Woher kommen wir?
Immer mehr Menschen wollen wissen, woher sie kommen, wer ihre Vorfahren waren und wie sie gelebt haben. Spannende Fragen, auf die sich oft Antworten finden lassen, wenn man sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinandersetzt.
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Das Interesse an der eigenen Herkunft nimmt zu. Das bestätigt auch Klaus Kohrt, Vorstand in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft genealogischer Verbände (DAGV): „Zum einen gibt es derzeit ein großes Bedürfnis, Herkunft und Heimat zu verorten. Zum anderen findet die Nachkriegsgeneration erst jetzt im Ruhestand so richtig Zeit, sich mit der familiären Vergangenheit zu beschäftigen. Da gibt es häufig Lücken – von Verschollenen und Gefallenen zum Beispiel –, die man nun schließen möchte. Der typische Familienforscher ist in Rente.“
Aber auch viele junge Menschen möchten mehr über ihre Wurzeln wissen. Laut einer Umfrage der Marktforschungsagentur Arlington Research sind 53 Prozent der 19- bis 40-Jährigen sehr an der Geschichte ihrer Familie interessiert und möchten einen Stammbaum erstellen. Sie glauben, dass ihnen das Wissen um die Familiengeschichte bei eigenen Herausforderungen im Leben Kraft gibt.
Die Herausforderung ist eher, bei der Fülle an Informationen den Überblick zu behalten.
Verwandte befragen, Fotos beschriften
Woher aber bekommt man die Informationen? Die Digitalisierung macht den Einstieg in die Familienforschung auch für Laien einfach. „Die Herausforderung ist eher, bei der Fülle an Informationen den Überblick zu behalten. Helfen kann dabei ein systematisches Vorgehen“, weiß Kohrt.
Der Hobbygenealoge rät, als Erstes die lebenden Verwandten zu befragen. Denn die hätten häufig auch Dokumente, die bei der Nachforschung nützlich sein könnten – zum Beispiel Familienbücher, Tauf-, Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden, Konfirmationspapiere, Zeitungsanzeigen, Besitzurkunden, Finanzpapiere und Steuerunterlagen sowie alte Fotos. „Die Dokumente sollte man sich abfotografieren, die Fotos unbedingt beschriften. Sonst weiß später niemand mehr, welcher Großonkel dort neben welcher Cousine abgebildet ist“, rät Kohrt.
Um seine Ergebnisse zu dokumentieren, sollte man einen Stammbaum anlegen. Der beginnt mit dem eigenen Namen. Dann arbeitet man sich von Generation zu Generation durch die Jahrzehnte oder Jahrhunderte in die Vergangenheit. Das Familiengeflecht lässt sich entweder selbst von Hand skizzieren oder digital mit einem der vielen Genealogieprogramme verzweigen.
Als nächsten Schritt empfiehlt Kohrt die Recherche in Standesamtsbüchern. Allerdings können nur direkte Nachkommen eine Kopie der jüngeren Dokumente bekommen – für alle anderen besteht eine Schutzfrist. Die beträgt bei Geburtsurkunden 110, bei Heiratsurkunden 80 und bei Sterbeurkunden 30 Jahre.
Je länger man sich mit der Herkunftsforschung beschäftigt, desto geübter wird man.
Fundgrube Internet
Das Internet ist eine wahre Fundgrube: Zahlreiche Ahnenforschungsportale und -vereine stellen nach und nach die deutschen Kirchenbücher, Ein- und Auswanderungsregister, Volkszählungslisten, Militäraufzeichnungen, Einwohnerverzeichnisse und andere Schriftstücke online. Der Verein für Computergenealogie pflegt umfangreiche Datenbanken, die man kostenlos nutzen kann. Die evangelische Kirche hat ein Portal namens Archion eingerichtet, in dem Kirchenbücher digitalisiert einsehbar sind. Auch katholische Kirchenbücher sind in der Regel über Matricula oder die Bistumsarchive abrufbar. Nicht zuletzt hilft auf Anfrage die DAGV, zu der bundesweit mehr als siebzig Vereine mit vielen Tausend Mitgliedern gehören.
Klaus Kohrt hat vor fünfzehn Jahren angefangen, die Spuren seiner Familie zu suchen und nachzuvollziehen. „Je länger man sich mit der Herkunftsforschung beschäftigt, desto geübter wird man. Zum Beispiel, wenn es darum geht, alte Schriften zu entziffern oder mögliche Stolperfallen zu erkennen.
Ahnentafel und Stammbaum
Die Begriffe Ahnentafel und Stammbaum werden häufig synonym verwendet. Das ist allerdings nicht ganz korrekt. Eine Ahnentafel listet alle Ahnen einer Person auf (zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroßeltern und so weiter), während ein Stammbaum die Nachfahren eines Stammpaares darstellt, die von ihnen abstammen – also Kinder, Enkel, Urenkel und so weiter. Der Unterschied zeigt sich auch in der Darstellung: Der Stammbaum verzweigt sich meist wie ein Baum von unten nach oben, die Ahnentafel wie ein Fächer.
Wie ein Puzzle zusammensetzen
So habe es früher oft keine eindeutige Schreibweise des Nachnamens gegeben. „Der Pastor hat das aufgeschrieben, was er gehört hat – da sind schon mal ein paar Buchstaben durcheinandergekommen.“ Auch hätten manche Akten den Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert nicht überstanden, dadurch gebe es Lücken in den Aufzeichnungen.
Hier ein Teil und dort ein Teil: „Familienforschung ist wie ein Puzzle“, sagt Kohrt, der mittlerweile seinen Stammbaum schon bis in die zehnte Generation verfolgen konnte. „Diese Detektivarbeit macht den Reiz aus. Wenn man nur auf einen Knopf drücken müsste, um seinen Stammbaum ausdrucken zu können – das wäre langweilig“, sagt der 72-Jährige und gesteht: „Familienforschung kann süchtig machen – und mich hat es erwischt.“