und die wenig vorausschauende ­Personalplanung ein Thema.

Mitbestimmung

Sozialpartnerschaft hat bei B. Braun eine hohe Bedeutung. Es gibt an allen größeren Standorten Betriebsräte, Jugend- und Auszubildendenvertretungen (JAV) und Schwerbehindertenvertretungen (SBV), dazu Gesamtbetriebsratsgremien (GBR), einen Konzernbetriebsrat (KBR) und einen Europa-Betriebsrat sowie Vertrauensleutekörper. Der Aufsichtsrat der SE ist paritätisch besetzt, die IGBCE ist dort vertreten. Auf all diesen Ebenen, so ist zu hören, hält sich die Unternehmensspitze nahezu idealtypisch an die Informations- und Beteiligungspflichten. Die Eignerfamilie Braun verhandele auf Augenhöhe und wertschätzend mit dem Betriebsrat. Man sei zwar nicht immer einer Meinung, finde aber in der Regel eine gemeinsame Lösung.
Am Stammsitz in Melsungen ist der Draht zwischen Belegschaftsvertretung und Unternehmensführung aufgrund der räumlichen Nähe und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit der handelnden Personen besonders kurz. An manch weiter entferntem Standort ist die Nähe zwischen Management und Betriebsrat nicht so ausgeprägt und auch manche Regelung nicht so komfortabel wie in Melsungen. Der Konzernbetriebsrat versucht seit zwei Jahren, über Konzernbetriebsvereinbarungen die Standards an den verschiedenen Standorten zu vereinheitlichen.

Tarifbindung

Kurz gesagt: Es ist kompliziert. Eigentlich unterliegen alle größeren Standorte in Deutschland einer Tarifbindung. Knapp zwei Drittel der 16.000 Beschäftigten sind dem Einflussbereich der IGBCE zuzurechnen, dort gilt der Chemie-Flächentarif. Dann gibt es Standorte, die zur IG Metall gehören (etwa die Tochter Aesculap), an anderen Standorten gelten der Flächentarif für Kunststoff oder Haustarifverträge (etwa in Dresden). In den Dialysezentren von B. Braun liegt historisch bedingt gar keine Tarifbindung vor.
Zudem haben Unternehmen, Betriebsrat und IGBCE Öffnungsklauseln für den Flächentarifvertrag Chemie vereinbart. Für Melsungen und einige weitere Standorte wurden Standortsicherungsverträge ausgehandelt, die Investitionen zusagen und den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2025 beinhalten im Gegenzug müssen die Beschäftigten zwischen vier und acht Stunden pro Monat (je nach Standort, Tätigkeit und Schichtzugehörigkeit) mehr arbeiten, als im Chemie-Flächentarif vorgesehen ist (Wochenarbeitszeit: 37,5 Stunden). Die Gespräche zur Verlängerung der Standortsicherungsvereinbarung in Melsungen sollen zeitnah beginnen.

Zukunftsfähigkeit

B. Braun hat eine lange Unternehmensgeschichte dementsprechend breit ist das Produktportfolio heute aufgestellt. Das ist durchaus von Vorteil: Schwächelt mal ein Bereich, kann es in der Regel ein anderer Unternehmensbereich auffangen. Zudem ist man in einem Segment tätig, das grundsätzlich zukunftsfest ist: Gesundheit spielt immer eine Rolle. B. Braun investiert fortlaufend und zielgerichtet in die Modernisierung der Produkte und der Produktion, in die Digitalisierung von Anwendungen wie bei der Dialyse oder der OP-­Robotik. In dem familiengeführten Unternehmen sind die Planungen langfristiger und weniger an den Quartalszahlen ausgerichtet als in einem klassischen Dax-Konzern.
Baustellen gibt es aber natürlich trotzdem – etwa den Fachkräftemangel. Obwohl B. Braun zu den Top-Adressen in Nordhessen gehört, sind allein in Melsungen rund 130 Stellen unbesetzt und das betrifft beileibe nicht nur die begehrten hoch qualifizierten Fachkräfte oder Spezialisten wie IT-Experten, die Kleinstädte nur bedingt attraktiv finden. Auch in der Produktion fehlen Leute wie in vielen anderen Unternehmen wird es auch für B. Braun immer schwieriger, Beschäftigte zu finden, die ­Schichtarbeit ­akzeptieren.

Das sagt B. Braun

Das Unternehmen hat die Anfragen von Profil bis Redaktionsschluss unbeantwortet gelassen und keine Stellung bezogen.

Unser Fazit

Als Arbeitgeber kann sich B. Braun gut sehen lassen. Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft haben in dem familiengeführten Unternehmen einen hohen Stellenwert am höchsten am Stammsitz in Melsungen. Positiv: Anders als bei klassischen börsennotierten Unternehmen sind bei B. Braun Planungen langfristiger ausgerichtet und orientieren sich nicht kurzfristig an Quartalszahlen. Verwirrend für Beschäftigte dürfte der hausinterne Tarifdschungel sein; viele unterliegen zwar dem Chemie-Tarifvertrag, bei einigen Töchtern gelten aber Haustarife oder es gibt gar keine Tarifbindung. Beim Thema Fachkräftemangel und attraktive Modelle für Schichtarbeit kann B. Braun noch zulegen.

Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten sowie Betriebsbetreuerinnen und -betreuern der IGBCE. Die zusammen­getragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.