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Betriebsausflug

Video: Auf der Sophienhöhe: die Rekultivierung des Hambacher Tagebaus.

Neuland

Text André Boße – Fotos Moritz Küstner

Die Rekultivierung des Tagebaus Hambach lässt Landschaften entstehen. Die Abraumhalde entwickelte sich zur Sophienhöhe,
die gigantische Grube wird zu einem See. Das Naherholungsgebiet ist beliebt bei Rad- und Wanderreisenden auch dank der Wildpferde, die ganz nebenbei eine wichtige Aufgabe erledigen.

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Die Goldene Aue ist eine dreißig Hektar große Freifläche auf der Sophienhöhe direkt an der Kante zum Tagebau Hambach.

Wer zum ersten Mal an der Kante steht, traut seinen Augen nicht. Die Dimensionen des Hambacher Tagebaus sind unfassbar. Die Grube ist rund 350 Meter tief, mit einer Fläche von mehr als vierzig Quadratkilometern größer als Borkum. An den Böschungen sind die Erdschichten zu erkennen, die sich in vielen Millionen Jahren oberhalb der Braunkohleflöze gebildet haben: Löss, Kies, Sand, Ton.

Terra Nova heißt der Aussichtspunkt an der Kante. Neuland. Das stimmt und stimmt auch wieder nicht. Denn noch zeigt sich die Vergangenheit in Form des größten Braunkohletagebaus Europas. Der Eingriff in die Natur hat zu Protesten geführt (siehe Infokasten). Seit 1984 wird Kohle im Tagebau Hambach mit fast hundert Meter hohen Schaufelradbaggern gefördert. Doch auch sie sind bald Relikte: 2029 wird die letzte Braunkohle aus der Grube geholt. Für RWE haben längst die Vorbereitungen für die abschließende Rekultivierung begonnen, verbunden mit dem Aufbau einer neuen Landschaft.

Ab 2030 wird der See befüllt.

Daniel Keller,
Referent für den Tagebau bei RWE

Hambacher Forst

Vom Aussichtspunkt Terra Nova aus betrachtet, liegt der Hambacher Forst auf der gegenüberliegenden Seite der Grube. Von den ursprünglich mehr als 4.000 Hektar des Waldgebiets sind noch rund 500 übrig. Ab Mitte der 2010er-Jahre entwickelte sich der Forst zum Symbol des Widerstands gegen die Kohlegewinnung. Sein Erhalt war Teil des Kohlekompromisses von 2019, den die IGBCE mitverhandelt hat. Mithilfe von ökologischen Maßnahmen sind der Hambacher Forst und andere Waldgebiete verbunden worden, um auch dort die Biodiversität zu erhöhen.

Die Grube wird ein riesiger See, der „zweitgrößte Deutschlands nach dem Bodensee“, sagt Daniel Keller. Als Referent für den Tagebau bei RWE Power ist er Teil des Teams, das aus der Vergangenheit die Zukunft formt. Rekultivierung nennt sich dieser Prozess: Die dem Tagebau zur Verfügung gestellten Landschaften werden umgestaltet, um sie neu nutzbar zu machen für Pflanzen, Tiere und die Menschen. „Ab 2030 wird der See befüllt“, sagt der 43-Jährige. Dafür genutzt wird Wasser aus dem Rhein. Rund vierzig Jahre werde es dauern. „Unsere Kindeskinder werden hier baden, Boot fahren, am Strand liegen.“ Heute ist Terra Nova ein faszinierender Aussichtspunkt an der Schnittstelle zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Anna Merk von der Forschungsstelle Rekultivierung prüft, ob sich in einem der Baumkästen im Wald der Sophienhöhe eine Haselmaus zu Hause fühlt.

In der 350 Meter tiefen Grube sind diverse Erdschichten zu erkennen.

Totes Holz bringt neues Leben

Was man sich beim Betrachten unweigerlich fragt: Wo ist eigentlich die ganze Erde hin? Die Antwort erhebt sich in der eigentlich flachen Jülicher Börde weithin sichtbar bis zu 300 Meter über den Meeresspiegel: die Sophienhöhe. Entstanden ist sie als Abraumhalde, doch wie eine Halde wirkt sie nicht. Eher wie ein Reservat, das vielfältige Natur mit Naherholung kombiniert.

Auf einem Wanderparkplatz am Fuß der Sophienhöhe parkt Anna Merk ihr Auto. Die Umweltwissenschaftlerin ist Mitarbeiterin bei der RWE-Forschungsstelle Rekultivierung. Ab hier sind motorisierte Fahrzeuge verboten, nur Betriebsfahrten sind erlaubt. Das Wegenetz für Radfahrende sowie Fußgängerinnen und Fußgänger hat eine Länge von rund hundert Kilometern und ist verschlungen. Es ist daher klug, die Sophienhöhe mithilfe einer Karte zu erobern. Gekennzeichnete Wandertouren gibt es ab 3,6 und bis zu 15,6 Kilometern.

Was beim Betreten der Sophienhöhe sofort auffällt, ist die himmlische Ruhe. Im Wald hört man nur einen Specht rufen. „Ein Schwarzspecht“, weiß Merk. Noch sei er hier zu Gast, um sich Nahrung zu holen. „Wir hoffen aber, ihn bald wie auch Klein-, Mittel-, Bunt- und Grünspecht zum Brüten hierherzulocken.“

Am Beispiel der Spechte lässt sich erklären, was die Sophienhöhe als Lebensraum auszeichnet. „Zum Brüten brauchen sie altes Holz“, sagt die Umweltwissenschaftlerin. Die Sophienhöhe sei aber sehr jung, die ältesten Bestände seien rund vierzig Jahre alt. „Also helfen wir nach“, sagt die 28-Jährige und geht zu einem Baumstamm, dem die Krone fehlt. „Das ist Totholz – und Totholz bringt Leben.“ Es stammt aus dem Hambacher Forst. „Um den Wald auf der Sophienhöhe älter zu machen, als er ist“, erklärt Merk.

Rund um den Tagebau Hambach gibt es historische Gebäude. Schloss Paffendorf ist eine der vielen Burgen und der zahlreichen Herrensitze in der Region.

Im Forum :terra nova befindet sich das Besucherinformationszentrum zum Tagebau Hambach plus Gastronomie gegenüber der Aussichtsplattform.

Der Römerturm liegt 302 Meter über dem Meeresspiegel und markiert den höchsten Punkt der Sophienhöhe. Der Turm liegt unweit des Inselsees.

Auf dem Gipfel des Höller Horns thront dieser Turm. Die Landschaft rundherum besteht absichtlich aus nährstoffarmen Erdschichten.

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Plötzlich Prärie

Wie viele Tierarten hier heimisch sind, ist nicht zu beziffern. „Statt jede Spinne zu zählen, arbeiten wir mit Zielarten“, sagt Merk. Eine davon ist die gefährdete Wildkatze, erstmals im Frühjahr 2023 nachgewiesen. „Damit spielt die Sophienhöhe in der Champions League. Wenn sich die Wildkatze wohlfühlt, ist der Lebensraum so gut, dass wir hinter viele andere Arten einen Haken machen können.“

Je mehr man über die Strategie der Rekultivierung erfährt, desto eher erkennt man die vielen Hilfestellungen für die Natur, die das Team der Forschungsstelle angelegt hat. Die scheinbar willkürlichen Holzstapel am Wegesrand zum Beispiel dienen Eidechsen als Zuhause. „Unser Anspruch ist es, der Natur einerseits freien Lauf zu lassen und sie andererseits in bestimmte Bahnen zu lenken“, sagt Merk.

Was das bedeutet, zeigt sich am Höller Horn, gelegen im Herzen des Gebiets. Die Dünenlandschaft ist entstanden, indem man gezielt nährstoffarme Erdschichten wie, in diesem Fall, Sand zur Gestaltung des Lebensraumes genutzt hat. „Standortvielfalt schafft Artenvielfalt“, sagt Merk.

Vorbei am Römerturm, mit 302 Metern der höchste Punkt der Sophienhöhe, führt die Tour zum Inselsee. Wasservögel nutzen eine Insel als Brutstelle. Besonders imposant sind die Graureiher mit ihrem majestätischen Landeanflug.

Wer sich fragt, was es mit den Holzkästen an den Baumstämmen auf sich hat: Hierhin verkriechen sich Haselmäuse. Die Nager fühlen sich in diesen Wäldern außerordentlich wohl. Kein Wunder, dass das Maskottchen der Sophienhöhe eine Haselmaus namens Sophie ist.

In den jungen Wald auf der Sophienhöhe wird altes Totholz aus dem benachbarten Hambacher Forst gebracht – im Sinne der Biodiversität. Die Herde mit acht Wildpferden lässt sich beim Weiden nicht von den Menschen stören.

Wildpferde als Rasenmäher

Weiter nach Süden öffnet sich die Landschaft erneut, der Blick fällt frei auf die Goldene Aue, eine dreißig Hektar große Fläche ohne Baumbewuchs. Zu sehen sind acht Wildpferde, die in aller Ruhe grasen, sich vergnügt wälzen. Seit 2024 lebt die Herde hier, im März 2025 wurde das dritte Fohlen geboren. Es handelt sich um Koniks: robuste und selbstständige Pferde, die mit Wind und Wetter klarkommen. Und die sich von Menschen nicht stressen lassen. Wenn diese auf den Wegen bleiben – „was wirklich wichtig ist“, wie Merk sagt.

Die Herde ist eine Attraktion, übernimmt in der Goldenen Aue aber auch eine Aufgabe: „Die Wildpferde mähen die Freifläche besser, als wir es könnten“, sagt Merk. Durch das Grasen verhindern die Wildpferde, dass auch in der Goldenen Aue ein Wald entsteht. Die Herde erhält damit einen Lebensraum für Arten, die sich im Wald nicht wohlfühlen. Hinzu kommt: „Durch das Wälzen und die Hufabdrücke entstehen offene Bodenflächen, die von anderen Tierarten bewohnt werden.“ Leben bringt Leben auch dafür steht das Prinzip der Rekultivierung, die sich auf der Sophienhöhe erleben lässt.

Guide: Tagebau Hambach

Aussichtspunkt Terra Nova 1
Weitere Information unter der Karte.

Hotelempfehlung
Hotel52 Bergheim
Kirchstraße 52
50126 Bergheim
DZ ab 94 Euro

Hotelempfehlung
Villa Sophienhöhe
Sophienhöhe 1
50171 Kerpen
DZ ab 96 Euro

Hotelempfehlung
Burg Obbendorf
52382 Niederzier-Hambach
DZ ab 175 Euro (inkl. Frühstück)

Gastronomie
Forum :terra nova
Gegenüber der Aussichtsplattform;
Fingerfood, Burger,
Salate, Flammkuchen
www.forumterranova.de

Brasserie
Schloss Paffendorf
Biergarten, Imbiss, Kaffee und Kuchen
www.schlosspaffendorf.de

Sophienhöhe
Eintritt möglich über:

Wanderparkplatz Hambach
Niederzierer Straße
52382 Niederzier

Parkplatz Niederzierer See
Lotsenstelle 42
52382 Niederzier

Parkplatz Licher Straße
52382 Niederzier
Parkplatz Stetternich
52428 Jülich

Auf der Sophienhöhe herrscht ein Fahrverbot für Autos.

Infos zu Führungen und Sonderveranstaltungen

Aussichtspunkt
Terra Nova 1

An der Kante zum Tagebau werden seine Ausmaße ersichtlich. Wer Fantasie hat, stellt sich vor, dass sich eines Tages an dieser Stelle der Strandzugang zu dem gigantischen neuen See befinden wird.

Goldene Aue
Die Freilandschaft im Herzen der Sophienhöhe wird geprägt von den hier weidenden Wildpferden. Ihren Namen verdankt die Aue den gelb blühenden Pflanzen Klappertopf und Färber-Ginster.