Praxis & Wissen

Gewerkschaften und Demokratie

Auf den Punkt: Katrin Erdinger erklärt in der neuen Folge von „Praxis & Wissen“, wie Gewerkschaften die Demokratie stärken.

Foto: Blitzfang Medien

Demokratie first!

Was ist die Rolle der Gewerkschaften in einer Demokratie? Warum setzt sich die IGBCE gegen Extremismus und für die Verteidigung der Demokratie ein? Das beleuchten wir in der nächsten Folge unserer Videoreihe „Praxis & Wissen“, in der Grundkenntnisse über Gewerkschaften und ihre Arbeit vermittelt werden.

Text Inken Hägermann

Foto: Stefan Koch

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, ebenso wenig wie die Existenz von Gewerkschaften. Dass weltweit Demokratien unter Druck von autoritären und extremistischen Bewegungen stehen, geht deswegen auch die IGBCE an – nicht zuletzt aus historischen Gründen setzt sich die deutsche Gewerkschaftsfamilie im DGB seit jeher gegen Extremismus ein. Auch den Müttern und Vätern der deutschen Verfassung lagen diese Punkte am Herzen: Wie die Demokratie als Staatsform ist auch das Recht auf Gewerkschaft im deutschen Grundgesetz verankert.

So heißt es in Artikel 9 zur Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, dass das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, für jedermann und für alle Berufe gewährleistet ist. Aber was bedeutet das genau? IGBCE-Justiziar Peter Voigt kann es erklären: „Durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes sind wir als Gewerkschaften ebenso wie Arbeitgeberverbände in besonderer Weise Teil des Grundgesetzes.“ Konkret spiegele sich das „in der vielfältigen Tarif- und Sozialpartnerschaft und der Gestaltung der Arbeitsbeziehung in den Betrieben wider“, so Voigt. „Durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz sind wir als Gewerkschaft fester Bestandteil dieser Demokratie, und das lässt sich auch nicht einfach ändern“, betont der Jurist.

Gewerkschaften sind Schützerinnen der Demokratie.

Yasmin Fahimi,
DGB-Vorsitzende

Es hat auch historische Gründe, warum deutsche Gewerkschaften wie die IGBCE sich die Verteidigung der Demokratie und ihrer Errungenschaften auf die Fahne geschrieben haben: Vor knapp 100 Jahren, am 2. Mai 1933, wurden im damaligen Deutschen Reich die freien Gewerkschaften vom NS-Regime aufgelöst und enteignet, Schlägertrupps von SA und SS stürmten das Bundeshaus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Berlin sowie Gewerkschaftshäuser in ganz Deutschland, randalierten, prügelten, verschleppten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Tausende wurden verfolgt und verhaftet, kamen in Konzentrationslager, viele verloren ihr Leben. Mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften zerstörte das Nazi-Regime eines der letzten Bollwerke, dass der absoluten Machtergreifung der NSDAP noch im Wege hätte stehen können. Seither gilt noch mehr, was die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bei einer Gedenkveranstaltung im Jahr 2023 erklärte: „Gewerkschaften sind Schützerinnen der Demokratie.“

Das Bekenntnis zu den unverrückbaren Grundsätzen der Demokratie hat die IGBCE dementsprechend in ihrer Satzung verankert; beim nur einige Wochen zurückliegenden IGBCE-Kongress wurde die Satzung sogar noch mal nachgeschärft, um die Organisation stark zu machen gegen Extremismus. So beschlossen die Delegierten unter anderem, dass Mitglieder mit dem Beitritt ausdrücklich und verbindlich die Werte der IGBCE anerkennen, etwa „Chancengleichheit und Gleichberechtigung, unabhängig von Geschlecht, Alter, Qualifikation, Herkunft, Religion und Weltanschauung sowie politischer oder sexueller Orientierung“.

Auch ganz praktisch sind die IGBCE und die übrigen DGB-Gewerkschaften in demokratische Abläufe eingebunden. „Bei Gesetzgebungsverfahren, die die Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen betreffen, gestalten wir aktiv im Rahmen der Sozialpartneranhörung Gesetze mit und verhindern auch das eine oder andere, was in die Rechte der Beschäftigten eingreifen würde“, erläutert IGBCE-Justiziar Voigt. „Ein weiteres Beispiel aus der Praxis ist der gewerkschaftliche Rechtsschutz. Dadurch verschaffen wir unseren Mitgliedern mit qualifizierter Prozessvertretung ohne zusätzliche Kosten ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Darüber hinaus repräsentieren tagtäglich unsere organisierten Betriebsratsmitglieder die Demokratie im Betrieb“, so Voigt.

Gewerkschaften nehmen Einfluss

Institutionell nehmen Gewerkschaften zudem über von ihnen entsandte Delegierte Einfluss in Gremien der Sozialversicherungen wie Renten- oder Krankenkassen, Knappschaften oder Arbeitsagenturen, aber auch in Rundfunkräten oder dem Statistischen Bundesamt. Auch über politischen Druck mischen sich Gewerkschaften ein.

  • So gestaltete die IGBCE den Kohleausstieg im Jahr 2018 mit: Die Gewerkschaft kämpfte für einen sozialverträglichen Strukturwandel in den betroffenen Gebieten, setzte den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen ebenso durch wie eine Erhöhung des staatlichen Anpassungsgeldes und weitere Abfindungsregelung sowie Angebote zu Weiterbildung, Qualifizierung und Vermittlung.
  • Sie setzte sich nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für die Einführung der Energiepreisbremsen für Industrie und Haushalte ein.
  • Gemeinsam mit anderen DGB-Gewerkschaften konnte in Krisensituationen wie Corona oder der Finanzkrise 2008 die unkomplizierte Verlängerung von Kurzarbeitergeld durchgesetzt werden.
  • Gewerkschaften kämpften und kämpfen für eine Stabilisierung des Rentenniveaus.

Auch die tarifliche Einflussebene darf nicht vergessen werden. Neben den regelmäßigen tariflichen Entgelterhöhungen, die IGBCE und Arbeitgeberverbände für ihre Branchen vereinbaren, gibt es weitere Errungenschaften.

  • In der Tarifrunde Chemie 2019 schaffte die IGBCE eine weltweite Innovation mit der Einführung der tariflichen Pflegezusatzversicherung Careflex.
  • Seit 2025 profitieren Gewerkschaftsmitglieder in der Chemieindustrie von einem zusätzlichen freien Tag pro Jahr. Im selben Jahr setzte sie auch in der Kautschukindustrie einen Mitgliedervorteil durch: eine jährliche Zuzahlung von über 400 Euro nur für Mitglieder.

Studien belegen zudem, dass Unternehmen mit starker Mitbestimmung krisenfester sind und mehr Ausbildungsplätze anbieten. Tarifbindung und Betriebsräte sorgen auch für durchschnittlich höhere Löhne und Gehälter sowie eine höhere Arbeitsplatzsicherheit und eine bessere Work-Life-Balance. Gewerkschaft, Solidarität und Mitbestimmung lohnen sich also – für alle Beschäftigten.