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Vor Ort: Nord
Hannover
Tarifflucht: Hindernis für Fachkräfte

Aus der Tarifbindung ausgetreten: Hywax. Ein exemplarischer Fall.
Foto: IGBCE
Die Hiobsbotschaft erreichte die gut 300 Beschäftigten des Hamburger Paraffinherstellers Hywax vor einem Jahr: Per Rundmail kündigte der Inhaber den Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft – eine Sondermitgliedschaft „ohne Tarifbindung“ – des Arbeitgeberverbands an.
Als der Austritt zum Jahreswechsel vollzogen war, wollte der Arbeitgeber zwei Auszubildende erstmals ohne tarifliche Eingruppierung übernehmen. „Ein klarer Verstoß gegen geltendes Recht“, kommentiert der Betriebsratsvorsitzende Thomas Heise. Die IGBCE-Tarifabteilung verwies auf die Nachbindung: Bei Verbandsaustritt oder Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft bleibt der Arbeitgeber so lange an geltende Tarifverträge gebunden, bis diese auslaufen oder geändert werden.
Was als „Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit“ angekündigt war, entwickelt sich zum Bumerang. Das Unternehmen nehme derzeit keine Neueinstellungen vor und die ohnehin angespannte Personalsituation werde sich weiter verschärfen, wenn die Gehälter eingefroren werden, prognostiziert Thomas Heise. Ohne Tarifbindung verliere Hywax für die dringend benötigten Fachkräfte an Attraktivität und sei auf dem Arbeitsmarkt kaum mehr konkurrenzfähig, sagt der Gewerkschafter.
Auch bei Petrofer in Hildesheim brodelt es, bestätigt der Betriebsratsvorsitzende Christoph Sachse. Der Schmierstoffhersteller mit 290 Beschäftigten ist zum 1. Juli 2024 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und verweigert nun die zum 1. April im Chemie-Tarifvertrag vereinbarte Lohnerhöhung. Doch viele Arbeitsverträge verweisen ausdrücklich auf den geltenden Tarifvertrag. Mit Unterstützung der IGBCE ziehen Beschäftigte nun vor Gericht – mit guten Erfolgsaussichten.
Trotz wachsender Spannungen verweigert Petrofer Gespräche über einen Haustarifvertrag, auch bei der Hywax-Geschäftsführung ist dieser kein Thema. Das könnte teuer werden: Mit Ende der Tarifbindung endet auch die Friedenspflicht – Streiks wären rechtlich möglich. Auch deshalb verzeichnet die IGBCE einen Mitgliederboom – „stärker als jede Werbeaktion der letzten Jahre“, kommentiert Lejla Schultheis, Vorsitzende der Hywax-Vertrauensleute.
Andere Unternehmen gehen noch drastischere Wege: Die französische Hamelin-Gruppe verlagerte nach der Schließung der Pelikan-Vertriebsstandorte Falkensee und Hannover mit rund 250 Beschäftigten ihre Aktivitäten an einen neuen Standort in der Landeshauptstadt. Dort soll eine neue Gesellschaft mit nur 30 Beschäftigten ohne Tarifbindung die Arbeit übernehmen. Den Bestandsmitarbeitenden wurden bereits entsprechende Wechselangebote vorgelegt.
Lübeck
Meilenstein für Mitbestimmung

Verhandelt wichtige Meilensteine der Mitbestimmung: die Tarifkommission.
Foto: Sascha Mende, IGBCE (2)
Mit den Tarifverträgen über Inflationsausgleich, Urlaubsgeld und Arbeitszeitreduzierung sind wichtige Meilensteine für die Mitbestimmung beim Labordiagnostik-Hersteller Euroimmun erreicht. Nachdem die IGBCE den Arbeitgeber im April 2024 zu Tarifverhandlungen aufgefordert hatte, wurden die Verträge in Rekordzeit ausgehandelt – und Inflationsprämie sowie Urlaubsgeld bereits umgesetzt. Bei der Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden in zwei Schritten verhandeln Tarifkommission und Geschäftsführung noch die Details.
„Es ist bemerkenswert, wie schnell wir so gute Ergebnisse erzielen konnten“, sagt Christian Wilde, Betriebsratsvorsitzender und Mitglied der Tarifkommission. Denn betriebliche Mitbestimmung gebe es erst seit 2020. Für Thomas Pfeiffer ist dies ein Erfolg des starken Rückhalts in der rund 2.400-köpfigen Belegschaft. Der Vorsitzende der Vertrauensleute ist „positiv überrascht, in welch kurzer Zeit wir recht viele Kolleginnen und Kollegen mobilisieren konnten“. Das nächste Ziel ist bereits gesetzt: ein Entgelttarifvertrag.
Hannover
Conti-Zerschlagung ist Fakt
Die Zerschlagung von Continental ist beschlossen: Auf der Hauptversammlung im März stimmten die Aktionärinnen und Aktionäre der Abspaltung der Autozuliefersparte zu. Im nächsten Schritt will sich der Konzern von der Kunststoff- und Kautschuk-sparte ContiTech trennen.
Um die Beschäftigten bestmöglich abzusichern, fordern die beteiligten Betriebsräte eine langfristige Beschäftigungs- und Standortsicherung sowie eine Investitionsoffensive. „Es muss verhindert werden, dass ein Käufer den Kahlschlag der deutschen ContiTech-Standorte noch schneller vorantreibt, als das bisher schon der Fall war“, so der Konzernbetriebsratsvorsitzende Hasan Allak.
Für die rund 320 Beschäftigten der Shared-Service-Dienste, deren Ausgliederung im Herbst mit 170 Arbeitsplätzen beginnt, verhandelt der Konzernbetriebsrat aktuell einen Interessenausgleich.
Lingen
Tarifkonflikt in Raffinerie

Foto: IGBCE
Der Tarifkonflikt in der BP-Raffinerie in Lingen spitzt sich zu: Bei den aktuell laufenden Verhandlungen für die rund 700 Beschäftigten fordert die IGBCE 4,85 Prozent mehr Lohn und bessere Bedingungen für den Schichtdienst. Doch der Arbeitgeber stellt sich quer. Anstelle eines Angebots überraschte er die Tarifkommission mit einer Gegenforderung: einer Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 40 Stunden – ohne Lohnausgleich. „Das entspricht einer Lohnkürzung und ist mit uns nicht zu machen“, kritisiert Philipp Hering, Leiter des IGBCE-Bezirks Ibbenbüren, scharf. Rückendeckung erhielt die Verhandlungskommission von rund 300 Beschäftigten bei einer Tarifaktion Anfang April. Auf Transparenten forderten sie von ihrem Arbeitgeber ein ernst zu nehmendes Angebot und echte Verhandlungsbereitschaft. Besonders erzürnte sie die Forderung nach einer 40-Stunden-Woche bei gleichzeitigem Personalabbau, bestätigte der Betriebsratsvorsitzende Michael Fastabend. Erst bei einer Betriebsversammlung im Januar hatte die Unternehmensleiterin den Abbau von bis zu 150 Arbeitsplätzen angekündigt. Sozialplan und Teilinteressenausgleich für bis zu 134 Stellen sind nun mit dem Betriebsrat verhandelt.
Hamburg/Essen
Demo vor Zentrale

Foto: IGBCE
Hamburger Beschäftigte der Brenntag GmbH demonstrierten am 5. Mai vor der Essener Konzernzentrale für einen Tarifvertrag. Tobias von Pein, Sekretär im Bezirk Hamburg–Harburg: „Auch nach vier Verhandlungsrunden am Hamburger Standort bestehen große Differenzen bei der Bewertung von Tätigkeiten und deren Bezahlung.“ Er kritisiert, dass die Beschäftigten eines Dax-Konzerns ohne Tarifbindung arbeiten.
Hannover
Erster Mai im Norden

Foto: IGBCE
Rund 70.000 Menschen gingen am Tag der Arbeit unter dem Motto „Mach dich stark mit uns“ auf die Straße. Ein positives Zeichen: Das waren mehr Teilnehmende als in den Vorjahren.
Hamburg
Betriebsrat nominiert
„Wir für euch“: Mit einem Podcast informiert der Aurubis-Betriebsrat Vertrauensleute und Mitglieder im Betrieb – vor allem in Krisenzeiten. Er wurde für den „Deutschen Betriebsrätepreis 2025“ nominiert.
Foto: Noor AL-Jammali
3 Fragen an …
Anja Kretzschmar
Die Vorsitzende des Landesbezirksfrauenausschusses ist neu gewähltes Mitglied im Landesbezirksvorstand.
Was motiviert dich zu deinem Engagement in Mitbestimmungs- und Gewerkschaftsgremien?
Als Verfechterin der Gleichstellung setze ich mich für die Anliegen von Frauen in Betrieb und Gewerkschaft ein. Heute ist es wichtiger denn je, dass der Mensch aufsteht und aktiv wird. Nur so kann ich verändern, was mir nicht passt – wie etwa Vorurteile und alte Machtverhältnisse, in denen Frauen noch immer gefangen sind. Als Elektrikerin habe ich erlebt, dass sich Frauen in einem männlich dominierten Bereich beweisen, dass sie besser sein müssen, um akzeptiert zu werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum wir immer noch darauf hinweisen müssen, dass Frauen die Hälfte der Bevölkerung stellen und deshalb auch im selben Maße beteiligt und vertreten sein müssen.
Wo wirst du die Schwerpunkte deiner Arbeit im Landesbezirksvorstand setzen?
Mein Steckenpferd ist die Frauenarbeit – und dafür brauchen wir die Jugend. Deshalb werde ich einen Schwerpunkt auf die Rekrutierung von Nachwuchs setzen und Frauen verstärkt in die Verantwortung holen. Bei BASF Polyurethanes wissen wir dank einer großartigen Vorgängerin, die den weiblichen Nachwuchs früh in die Vertrauensleute- und Betriebsratsarbeit eingebunden hat, dass es funktioniert. Das Gremium besteht seitdem zur Hälfte aus Frauen – und wir haben keine Probleme mehr, neue zu gewinnen. Das ist eine gute Praxis, die ich in die Breite tragen möchte. Allerdings könnte es angesichts des aktuellen politischen Rückwärtstrends möglicherweise auch darum gehen, das Errungene zu verteidigen.
Was sind die wichtigsten Zukunftsthemen für die IGBCE?
Aktuell ist eine starke Industriepolitik unglaublich wichtig. Es ist existenziell, dass die Industrie im Land bleibt, damit die Arbeitsplätze nicht verlagert oder abgebaut werden. In den letzten Jahren hat die IGBCE bereits in die politische Debatte beispielsweise um den Industriestrompreis, eingegriffen – und so muss es bleiben.