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Video: Warum der Akademiker Dusan Fetih in die IGBCE eingetreten ist.

Eine Frage
der Fairness

Text Vera Schankath – Fotos Michael Heck

„Nichts könnte besser sein“, sagt Dusan Fetih über seinen Arbeitsplatz beim Gummikonzern Continental. Der forschende Ingenieur ist Mitglied der IGCBE, so wie immer mehr Akademikerinnen und Akademiker.

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Dusan macht gern Motorradausflüge rund um seine Heimat Hannover – wie hier zum Aussichtsturm an der Paschenburg im Schaumburger Land.

Sein Vater, ein Pilot, verstarb viel zu früh. Dusan Fetih war gerade eingeschult worden. Er kennt harte Zeiten, auch finanziell. Heute weiß er zu schätzen, dass es ihm gut geht. Dass er Sicherheit und Freiheit genießt. Das verdankt er seiner hervorragenden Leistung, aber auch glücklichen Fügungen. Und der IGBCE.

Seinen Traumjob beim Reifenhersteller Continental (Conti) in Hannover versteht Dusan auch als eine Fügung. Das mehr als 150 Jahre alte Unternehmen macht mit rund 95.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 54 Ländern knapp 40 Milliarden Euro Umsatz. Dusan hat im Konzernbereich Tires (Reifen) sein berufliches Zuhause.

2014 hatte Dusan zwei Masterabschlüsse in der Tasche, einen aus Portugal und einen aus Serbien. In der slowenischen Hauptstadt Ljubljana entwickelte der Ingenieur in einem kleinen Team Hautsimulationen für Displays, um das Lesen für Blinde zu ermöglichen. Über gewerkschaftliche Themen machte er, der in Serbiens Hauptstadt Belgrad aufwuchs, sich da keine Gedanken.

Dusan hat zwei Pässe: einen slowenischen (dank seines Vaters) und einen serbischen (dank seiner Mutter). Durch politische Konflikte und Umbrüche waren die Staaten des früheren Jugoslawiens wirtschaftlich angeschlagen. Unabhängige Gewerkschaften etablierten sich zwischen sozialistischen Strukturen und marktwirtschaftlichen Entwicklungen realpolitisch erst langsam und in jedem Land anders. In den beiden EU-Mitgliedsstaaten Slowenien und Kroatien zum Beispiel ist der Organisationsgrad höher als in Deutschland.

Ich habe gutes Karma. Man kann es nicht planen.

Dusan Fetih,
Product Development Continental Reifen

Glückliche Fügung

Als Dusans Forschungsprojekt 2017 endete, machte er Urlaub in Österreich. Eine Auszeit zum Nachdenken, wie es weitergehen soll: „Ich wollte die Richtung ändern und etwas Neues, Handfestes nach temporären Forschungsverträgen.“ Dass er damit nach Sicherheiten strebte, die Gewerkschaften in vielen EU-Ländern explizit erkämpft hatten, wird ihm erst später bewusst.

In Wien las er im Internet ein Stellenangebot von Conti. Es klang genau nach seinen Wünschen. Er setzte ein Bookmark, um sich nach dem Urlaub zu bewerben. Zurück zu Hause war die Ausschreibung jedoch nicht mehr online. Doch, und das beschreibt Dusan als Fügung, aus unerfindlichen Gründen ging er einige Wochen später noch einmal auf die Conti-Seite. Sein Herz machte einen Sprung: Das Stellenangebot war zurück. Dusan reichte sofort seine Bewerbung ein. Er erhielt postwendend einen Anruf aus Hannover und flog aus Ljubljana zum Vorstellungsgespräch. Einen Monat später trat er seinen neuen Arbeitsplatz an. Conti stellte ihm eine Wohnung. „Ich wurde rundum versorgt. Da gibt es nichts zu verbessern.“ Der hochqualifizierte und -engagierte Ingenieur sagt heute noch: „Ich habe gutes Karma. Man kann es nicht planen.“

Echter Enthusiasmus

In seinen ersten sechs Monaten bei Conti lernt Dusan ausschließlich das Unternehmen kennen. Nach dieser exzellenten Einführung übernimmt er eine feste Position. Seine Rollen bisher: Prozessentwicklung, dann Produktindustrialisierung und jetzt Produktentwicklung von Motorradreifen. „Das hätte ich mir nicht besser träumen können“, sagt er. „Ich wollte immer genau das.“ Motorräder sind Dusans große Leidenschaft, seit er denken kann. „Mit ihnen verbinde ich Erinnerungen an meinen Vater. Ich saß viel bei ihm in der Werkstatt.“

Mit seiner Forschungsleiterin entwickelt er in einem kleinen Team Motorradreifen. Dabei ist er im Austausch mit Produktmanagerinnen und -managern sowie Testfahrerinnen und -fahrern. Neben seinen Aufgaben bei Conti schreibt Dusan seine Doktorarbeit. Über Gummi. „Ich mache kein Homeoffice“, sagt er. Der Grund: „Ich gehe wahnsinnig gern ins Büro.“ Alle seien echte Enthusiastinnen und Enthusiasten, Motorradfreaks wie er. Zum Teambuilding treffe man sich auf Rennstrecken offroad. „Wir sind wirklich verbunden“, sagt Dusan. Verbunden miteinander genauso wie mit der gemeinsamen Arbeit.

Runde Sache: Beruflich wie privat dreht sich für Dusan alles um Motorräder. Bei Continental ist er im Konzernbereich Tires (Reifen) beschäftigt.

Jedes Mitglied zählt

Dusan mangelt es an nichts. Das sagt er tief dankbar immer wieder. Zunächst nimmt er daher an, in Deutschland seien alle Mitarbeitenden automatisch in der Gewerkschaft. Denn schließlich genießen sie gewerkschaftlich über Jahrzehnte hart erkämpfte Vorteile.

Im März 2024 erfährt er im Gespräch mit seiner Kollegin Ulrike, wie Gewerkschaften in Deutschland tatsächlich wirken. Dass erst freiwillige Mitglieder sie stark machen. Die Betriebsrätin bei Conti in Hannover-Stöcken sprach ihn in der Kantine an. Dusan hatte viele Fragen, die Ulrike ihm präzise in einem ausführlichen eigenen Termin beantwortete. Nach diesem Gespräch hat er ein klares Bild. Er wird Mitglied der IGBCE.

Wie Dusan entscheiden sich immer mehr kaufmännisch, akademisch und außertariflich Beschäftigte, kurz KAAT, für die IGBCE. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen wandeln sich mit der Globalisierung und der Digitalisierung die Arbeits- und Produktionsprozesse genauso wie die Zusammensetzung der Belegschaften. Der Anteil an KAAT-Beschäftigten wächst kontinuierlich.

Zum anderen entwickelt die IGBCE ein immer größeres Angebot speziell für den KAAT-Bereich: Dazu zählen ein geschützter Mitgliederbereich auf KAAT.net, eine Hotline für individuelle Rechtsberatung, ein AT-Handbuch, der KAAT-Newsletter, Seminare und Netzwerkveranstaltungen wie der KAAT-Dialog. So hat sich seit 2018 die Anzahl der Eintritte KAAT-Beschäftigter in die IGBCE mehr als verachtfacht. Das Erfolgsmodell geht auch auf geschulte Ehrenamtliche in den Betrieben zurück, die aktiv auf KAATlerinnen und KAATler zugehen und sie über die Vorteile der Mitgliedschaft informieren.

Für Dusan ist seine Verantwortung klar: „Ich profitiere von der Gewerkschaft. Da ist es nur fair, sie auch zu unterstützen. Meine Mitgliedschaft ist das Mindeste und eigentlich selbstverständlich. Wenn wir keine Mitglieder haben, dann können wir auch nichts verhandeln.“ Er verdiene gut gemäß Tarif; also zahle er gern den Mitgliedsbeitrag von einem Prozent des Bruttoeinkommens. Das sei eine Frage der Fairness.

Ich profitiere von der Gewerkschaft. Da ist es nur fair, sie auch zu unterstützen.

Dusan Fetih,
Product Development Continental Reifen

Internationales Bewusstsein

Für den KAAT-Bereich geht es wie für alle Beschäftigten vorrangig um Arbeitszeiten und Entgelte. Wenn Tariflöhne steigen, steigen auch außertarifliche Gehälter. Im Detail aber sind die Anliegen ein bisschen unterschiedlich. Vertrauensarbeitszeit, Boni und Reisen, auch international, sind typische KAAT-Fragen.

Dusan arbeitet in der Forschung und Entwicklung. Das sind typischerweise diverse Teams, so auch bei Conti, mit Spezialistinnen und Spezialisten aus der ganzen Welt. Unternehmenssprache Englisch. „Meine Freundinnen und Freunde leben rund um den Globus. Das ist meine Bubble“, erzählt Dusan.

Dusan interessiert sich heute weniger für die lokale Tagespolitik, dafür aber für die Europäische Union und politische Systeme überhaupt. „Wir dürfen das alles, was wir hier haben, nicht als selbstverständlich nehmen“, weiß er daher. „Wir müssen unsere Freiheit verteidigen. Sonst ist sie vorbei.“

Auch wenn Gewerkschaften als universelle Arbeitnehmerorganisationen kämpfen, seien sie nicht überall bekannt. Er wünscht sich daher mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit für deren Bedeutung – gerade im akademischen internationalen Umfeld. Dusan denkt darüber nach, sich direkt für die IGBCE zu engagieren und zum Beispiel weitere Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen. „Dazu werde ich wieder Ulrike fragen“, sagt er.

Dusan war just in die Stadt gekommen und in die Conti-Wohnung eingezogen, da lernte er in einem kleinen Café im bunten Univiertel seine heutige Ehefrau kennen. Noch so eine glückliche Fügung. Während sie, die nicht Motorrad fährt, in ihrem Atelier der eigenen Leidenschaft nachgeht und näht, dreht Dusan auf den kurvigen Strecken der Region seine Runden. „Meine Frau hat sogar ihr Hochzeitskleid selbst genäht“, erzählt er.

Verhandelt und erkämpft

Dusan hat zwei Motorräder. „Das ist wenig. Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben mehr.“ Aber seine beiden sind ganz unterschiedlich: Zum einen hat er eine Moto Guzzi California, zwanzig Jahre alt, eine Rarität, der Cruiser liegt entspannt in den Kurven. Die andere ist eine Honda CBR, zwei Jahre alt, sportlich. Dusan fährt seine Maschinen, so oft er kann. Beide sehen aus wie nagelneu, weil Dusan sie intensiv pflegt. Das erinnert ihn an ­seinen Vater.

Dusan hält sich akribisch an die Straßenverkehrsordnung und hat ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Und er weiß, dass Freiheit und Sicherheit, die er genießt, geschützt werden müssen. „Das ist alles nicht selbstverständlich“, sagt er. „Es ist verhandelt und erkämpft.“ Selbstverständlich ist er Mitglied der IGBCE, der er sein berufliches Glück mitverdankt.