Arbeit & Gesellschaft

Hintergrundstory

Nein, dieser Slogan bezieht sich nicht auf das originale Periodensystem der Elemente, das viele Beschäftigte aus unseren Branchen kennen. Wir haben lediglich unsere Fantasie spielen und uns davon inspirieren lassen.

Mit Tarif der Krise trotzen

Text Isabel Niesmann

Die Tarifrunde Chemie 2026 ist gestartet: Die Forderungsempfehlung steht, Tausende IGBCE-Mitglieder diskutieren darüber auf Tarifkonferenzen, Vertrauensleuteversammlungen oder digital. Mitte Dezember wird die finale Forderung beschlossen.

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Geopolitische Spannung, Unsicherheiten und Umbrüche belasten die chemische Industrie. Gleichzeitig verändert sich die Arbeitswelt rasant. Die Beschäftigten und die Unternehmen stehen unter enormem Druck – durch die Transformation, durch wirtschaftliche Probleme oder durch den Einsatz von KI. Und die Mitglieder der IGBCE haben zunehmend das Gefühl, sie müssten die Zeche dafür zahlen. Vor diesem Hintergrund hat der IGBCE-Hauptvorstand in seiner Forderungsempfehlung Anfang November zwei klare Schwerpunkte für die Chemie-Tarifrunde gesetzt: eine Erhöhung der Einkommen, die die Kaufkraft weiter stärkt, und die Sicherung von Industriearbeitsplätzen. Das Ziel: „Die Arbeit soll dort bleiben, wo sie hingehört in unseren Betrieben“, erklärte IGBCE-Verhandlungsführer Oliver Heinrich.

Die Tarifrunde für die drittgrößte deutsche Industriebranche finde in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase voller Veränderungen und Herausforderungen statt. Dessen sei sich auch die IGBCE bewusst, sagte Heinrich. „Es kann aber nicht sein, dass unsere Mitglieder auf der Strecke bleiben. Das Gefühl haben sie zunehmend.“ Er betonte: „Wir werden nicht hinnehmen, dass diese Krise auf dem Rücken der ohnehin schon stark belasteten Beschäftigten ausgetragen wird. Unser Ziel in dieser Tarifrunde ist es, Einkommen zu entwickeln und Industriearbeitsplätze zu sichern. Das sollte auch im Sinne der Arbeitgeber sein.“

Wir werden nicht hinnehmen, dass diese Krise auf dem Rücken der ohnehin schon stark belasteten Beschäftigten ausgetragen wird.

Oliver Heinrich,
IGBCE-Verhandlungsführer

Mehr Einkommen

Unter anderem als Folge der Pandemie und der Energiepreisentwicklung im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine seien die Realeinkommen der Beschäftigten gesunken. Zwar konnte dieser Trend mit der letzten Tarifrunde umgekehrt, aber nicht komplett ausgeglichen werden, so der IGBCE-Verhandlungsführer. Eine Nullrunde, wie sie der Arbeitgeberseite vorschwebe, komme deshalb nicht infrage, bekräftigte Heinrich. Das Leben für die Beschäftigten sei teuer, die Inflationsrate zuletzt wieder leicht angestiegen. Das Ziel müsse deshalb eine Stärkung ihrer Kaufkraft sein. „Das belebt auch die heimische Konsumnachfrage und trägt zur Konjunkturerholung bei“, erklärte Heinrich.

Dass die chemische Industrie unter Druck stehe, liege außerdem nicht an den Lohnkosten, sondern an anderen Faktoren: Unter anderem sind die Rohstoffpreise in Deutschland nach wie vor nicht wettbewerbsfähig und die Infrastruktur vielerorts veraltet. Auch der CO2-Preis im europäischen Emissionshandel wird zu einer immer größeren Belastung für die energieintensiven Industrien im globalen Wettbewerb.

Der Lohn- und Gehaltsanteil am Umsatz in der chemischen Industrie ist im Vergleich mit anderen Branchen hingegen gering: 2024 lag er bei rund 15 Prozent. Heinrich stellte klar: „Mit Lohnverzicht retten wir die Branche nicht.“ Zudem, so betonte er, sei die Lage der Branche nicht nur negativ: Die Pharmaindustrie habe sich in den vergangenen zwei Jahren spürbar besser entwickelt und neue Investitionen getätigt. Und im kommenden Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft aufgrund des Sondervermögens und des „Investitionsboosters“ wieder wachsen. Auch der von der Bundesregierung beschlossene Industriestrompreis wird der energieintensiven Branche Entlastung bringen. Die hohen Energiepreise hatten in den vergangenen Jahren maßgeblich zu der schwierigen Lage in der chemischen Industrie beigetragen.

Mehr Sicherheit

Noch aber befindet sich die deutsche Wirtschaft – seit beinahe drei Jahren – in der Stagnation. Tarifpolitisch lässt sich dieser Trend nicht umkehren. Die IGBCE fordert deshalb in dieser Tarifrunde die Entwicklung tariflicher Instrumente, um Beschäftigung zu sichern und den Standort zu stärken. So will die IGBCE – gemeinsam mit der Arbeitgeberseite unterstützende Maßnahmen entwickeln, die nicht nur Jobs sichern, sondern zusätzlich Ressourcen für Innovationen und Investitionen fördern und durch flexible Regelungen Standortvorteile verstärken. Fachkräfteradar, Berufskompass sowie flexible Arbeitszeitregelungen sind Beispiele solcher innovativer Tarifinstrumente. „Unsere Leute brauchen Sicherheit in der Krise“, sagte Heinrich dazu.

Foto: Stefan Koch

Beteiligung ist ein zentraler Bestandteil der Tarifrunde.

Oliver Heinrich,
IGBCE-Verhandlungsführer

Mehr Beteiligung

Gleichzeitig geht die Gewerkschaft neue Wege: Bei der diesjährigen Forderungsdebatte setzt sie auf eine noch stärkere Einbindung und Beteiligung ihrer Mitglieder. Dafür sorgen unter anderem mehr als 2.200 betriebliche Tarifbotschafterinnen und -botschafter, die sich bereits im Vorfeld der Chemieverhandlungen bereit erklärt haben, die Tarifrunde aktiv zu begleiten. Sie bilden die Brücke zwischen Gewerkschaft und Betrieb. Vor Ort hören sie genau hin, was die Kolleginnen und Kollegen bewegt, tragen Fragen und Stimmungen weiter und geben umgekehrt die zentralen Botschaften der IGBCE zurück in die Belegschaften damit entscheiden die Mitglieder viel mehr mit, wie die finale Tarifforderung aussehen soll.

„Die Tarifbotschafterinnen und Tarifbotschafter werden gezielt informiert und als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eingesetzt, um die Tarifbewegung breiter und sichtbarer zu machen“, so Heinrich.Ziel ist es, in jedem Betrieb aktionsfähig zu sein – nicht nur für diese Runde, sondern als dauerhafte Stärkung der gewerkschaftlichen Handlungsfähigkeit. Die Tarifrunde soll und muss in jeden Betrieb und über die gesamte Wegstrecke von der Empfehlung bis zum Abschluss begleitet werden das ist es, was am Ende auf ein gutes Ergebnis einzahlt. Denn jede Beteiligung ist Einsatz für eine erfolgreiche Tarifrunde.“ Er unterstrich: „Die IGBCE ist eine Mitmachorganisation und Beteiligung ist ein zentraler Bestandteil jeder Tarifrunde.“

Stärker als in den vergangenen Chemie-Tarifrunden weist die diesjährige Forderungsempfehlung des Hauptvorstands nur die Richtung für die Debatten in den Betrieben. Bewusst hat der 30-köpfige Hauptvorstand der IGBCE keine konkrete Zahl in die Forderungsempfehlung eingebracht.

Foto: Daniel Bockwoldt

Für die Mitglieder gut was rausholen: Das ist für Christina Graw, Betriebsrätin beim Chemiekonzern Lanxess in Brunsbüttel, zentral. „Ich erwarte, dass wir Tariferhöhungen rauskriegen, die für beide Seiten tragbar sind.“ Bei Lanxess sei die Lage herausfordernd, je nach Standort aber auch unterschiedlich.

Foto: Günter Zellner

Ähnlich formuliert es Markus Staller, Vizebetriebsratsvorsitzender beim Industrieparkbetreiber Infraserv am Standort Gendorf. Er erwartet von dieser Tarifrunde „eine spürbare Erhöhung bei den Entgelten, weil die Kaufkraft stark gesunken und die Inflation weiter gestiegen ist“. Das Thema Beschäftigungssicherung sei aber „ebenfalls ganz wichtig“.

Foto: Daniel Bockwoldt

Der wichtigste Punkt der Verhandlungen ist für die stellvertretende Vertrauensleutevorsitzende bei KVP Pharma- und Veterinärprodukte aus Kiel, AnnaMadlen ­Fredrichsdorf, das Gleichgewicht zwischen hohen und niedrigen Einkommen wiederherzustellen und die aktuelle wirtschaftliche Lage mit der Tariferhöhung auszugleichen. Die Vertrauensleute bei KVP sprechen sich für eine Tarifforderung mit Festbetrag aus, die vor allem den niedrigen ­Entgeltgruppen hilft.

Foto: Günter Zellner

Anna ­Brinkmann von BASF am Standort Trostberg erklärt: „Für mich ist der zentralste Punkt in der Tarifrunde auf alle Fälle die Stellensicherung. Was hilft es, wenn du erst mal mehr Geld bekommst, aber am Ende keinen Job mehr hast?“

Die Stimmen aus den Betrieben, den Mitglieder- und Vertrauensleuteversammlungen fließen in die regionalen Forderungsbeschlüsse mit ein, die dann wiederum zum bundesweiten Forderungsbeschluss führen. Heinrich erklärte: „So entsteht eine demokratisch aufgestellte und breit diskutierte Forderung für die bundesweit 585.000 Chemie­beschäftigten, die die Bundes­tarif­kommission am 16. Dezember beschließen wird.“

Zeitplan #chemie26

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