Foto: Moritz Küstner (Archiv)
Alles in trockenen Tüchern
Artikel von KI vorlesen lassen
Zewa, Tempo, Tork – diese Marken kennen viele Menschen, den Namen der Firma dahinter aber nur wenige. Essity stellt neben Hygienepapieren auch medizinische Produkte wie Leukoplast-Pflaster oder Kompressionsstrümpfe her und vertreibt diese in mehr als 150 Ländern.
Essity
Hier ist der Name Programm: Auf Toilettenpapier oder Taschentücher können die wenigsten in ihrem Alltag verzichten. Der Name Essity setzt sich daher zusammen aus „Essentials“ (Wesentliches) und „Necessities“ (Notwendigkeit). Zwar gibt es Essity in seiner jetzigen Form erst seit acht Jahren, die Geschichte des Unternehmens reicht aber 141 Jahre zurück. 1848 wurde in Mannheim die Zellstofffabrik Waldheim gegründet. Seitdem wird dort – in der ehemaligen Zellstofffabrik Waldhof und dem heutigen Mannheimer Essity-Werk – Papier produziert. 1970 fusioniert die Zellstofffabrik Waldhof mit den Aschaffenburger Zellstoffwerken zu den Papierwerken Waldhof-Aschaffenburg (PWA). 1995 kauft das schwedische Forstunternehmen SCA PWA auf. Es folgen weitere Zukäufe, zum Beispiel das europäische Tissue- und Hygieneproduktgeschäft von Procter & Gamble sowie Georgia-Pacific und der Medizinproduktehersteller BSN Medical. 2017 spaltet SCA schließlich das gesamte Hygienepapiergeschäft ab – Essity firmiert fortan als eigenständiges Unternehmen.
Gründung 2017 (durch Abspaltung von dem Zelluloseproduzenten SCA)
Sitz Mannheim (Hauptsitz der deutschen Gesellschaft)
Rechtsform GmbH
Mutterkonzern Essity AB
Börsengang 2017
Geschäftsbereiche Hygienepapiere
Umsatz (2024) 1,7 Milliarden Euro (Deutschland); weltweit: 13 Milliarden Euro
Beschäftigte ca. 36.000 weltweit (davon rund 5.000 in Deutschland)
Arbeitsumgebung
Papier hat Tradition in Mannheim: Seit 1884 wird es dort im Stadtteil Waldhof produziert. Der Markenname Zewa leitet sich sogar von der ehemaligen Zellstofffabrik Waldhof ab. Das Haushaltstuch gibt es mittlerweile seit 110 Jahren, die Marke Tempo wird ebenfalls bald 100 Jahre alt. Auch heute prägt die Papierproduktion die Stadt. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden eigene Wohnsiedlungen für die Beschäftigten, zum Beispiel die Waldhofer Papyrus- und Zellstoffsiedlung, in der sich heute nach wie vor Werkswohnungen befinden.
Das Mannheimer Essity-Werk nimmt deshalb eine Sonderrolle im Konzern ein. Es ist europaweit mit rund 2.300 Beschäftigten der größte Produktions- und Verwaltungsstandort: Dort wird Zellstoff sowohl hergestellt als auch verarbeitet – es findet also die gesamte Wertschöpfungskette von den Rohstoffen Holz und Stroh bis hin zum fertigen Hygieneprodukt statt.
In Neuss werden die sogenannten Handelsmarken hergestellt, also Toilettenpapier und Küchentücher für die Eigenmarken der Drogeriemärkte und Discounter. In Mainz-Kostheim werden Tork-Produkte produziert und in Emmerich und Hamburg liegt der Fokus auf medizinischen Produkten.
Berufsgruppen und Tätigkeitsfelder sind an allen Essity-Standorten weit gefächert und reichen von der Fachkraft für Lagerlogistik über den*die Produktionsmechaniker*in bis hin zum dualen Studium der Papiertechnologie.
Betriebsklima
Ein Casino, ein Ferienprogramm für die Kinder oder Gesundheitstage: Bei Essity gibt es kaum etwas, das es nicht gibt. Die Sozialleistungen sind üppig: Tickets für den ÖPNV werden bezuschusst, es gibt eine Betriebsrente und ein gut genutztes Lebensarbeitszeitkonto, um Zeit für eine Auszeit oder einen früheren Renteneintritt anzusparen – es ist teilweise durch den Arbeitgeber finanziert. An der Essity Academy können sich Mitarbeitende intern weiterbilden.
Zwar ist das Betriebsklima nicht mehr so familiär wie früher, aber der Zusammenhalt ist nach wie vor gut. Unternehmen und Betriebsrat bemühen sich immer darum, alle Beschäftigten mitzunehmen und zu informieren. Kritik ist meist abhängig von einzelnen Personen oder Abteilungen. Beschwerden gibt es immer mal wieder über Veränderungsprozesse oder über die Schichtarbeit, ohne die es bei Essity aber nicht geht.
Für Unruhe sorgte am Standort Neuss 2023 die Umstellung der Produktion von Markenware auf Handelsmarken. Die Belegschaft hatte Sorge, der Standort könnte ins Hintertreffen geraten oder verkauft werden. Das Gegenteil war der Fall: Die Produktion musste wegen der höheren Nachfrage auf einen Rund-um-die-Uhr-Betrieb umgestellt werden. Eine Änderung des Schichtmodells war nötig. Ein Fünf-Schichten-Modell wurde eingeführt, das seitdem für deutlich mehr Zufriedenheit unter den Beschäftigten sorgt.
Mitbestimmung
Mit harten Bandagen wird bei Essity meist nur auf dem Fußballplatz gekämpft. Einmal im Jahr gibt es ein Fußballspiel, bei dem die Betriebsrät*innen und Gewerkschafter*innen gemeinsam gegen das Management antreten. Das zeigt: IGBCE und Arbeitgeber verhandeln auf Augenhöhe. Natürlich gibt es Konflikte und schmerzhafte Kompromisse für beide Seiten, aber insgesamt läuft es mit der Mitbestimmung bei Essity traditionell sehr gut. Die Sozialpartnerschaft ist gewachsen und gefestigt und das Unternehmen hält sich vorbildlich an alle Informations- und Beteiligungspflichten.
Für den gesamten Essity-Konzern gibt es einen zwölfköpfig besetzten Aufsichtsrat sowie drei lokale Aufsichtsräte jeweils für Mannheim, Kostheim und Neuss.
Noch gibt es zwei Konzernbetriebsräte, einen für den Bereich der Medizinprodukte (BSN Medical) und einen für den Hygienebereich. Ziel ist es, nach der Betriebsratswahl im kommenden Jahr einen gemeinsamen Konzernbetriebsrat für Essity Deutschland zu etablieren. Sehr aktiv ist der bereits seit knapp dreißig Jahren tätige Europabetriebsrat, der sich unter anderem dafür einsetzt, Sicherheit am Arbeitsplatz und Umweltschutz in den weltweiten Lieferketten zu erhöhen. Die einzelnen Betriebsratsgremien sind untereinander gut vernetzt und tauschen sich regelmäßig aus. In allen Werken gibt es aktive Vertrauensleutekörper.
Tarifbindung
Alle Essity-Standorte sind traditionell tarifgebunden, an den meisten gilt der Flächentarifvertrag der Papier erzeugenden Industrie. Essity ist zudem der größte Konzern im Arbeitgeberverband Die Papierindustrie, bringt sich in den Tarifverhandlungen arbeitgeberseitig aber nur wenig ein. IGBCE und Betriebsräte setzen sich dafür ein, dass sich das künftig ändert.
Der letzte Tarifabschluss vom November 2024 brachte den Beschäftigten eine Erhöhung der Entgelte um insgesamt 5,9 Prozent in drei Stufen sowie eine Verhandlungsverpflichtung für einen Bonus für Mitglieder der IGBCE.
Die Wochenarbeitszeit liegt in der Papierindustrie bei 38 Stunden, am Standort Neuss arbeiten die Beschäftigten historisch bedingt aber nur 35 Stunden. Schichtarbeitnehmende in der Papierindustrie haben ab 55 Jahren Anspruch auf Altersfreizeiten, also auf 14 freie Tage pro Jahr zusätzlich. Alle Beschäftigten können ab 57 Jahren in Altersteilzeit gehen, also mit Essity eine Teilzeitbeschäftigung vereinbaren, die finanziell aufgestockt wird. In dieser Altersteilzeit erhalten sie weiterhin 85 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens. Maximal ist das für fünf Prozent aller Beschäftigten möglich.
Am Medizinproduktestandort in Hamburg (BSN Medical) gilt der Chemie-Flächentarifvertrag, in Emmerich ein Haustarifvertrag der IG Metall.
Zukunftsfähigkeit
Der große Vorteil von Essity sind die Produkte selbst: Das Unternehmen stellt essenzielle Gebrauchsartikel her, die jede und jeder in Deutschland benötigt. Es ist dadurch wenig von der Konjunktur oder anderen Branchen abhängig. Zwar leidet auch Essity unter den gestiegenen Preisen für Altpapier und Logistik und den hohen Energiekosten, die wirtschaftliche Situation ist aber solide. Entscheidend ist trotzdem, dass bald ein in Europa wettbewerbsfähiger Industriestrompreis kommt.
Um sich von den Energiekosten unabhängiger zu machen, ist das Unternehmen stetig auf der Suche nach neuen Wegen: In Mannheim erzeugt Essity den kompletten Dampfbedarf und drei Viertel des benötigten Stroms selbst. Außerdem betreibt das Unternehmen dort eine Strohzellstoffanlage, in der es als erstes und einziges Unternehmen in Europa Zellstoff aus Stroh herstellt und so landwirtschaftliche Restprodukte in den Materialkreislauf zurückführt. In Mainz-Kostheim produziert Essity testweise Papier mit Wasserstoff.
Das Unternehmen will sich in den kommenden Jahren vermehrt auf medizinische Produkte konzentrieren, weil die Margen dort höher sind und die Produktion nicht so energieintensiv ist. Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden, hat Essity nur bei einigen Positionen, beispielsweise bei Papiertechnolog*innen, da der Beruf unbekannt ist. Essity bildet aber viel selbst aus, um den Bedarf zu decken.
Das sagt Essity
Bisher kann Essity offene Stellen in allen Berufsgruppen zügig besetzen – auch in der Schichtarbeit. Dennoch sei man sich bewusst, dass das immer schwieriger werde und Schichtmodelle erfordere, die attraktiv, fair und flexibel sind, Familie und Beruf besser in Einklang bringen sowie schnelle Wechsel und längere Ruhephasen beinhalten.
Unser Fazit
Bei Essity läuft es rund – und das nicht nur an der Papierrolle. Das Unternehmen mit den bekannten Marken von Zewa bis Tempo ist ein solider Arbeitgeber mit Weitblick. Traditionell ist Essity tariftreu und in Sachen Sozialpartnerschaft vorbildlich, IGBCE und Arbeitgeber verhandeln dort auf Augenhöhe.
Auch für die Zukunft ist Essity gut gerüstet. Das Unternehmen setzt zunehmend auf nachhaltige Lösungen. Es produziert testweise mit Wasserstoff und nutzt Stroh als Rohstoff, um auch künftig eine unverzichtbare Rolle zu spielen – ganz im Sinne seines Namens.
Quellenhinweis: Dieser Arbeitgebercheck basiert auf Recherchen bei Beschäftigten, Betriebsräten, Vertrauensleuten sowie Betriebsbetreuerinnen und -betreuern der IGBCE. Die zusammengetragenen Informationen sind aus Gründen des Quellenschutzes bewusst anonymisiert. Jede Angabe kann jedoch konkret bestimmten Quellen zugeordnet werden. Zudem wurden öffentlich zugängliche Quellen einschließlich der Angaben des Unternehmens selbst genutzt.