Video: Kreislauf mit Zukunft – modernes Kunststoffrecycling bei LyondellBasell
Wo Zukunft wächst
Kunststoffrecycling auf neuem Niveau: In Wesseling baut LyondellBasell eine Anlage mit Signalwirkung – technisch innovativ und begleitet von Betriebsrat und IGBCE. Ein Projekt, das zeigt: Zukunftstechnologien, Mitbestimmung und Standortverantwortung gehören zusammen.
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Betriebsrat Axel Mrosek beschreibt die neue Anlage für chemisches Recycling als als positives Beispiel für gewerkschaftliche Mitbestimmung.
Als Axel Mrosek das erste Mal durch das Werktor von LyondellBasell in Wesseling ging, war er gerade 16 Jahre alt. Die Schuhe noch neu, der Blick wach, der Kopf voller Neugier. Damals, vor mehr als zwanzig Jahren, begann er hier seine Ausbildung. Heute steht er an fast derselben Stelle. Dort, wo früher ein Rohstofftank für den Kunststoffgrundbaustein Styrol stand, erstreckt sich jetzt eine große Baustelle. Und auf der soll in nicht allzu ferner Zukunft etwas entstehen, das so viel mehr ist als nur eine neue Anlage.
„Hier wird gerade ein Stück Zukunft gebaut“, sagt Mrosek, heute stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats. Der Wind weht kalt über die offenen Rohre, die noch aus der alten Anlage stammen. Bauarbeiter stemmen, schneiden, schweißen. Es ist der Anfang eines Projekts, das nicht nur für den Standort Wesseling, sondern für die gesamte Branche Signalwirkung haben könnte: eine Anlage für chemisches Recycling – mit einer Kapazität von bis zu 50.000 Tonnen Kunststoffabfällen im Jahr. Ein ehrgeiziges Vorhaben – und ein klares Bekenntnis: zur Kreislaufwirtschaft, zur Zukunft der Industrie in Deutschland und nicht zuletzt zu den Menschen am Standort. „Die neue Anlage hat Symbolcharakter für das ganze Land“, sagt Mrosek.
LyondellBasell baut in Wesseling bei Köln eine neue Recyclinganlage. Die selbst entwickelte Technologie soll effizienter und energiesparender arbeiten als andere Verfahren.
Tobias Steffgen ist eine von 45 Fachkräften, die intern in die neue Anlage wechseln.
Wenn Sortieren nicht mehr reicht
Wer heute über Kunststoffrecycling spricht, kommt am Begriff der Kreislaufwirtschaft nicht mehr vorbei. Das Prinzip ist einfach: Ressourcen sollen so lange wie möglich im Wirtschaftskreislauf bleiben – durch Wiederverwendung, Reparatur, Aufbereitung oder eben, wenn nichts anderes mehr geht, durch Recycling. Das Gegenteil davon ist das alte Modell der „Wegwerfwirtschaft“, in dem produziert, genutzt und entsorgt wird.
Deutschland gilt beim Recycling von Verpackungskunststoffen seit anderthalb Jahrzehnten als Vorreiter: 2022 wurden 65,9 Prozent gesammelt, sortiert und wiederverwertet. Dabei umfasst die Statistik sowohl mechanisches als auch energetisches Recycling – also auch die Verbrennung von Kunststoffabfällen zur Energiegewinnung. Besonders bei Verpackungen wie PET-Flaschen funktioniert das mechanische Recycling gut, da sie meist aus einem einzigen Kunststoff bestehen. Doch viele andere Produkte bestehen aus mehreren verschiedenen Materialien und lassen sich mechanisch kaum aufbereiten. Kunststoffabfälle aus Medizin, Haushalt oder Elektronik landen daher oft in der Verbrennung – weil es bislang an Alternativen fehlt.
Hier kommt das chemische Recycling ins Spiel. Anders als beim mechanischen Verfahren wird der Kunststoff nicht einfach geschmolzen und gehäckselt, sondern in einem thermisch-chemischen Prozess in seine Grundbausteine zerlegt. Dabei entsteht neben Pyrolysegas auch ein Öl – das sogenannte Pyrolyseöl –, das ähnlich beschaffen ist wie Naphtha, ein Ausgangsstoff der petrochemischen Industrie. „Der große Vorteil: Aus Pyrolyseöl und Pyrolysegas lassen sich Kunststoffe nahezu in Neuwarequalität herstellen – auch für sensible Anwendungen“, sagt Jens Becker, Technologe bei LyondellBasell. Deshalb ist das, was in Wesseling entsteht, nicht einfach ein weiteres Recyclingverfahren.
Das Besondere daran: Das Unternehmen hat eine eigene Technologie entwickelt, MoReTec, die effizienter und energiesparender arbeiten soll als andere Verfahren. MoReTec basiert auf einem pyrolytischen Prozess, bei dem Kunststoffabfälle in kurzer Zeit auf molekularer Ebene aufgespalten werden. In einer Pilotanlage im italienischen Ferrara wurde das Verfahren bereits getestet und seit 2017 zum chemischen Recycling geforscht. Die Erfahrungen aus diesem Pilotprojekt fließen direkt in die neue Anlage in Wesseling ein.

Axel Mrosek und Betriebsrat Marcus Schiffbauer (links) zeigen, wie das Pyrolyseöl aussieht. Es eignet sich auch für Ware in sensiblen Anwendungsbereichen.
Mehr Nachhaltigkeit
Das Verfahren ist flexibel einsetzbar, kann verschiedene Kunststoffarten verarbeiten und liefert Ausgangsstoffe, die sich direkt in bestehende Produktionsprozesse einspeisen lassen. Das macht MoReTec zu einem wichtigen Hebel für den industriellen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit. „Innerhalb des chemischen Recyclings gehen wir mit unserer Technologie noch einen Schritt tiefer in die Materie rein“, erklärt Mrosek.
LyondellBasell will bis 2030 zwei Millionen Tonnen Kunststoffe aus recycelten oder nachwachsenden Rohstoffen herstellen – pro Jahr. Die neue Anlage ist der erste große Schritt in diese Richtung. Auch in der Lieferkette setzt das Unternehmen an: Investitionen in moderne Sortieranlagen sollen verhindern, dass verwertbare Kunststoffe in der Müllverbrennung landen. Zudem wird perspektivisch auf Strom aus erneuerbaren Energien umgestellt. Die Recyclinganlage ist damit nicht nur ein technologisches Statement, sondern auch ein ökologisches Signal.
Ein wichtiger Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit solcher Recyclingprojekte sind klare politische Rahmenbedingungen. „Solange klassische fossile Rohstoffe günstiger sind als recycelte Alternativen, fehlt aus betriebswirtschaftlicher Sicht oft der Anreiz zum Umstieg“, heißt es vom Betriebsrat. Verbindliche Recyclingquoten oder steuerliche Anreize könnten den Ausschlag geben. Nur so lasse sich das wirtschaftlich nachhaltige Betreiben solcher innovativen Anlagen dauerhaft sichern. „Wir wollen den Kreislauf im eigenen Werk schließen“, sagt Mrosek.
Wertstoffkreislauf: Chemisches Kunststoffrecycling
Nachhaltigkeit bedeutet auch soziale Verantwortung.
Axel Mrosek,
stellvertretender Betriebsratsvorsitzender
Betriebsrat gestaltet mit
Für den Betriebsrat ist das Projekt ein doppelter Gewinn: Es sichert bestehende Arbeitsplätze und schafft neue. Insgesamt sollen rund 45 Fachkräfte aus den eigenen Reihen in der neuen Anlage arbeiten – davon etwa dreißig ausgebildete Chemiefacharbeiterinnen und -facharbeiter. „Das stärkt nicht nur die Identifikation, sondern auch das Know-how am Standort“, sagt Mrosek. Einige haben eine Weiterbildung in London gemacht. Sie wurden in Verfahren und Technik der neuen Anlage geschult – mit dem Ziel, die anderen Kolleginnen und Kollegen im Anschluss direkt in Wesseling fortzubilden.
Einer der erfahrenen Neuen ist Tobias Steffgen. Er ist als Schichtführer frisch in die neue Recyclinganlage gewechselt, war einer der Ersten, die sich intern beworben haben. Zuvor war er als stellvertretender Schichtführer im Kraftwerk beschäftigt. „Ich freue mich riesig auf die neue Aufgabe. Das ist nicht einfach nur ein neuer Job – das ist ein Teil von etwas richtig Großem. Mich hat das Konzept sofort überzeugt. Endlich machen wir Recycling so, dass es zu unserer Hightech-Produktion passt.“ Für ihn bedeutet die Umstellung auch einen Sprung in eine neue Welt: „Wir arbeiten mit einem Verfahren, das technisch hochkomplex ist und gleichzeitig nachhaltige Ziele verfolgt. Ich glaube, dass uns viele Standorte in Zukunft beneiden werden.“
Recycling trifft Hightech-Produktion.
Tobias Steffgen,
künftiger Schichtführer
Von Anfang an war der Betriebsrat eingebunden: in die Planungen, in die Gespräche mit der Geschäftsführung, in die Standortfragen. „Nachhaltigkeit bedeutet auch soziale Verantwortung“, sagt Mrosek. „Und das geht nur im Schulterschluss.“ Ein besonderes Anliegen war dem Gremium deshalb auch die soziale Ausgestaltung des Neubaus. „Wir haben uns frühzeitig dafür eingesetzt, dass der Bau barrierefrei wird – und dass es vernünftige Pausen- und Sozialräume für die Kolleginnen und Kollegen gibt“, sagt Mrosek. Dass das gelungen ist, sieht er als Erfolg gewerkschaftlicher Mitbestimmung. Entsprechend groß ist auch die Zustimmung in der Belegschaft. Viele Beschäftigte sehen das Projekt als Chance – auch für Qualifizierung und Weiterbildung. Denn chemisches Recycling bedeutet neue Prozesse, neue Technik, neue Anforderungen. „Da müssen wir als Betriebsrat natürlich genau hinschauen – und begleiten.“
Der Bau der Anlage in Wesseling kostet insgesamt mehr als 250 Millionen Euro – davon stammen rund fünfzehn Prozent aus Fördermitteln der Europäischen Union (EU). Die Entscheidung für den Bau der Anlage fiel nicht im luftleeren Raum. Mit dem Verpackungsgesetz, der Kunststoffstrategie der EU und dem deutschen Klimaschutzgesetz wächst der Druck auf Unternehmen, umweltfreundliche Lösungen zu finden.
Die Technologie MoReTec von LyondellBasell basiert auf einem Prozess, bei dem Kunststoffabfälle auf molekularer Ebene aufgespalten werden.
Ein Zeichen für die Industrie
Mrosek sieht in der Anlage ein Vorbild für eine neue, zukunftsfähige chemische Industrie in Deutschland: „LyondellBasell hat hier die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen. Wenn MoReTec erfolgreich ist, wird es nicht nur uns hier in Wesseling zugutekommen, sondern ein Zeichen setzen für die gesamte Industrie.“ Die Hoffnung: wirtschaftliche Impulse für die ganze Region. Zusätzliche Arbeitsplätze und eine langfristige Standortbindung sollen das Umfeld nachhaltig stärken.
Auch für die IGBCE ist das Projekt mehr als nur ein technischer Fortschritt. „Wir stehen als Gewerkschaft voll hinter dem Ansatz, Ressourcen zu schonen und gleichzeitig stabile Arbeitsplätze zu sichern“, sagt Sarah Jansen, stellvertretende Leiterin des IGBCE-Bezirks Köln-Bonn und zuständige Betriebsbetreuerin. Für viele Beschäftigte ist das Projekt mehr als eine Garantie für ihre Jobs. Es ist die Chance, Teil eines innovativen Projekts zu sein, das Verantwortung für die Umwelt übernimmt und Lösungen für die Zukunft bietet.
Auch wenn die Anlage erst im kommenden Jahr fertiggestellt werden soll, steht sie jetzt schon als Symbol für einen Standort, der sich neu erfindet. Und für Axel Mrosek ist es auch ein persönlicher Moment. „Dass ich an dem Ort, an dem meine Laufbahn begann, an so einem Projekt mitwirken kann – das macht mich stolz.“ Vielleicht ist es genau das, was dieses Projekt für ihn so besonders macht: Es zeigt, dass Kreislaufwirtschaft nicht irgendwo beginnt – sondern genau hier. In Wesseling.