Beim IGBCE-Kongress berieten 400 Delegierte eine Woche lang über 500 Anträge zu Themen wie Demokratie, Industriepolitik, Tarifpolitik und Satzung.
Foto: Kai-Uwe Knoth
„Wir sind gut gerüstet“
Ende Oktober trafen sich rund 400 Delegierte und Hunderte Gäste aus Politik, Wirtschaft, nationaler und internationaler Gewerkschaftsszene zum 8. Ordentlichen Gewerkschaftskongress der IGBCE. Unter dem Motto „Das Richtige tun! Klar. Stark. Solidarisch“ haben sie über die inhaltliche und personelle Aufstellung für die kommenden vier Jahre beraten und abgestimmt.
Die Delegierten bestätigten Michael Vassiliadis und den Hauptvorstand im Amt und beschlossen zentrale Forderungen.
Foto: Kai-Uwe Knoth
Mehr als 500 Anträge haben die Delegierten an den sechs Tagen in Hannover beraten, sich durch fünf Antragsblöcke mit den Schwerpunkten Demokratie und Gesellschaft, Wirtschafts- und Industriepolitik, Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik, Organisationsleben und Satzung geackert. Gestartet war der Kongress am 19. Oktober mit einer großen Eröffnungsfeier, danach war jeder Tag prall gefüllt mit Programm.
Zum einen standen wichtige Besuche auf dem Programm – Bundeskanzler Friedrich Merz kam vorbei, Vizekanzler Lars Klingbeil und Arbeitsministerin Bärbel Bas, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schickte ein Grußwort, zudem war eine große internationale Gewerkschaftsdelegation mit Gästen unter anderem aus der Ukraine, der Türkei, den USA und Norwegen angereist.
Zum anderen bestätigten die rund 400 Delegierten den geschäftsführenden Hauptvorstand rund um den IGBCE-Vorsitzenden Michael Vassiliadis mit überwältigenden Mehrheiten im Amt, auch die Mitglieder des ehrenamtlichen Hauptvorstands und weiterer gewerkschaftlicher Gremien wurden gewählt. Vor allem aber prägten natürlich die inhaltlichen Debatten und Abstimmungen zu den mehr als 500 Anträgen den Kongress.
Politik trifft Kongress
Am Montag trat Bundeskanzler Friedrich Merz vor den Delegierten auf. Vassiliadis wies ihn bei der Begrüßung auf die Probleme der IGBCE-Branchen hin. „Uns beschäftigt vor allem die schwierige Lage in unseren Betrieben und Branchen. Die Stimmung unserer Mitglieder ist getragen von Sorge.“ Zwar habe die Regierung mit dem Sondervermögen eine wichtige Voraussetzung geschaffen, die Krise zu überwinden. Aber: „Die bisherigen Maßnahmen sind für einen echten Turn-around nicht tiefgreifend genug. Um die Industriearbeit in Deutschland zu schützen, brauchen wir neben dem Industriestrompreis als weitere Sofortmaßnahme eine weitere freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten für besonders CO2-intensive Unternehmen“, so Vassiliadis.
Diese Forderung griff Merz postwendend auf: Es sei auf jeden Fall notwendig, über den bislang vorgesehenen Zeitpunkt hinaus CO2-Zertifikate zu vergeben, „um unsere Industrien nicht unnötig zu belasten“. Auch in Sachen Energiekosten brachte Merz positive Nachrichten: „Wir haben einen konkreten Plan für den Industriestrompreis und wir haben einen konkreten Plan für eine neue Kraftwerksstrategie.“ Mehrfach erklärte er, dass die Bundesregierung alles tun wolle, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Klar sei: „Unsere Volkswirtschaft muss ein Industrieland bleiben.“
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Es blieb nicht bei den Ankündigungen: Tatsächlich verabredete die Bundesregierung Mitte November die Einführung eines Industriestrompreises in Höhe von fünf Cent pro Kilowattstunde ab Anfang 2026. Zudem verständigte sich die schwarz-rote Koalition auf Instrumente wie einen Deutschlandfonds (fordert die IGBCE seit Jahren) und einen Ausbau der Gaskraft. Geplant sind auch weitere Energiepreisentlastungen, Super-Abschreibungen und Infrastrukturinvestitionen.
Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil ging unterdessen beim Kongress in seiner Rede auf ganz konkrete Wünsche der IGBCE ein: „Die Dekarbonisierung der Wirtschaft darf niemals zu einer Deindustrialisierung führen.“ Überall sei Unsicherheit vorhanden. Daraus ergebe sich, „dass die Politik kämpfen muss für eine starke Industrie“. Und zwar durch Erhalt und Schaffung sicherer Arbeitsplätze.
Arbeitsministerin Bärbel Bas betonte bei ihrem Besuch am Donnerstag, dass es gerade in Krisen eine starke Sozialpartnerschaft und sozialpartnerschaftliche Lösungen brauche. „Es ist richtig, dass wir als Staat die Industrie unterstützen. Wenn wir öffentliche Fördermittel in Unternehmen geben, dann können wir im Gegenzug Sicherheit für die Standorte und Schutz für die Belegschaften erwarten!“ Trotz der Krisen dürfe es keine betriebsbedingten Kündigungen geben. „In den fetten Jahren werden hohe Dividenden für Vorstände gezahlt. Aber wenn es nicht so gut läuft, sollen die Beschäftigten die Zeche zahlen. Das regt mich auf!“ Der optimistische Schlusspunkt der Arbeitsministerin und SPD-Vorsitzenden: „Die IGBCE kann Strukturwandel, immer wieder setzt ihr Maßstäbe.“
Das große Infopaket rund um den Kongress
Sechs Tage lang diskutierten die Delegierten beim 8. Ordentlichen Gewerkschaftskongress der IGBCE. Auch Prominente wie Bundeskanzler Friedrich Merz, Vizekanzler Lars Klingbeil, Arbeitsministerin Bärbel Bas und internationale Gäste aus der Ukraine, den USA und Norwegen waren dabei. Entstanden sind zahlreiche Texte, Fotos und Videos. Hier findest du eine kleine Auswahl der Inhalte:
- Highlightfilm
In einem emotionalen Highlightfilm haben wir alle Ereignisse des Kongresses für dich zusammengefasst - IGBCE-Website
Einen umfassenden Überblick über die einzelnen Tage. - Antragsberatung
Hier findest du Infos rund um die Anträge:
Leitantrag, Satzung, Allgemeines (oder hier) - Video-Playlist
Auf Youtube findest du alle Videos rund um den Kongress in einer Playlist – darunter die Besuche aus der hohen Politik, Talks mit den gHV-Mitgliedern, Tageszusammenfassungen sowie die beiden Kongress-Songs.
Wahlen und Verabschiedungen
Am Super-Wahldienstag gaben die Delegierten auf dem Kongress neben dem geschäftsführenden Hauptvorstand (gHV) ihre Stimmen auch für die Mitglieder des 26-köpfigen Hauptvorstands (HV) ab sowie für die Mitglieder weiterer Gremien wie beispielsweise Finanzausschuss oder Satzungskommission. Mit überwältigender Mehrheit wurden die Mitglieder des gHV in ihren Ämtern bestätigt: Michael Vassiliadis wurde mit 95,1 Prozent der Stimmen zum fünften Mal in Folge zum Vorsitzenden der Gewerkschaft gewählt. Auch seine Stellvertreterin Birgit Biermann wurde mit 95,1 Prozent wiedergewählt. Als Mitglieder des gHV gewählt wurden zudem Francesco Grioli (92,6 Prozent), Oliver Heinrich (82,1 Prozent) und Alexander Bercht (87 Prozent). „Herzlichen Dank, ihr habt mich mit einem phänomenalen Ergebnis zum fünften Mal zum Vorsitzenden gewählt“, freute sich der alte und neue IGBCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis, der seit 2009 im Amt ist, unter lautem Applaus. „Ich kann euch versichern, dass ich nicht für Jazz stehe, sondern weiterhin für Rock ’n’ Roll.“
Die Delegierten wählten zudem die Mitglieder des 26-köpfigen Hauptvorstands, die alle ehrenamtlich in diesem Gremium tätig sind. Jeder der aktuell acht Landesverbände hat je drei Mitglieder in den Hauptvorstand entsandt. Zudem komplettieren ein Vertreter der Jugend sowie eine Vertreterin der Frauen das Gremium.
Der Abschied von verdienten Kolleginnen und Kollegen sowohl aus dem geschäftsführenden als auch aus dem ehrenamtlichen Hauptvorstand stand ebenfalls auf dem Kongressprogramm. Darunter waren auch Karin Erhard, bis 2023 als gHV-Vorstandsmitglied für Mitbestimmung, Frauen/Diversity und Recht zuständig, sowie Tarifvorstand Ralf Sikorski, der ebenfalls 2023 im Rahmen eines Umbaus des gHV aus dem Gremium ausschied. „Sich von altgedienten Kolleginnen und Kollegen zu verabschieden, ist immer etwas Besonderes“, sagte IGBCE-Chef Vassiliadis, der für jede und jeden einige persönliche Worte fand und Geschenke überreichte. „Ihr alle habt über viele Jahre viel Engagement gezeigt – und das unermüdlich.“
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Es gibt Wege aus der Krise.
Michael Vassiliadis,
Vorsitzender der IGBCE
Stillstand überwinden
In seiner Grundsatzrede forderte der IGBCE-Vorsitzende mit eindringlichen Worten ein Umdenken in der deutschen Industriepolitik. Unter dem Leitmotiv „Made in Germany ist mehr als ein Siegel – es ist ein Versprechen an die Zukunft“ legte er ein umfassendes Stärkungspaket für industrielle Wertarbeit vor. Zum Stärkungspaket zählen eine Reihe von Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen. „Deutschland muss wieder ein Land werden, in dem sich Industrie lohnt“, brachte es Vassiliadis auf den Punkt. Bei wettbewerbsfähigen Energiepreisen sei noch zu wenig passiert. Deshalb müsse der weitere Stromnetzausbau künftig komplett aus Steuermitteln finanziert werden, um Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Industrie zu entlasten. Hinzu müsse die Ausweitung der Strompreiskompensation auf mehr Unternehmen kommen und ein Industriestrompreis.
Vassiliadis forderte zudem eine Reform des Emissionshandels, der die Betriebe nicht länger aus Europa vertreiben dürfe. Die energieintensiven Branchen bräuchten auch weiterhin kostenfreie Zertifikate. Das eingesparte Geld müssten sie im Gegenzug in die Transformation der heimischen Standorte investieren. Zudem brauche es massive Investitionen in die Energieinfrastruktur von morgen. Es gelte, alles zu tun, um das industrielle Netzwerk und regionale Kreisläufe in Deutschland zu erhalten, etwa Chemieparks. Hier gefährde die Schließung einer Anlage nicht selten den gesamten Verbund. Mit verbesserten Rahmenbedingungen einhergehen müsse eine neue Investitionsoffensive. „Deutschland kann Zukunft – wenn wir endlich wieder investieren“, machte Vassiliadis deutlich. Das aktuelle Problem des Landes seien nicht Lohnkosten oder Arbeitszeiten, sondern die „Investitionsfaulheit in den Chefetagen“. Deutschland habe Zukunftschancen zuhauf, man müsse sie nur entschlossen nutzen. Als Beispiele nannte der IGBCE-Vorsitzende die Kreislaufwirtschaft, den Life-Science-Bereich oder die geplante Chemieoffensive der Bundesregierung.
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Gewerkschaft als Kraftquelle
Es gibt einige Ereignisse in den vergangenen Jahrzehnten, die sich fest in Ralf Sikorskis Gedächtnis eingebrannt haben, Herausforderungen ebenso wie Erfolge. Kein Wunder nach fast fünfzig Jahren Gewerkschaftsmitgliedschaft, während derer der heute 64-Jährige in mehreren Leitungsfunktionen auf Bezirks- und Landesbezirksebene bei der IGBCE tätig war. Zuletzt verantwortete er von 2017 bis 2023 im geschäftsführenden Hauptvorstand den Tarifbereich und handelte Meilensteine wie die tarifliche Pflegezusatzversicherung Careflex aus. 2019 rückte er zum stellvertretenden Vorsitzenden der IGBCE auf. 2023 schied er aus dem gHV aus und widmet sich nun seiner zweiten Leidenschaft, dem Reisen.
Zum Artikel „Das habe ich alles der Gewerkschaft zu verdanken“.
Anträge über Anträge
Die eigentlichen Antragsberatungen starteten am Dienstagabend mit dem Leitantrag 01 „Das Richtige tun! Klar. Stark. Solidarisch“ des Hauptvorstands, der einstimmig angenommen wurde. „Der Antrag beschreibt die großen Herausforderungen für Deutschland und bietet entsprechende Lösungsansätze“, sagte Barbara Kraller, Sprecherin der Antragskommission. Als große Herausforderungen benannt werden im Antrag unter anderem die Stagnation der deutschen Wirtschaft, die nachlassende Strahlkraft des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft, die Angriffe auf die gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, das schwindende Vertrauen in eine erfolgreiche klimagerechte Transformation sowie die (internationale) Destabilisierung der Grundsätze, mit denen auch Gewerkschaften in offenen westlichen Gesellschaften arbeiten.
Um dem entgegenzuwirken, wurde im Leitantrag unter anderem eine Investitionsoffensive gefordert, eine Transformationspolitik, die Wirtschaftlichkeit mit sozialer Gerechtigkeit verbindet, niedrigere Energiepreise und eine dauerhafte Strompreiskompensation, um wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu schaffen, und eine Anpassung der CO2-Ziele, damit Beschäftigung und Standorte in Deutschland nicht gefährdet werden. Zudem soll Deutschland zum innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort entwickelt und der Einsatz von CCS ermöglicht werden.
Zudem beschlossen die Delegierten, dass sich die IGBCE weiterhin für eine starke, aktive Industriepolitik, den Ausbau der Infrastruktur, mehr und bessere Ausbildung, ein auskömmliches Rentenniveau und die Stärkung von Betriebsrenten einsetzen soll. Auch den Einsatz für den Erhalt der Demokratie und den Kampf gegen Extremismus schrieb sich die IGBCE auf die Fahne, passte die Satzung an.
„Am Ende dieser Woche sind wir gerüstet für die künftigen Auseinandersetzungen“, sagte Vassiliadis in seiner Abschlussrede. Auf dem Kongress habe die IGBCE eine Orientierung erarbeitet, die vor allem eines zeige: „Es gibt Wege aus der Krise. Es gibt Chancen, auf einen neuen Wachstumskurs zurückzufinden. Es gibt Perspektiven für gute Industriearbeit in Deutschland“, fasste er zusammen.
Foto: Kai-Uwe Knoth
31 Jahre Gewerkschaft
Eine Karriere bei der Gewerkschaft hatte Karin Erhard eigentlich nicht geplant. Doch dann absolvierte die heute 64-Jährige ihr Rechtsreferendariat beim DGB-Rechtsschutz. Nach dem Zweiten Staatsexamen startete sie als Gewerkschaftssekretärin im Bereich Tarifpolitik, 2006 übernahm sie die Leitung der Abteilung Tarifrecht. 2013 wurde sie Vorstandssekretärin im Vorstandsbereich Tarife und Finanzen, 2017 Justiziarin der IGBCE, bevor sie 2019 in den geschäftsführenden Hauptvorstand gewählt wurde. Dort verantwortete sie unter anderem die Bereiche Mitbestimmung, Frauen/Diversity und Recht. Bis 2023 blieb sie bei der IGBCE an Bord und ist seitdem als Arbeitsdirektorin bei Vivawest tätig.