Video: Die Young Creators Mia Schenk und Alexander Kerwel in Aktion.
Gewerkschaft im Tiktok-Takt
Um die Jugend noch besser zu erreichen, startet die IGBCE eine Social-Media-Offensive. Ein Besuch bei den Young Creators, die der Gen Z auf der Videoplattform Tiktok Themen wie Arbeitnehmerrechte und Solidarität verständlich machen wollen.
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Bald vermehrt auf Tiktok zu sehen: Alexander Kerwel, Luca Schneider, Mia Schenk (von links) und Lisa-Marie Eiden (nicht im Bild) sind die Gesichter hinter einem neuen Videokonzept der IGBCE. Mit gewerkschaftlichen Themen sollen sie eine junge Zielgruppe erreichen.
Draußen sich im Wind wiegende Birken vor Spätsommersonne, drinnen helle Holzvertäfelung und grau-roter Musterteppich. Mia Schenk, 22, blonde Haare, ordentlich Power in der Stimme und schwäbischer Dialekt, ruft Gewerkschaftsthemen in die Kamera. „Du hast richtig starke Rechte! Und die sind kein Wunschkonzert, sondern Gesetz!“ Vor ihr die Hightech-Kamera, hinter ihr ein Greenscreen. An diesem Samstag Mitte September zieht die Zukunft ein ins Wilhelm-Gefeller-Bildungs- und Tagungszentrum in Bad Münder am Deister südlich von Hannover. Und die Zukunft, die ist auf Tiktok – der App für die Jugend dieser Welt.
Der Dreh ist Teil der neuen Videostrategie der IGBCE. Gewerkschaftsmitglieder und Menschen, die es werden könnten, sind heute auf vielen Kanälen unterwegs. Die IGBCE hat deshalb im vergangenen Jahr eine Videooffensive mit zahlreichen Formaten gestartet. Programme wie „gHV-Talk“ oder „konkret“ richten sich intern an Hauptamtliche, Angebote wie „Plus-TV“ an die Aktiven und die Mitglieder, und für die breite Öffentlichkeit hat die Gewerkschaft gHV-Influencer auf Linkedin sowie die informative Videoreihe „Praxis & Wissen“ entwickelt.
Es hat Spaß gemacht, so kreativ zu arbeiten.
Mia Schenk,
Young Creator
Instagram ist das Werbeplakat, Tiktok ist das Graffiti
Die Organisation will ihre Themen aber auch an die Jugend bringen. Die Herausforderung: Für viele Schülerinnen, Schüler und Azubis ist heute schon Instagram oldschool. Also ist die Gewerkschaft auch auf Tiktok aktiv – der mit Abstand wichtigsten Plattform für Menschen unter 25. Und da kommen die Young Creators ins Spiel. Das sind junge IGBCE-Mitglieder wie Mia Schenk, die anderen jungen Leuten gewerkschaftliche Inhalte erklären – modern und ungezwungen, Tiktok eben.
Doch wie läuft das eigentlich mit Tiktok, wie erreicht man mit den kurzen Videos Aufmerksamkeit? Damit startet das Seminarwochenende für die vier Young Creators, die Mitte September für zwei intensive Tage im Bildungshaus der Gewerkschaft zusammengekommen sind. Zum Start macht Referent Nils Holtmann von der Agentur Blitzfang Medien in 45 Minuten einen Ritt durch Geschichte und Bedeutung der in China entwickelten App. 1,5 Milliarden Nutzende, 34 Millionen neue Videos täglich. Tiktok sei ein Trendbeschleuniger. „Instagram ist das Werbeplakat, Tiktok ist das Graffiti“, sagt Holtmann. Anders als bei der Plattform von Meta ist bei Tiktok fast egal, wer etwas postet. Schnell, laut, grell, ungeschminkt, echt, so laufe das bei der weiterhin wachsenden App. „Tiktok ist keine Präsentation, Tiktok ist wie ein Gespräch mit Freunden.“
Referent Holtmann weist auch auf die Probleme der Plattform hin. Tiktok tut wenig gegen den rechtsradikalen Inhalt, den es dort zuhauf gibt. Und so geht es bei den Young Creators auch darum, der AfD gewerkschaftlich etwas entgegenzusetzen und auf Tiktok Gesicht zu zeigen. Holtmann: „Je mehr guter Content da ist, umso mehr gibt es die Chance, dass schlechter Content verdrängt wird.“
Und dann geht es auch schon ins Inhaltliche, um die Frage: Wie bringe ich eigentlich Inhalte unter die Leute? „Tiktok hat die sozialen Medien verändert“, sagt Holtmann. Tiktok hat eine andere Erzählstruktur. Keine Intros, sondern direkt zum Punkt. Und: Anders als bei „Insta“ kann man auch ohne viele Follower einen viralen Hit landen, also Videos zeigen, die plötzlich zigtausendfach geklickt werden.
Aufnahmeleiter Steffen Edenhofner gibt nützliche und motivierende Rückmeldungen.
Viel Input, viel Output – das ist der Start der Young Creators
Mia Schenk und Alexander Kerwel bilden ein Team an diesem Wochenende. Das Ziel: Beide sollen in Bad Münder mindestens zehn kurze Filme produzieren und diese dann auf ihren eigens dafür erstellten Kanälen selbst veröffentlichen. Und weil auch die IGBCE die Videos später auf ihrem Kanal teilt, soll die Sichtbarkeit der Gewerkschaft auf Tiktok kräftig verbessert werden.
Die 22-jährige Schenk hatte die weiteste Anreise im Team – sie ist am Freitag aus dem rund 500 Kilometer entfernten Aalen östlich von Stuttgart in Richtung Hannover gestartet. Im August 2023 hat sie im Süden ihre Ausbildung bei der Papierfabrik Palm angefangen, im Januar 2026 wird sie als Industriekauffrau fest vom Unternehmen übernommen. „Ich wollte gern ins Marketing – aber auch einen Betrieb mit allen Abläufen kennenlernen“, sagt sie. Läuft alles wie geplant, startet Schenk bald das berufsbegleitende BWL-Studium. Drei Jahre lang freitagabends und samstags an der Uni, neben der Vollzeitarbeit.
Der jungen Frau sind Werte wichtig: Solidarität, Stärkung der Demokratie, Feminismus, Aufklärung über die Rechte von Auszubildenden und Beschäftigten. Also trat sie mit dem Start der Ausbildung direkt in die IGBCE ein, seit einem Jahr ist sie im Bezirksjugendausschuss dabei. „Gewerkschaft ist ein Safe Space, ich habe da einfach gute Gespräche“, sagt Schenk. Ihre Themen: der Kampf für Feminismus und gegen Rassismus. Ihr ist es wichtig, dass die Gewerkschaft mehr Sichtbarkeit bekommt.
Und dann geht es auch schon los in Bad Münder. Das Team von IGBCE und Blitzfang Medien hat Themen vorbereitet, die zuvor in Zusammenarbeit mit der IGBCE-Jugend definiert worden waren. Schenk hört noch kurz den Beispielen zu, die Aufnahmeleiter Steffen Edenhofner auf dem Rechner zeigt, dann steht sie schon auf dem mit schwarzem Klebeband markierten Kreuz, hinter ihr der Greenscreen – ein Stück grüner Stoff, der es dem Team ermöglicht, hinterher alles Mögliche in den Hintergrund einzublenden. „Kann ich auch ein bisschen freestylen?“, fragt Schenk und lacht. Das Team nickt, Schenk startet.
Es geht um die Rechte von Auszubildenden, um eine angemessene Bezahlung, gesetzliche Arbeitszeiten, Urlaub und Kündigungsschutz. Und den Hinweis: Du bist nicht allein unterwegs – als Mitglied der IGBCE gibt’s Beratung und Unterstützung. Schenk spricht immer wieder einzelne Sätze in die Kamera, Edenhofner gibt Rückmeldung: „Die Arme nicht zu weit nach außen, Hochformat! Ja, bisschen mehr Energie. Noch mal, danke, super.“ Nach 15 Minuten ist das erste Video im Kasten. Spontaner Applaus vom Team. Edenhofner sagt: „Das hast du super gemacht.“
An der Themenauswahl war die IGBCE-Jugend beteiligt.
Letzte Tipps vor dem Greenscreen: Auf dem Hintergrund kann das Team später im Video alles Mögliche einblenden.
Tagsüber Antriebstechnik, danach Antrieb für Gewerkschaftsthemen
Dann der Wechsel, Alexander Kerwel ist dran, die Kamera muss für den hochgewachsenen Sachsen etwas höher eingestellt werden. Der 24-Jährige ist bei Wacker Chemie in Nünchritz bei Riesa Elektroniker für Automatisierung. Wenn die Antriebstechnik, bei Pumpen oder Rührgeräten klemmt, kommt er zum Einsatz. 2018 hat er seine Ausbildung bei dem Unternehmen begonnen, das so ziemlich alles herstellt, was mit Silikon zu tun hat. „Ich habe schnell verstanden, wie wichtig Solidarität ist, dass wir nur erfolgreich sein können, wenn viele in der Gewerkschaft sind“, sagt er. Also trat er ein, ist heute im Bundesjugendausschuss. In die Betriebe gehen, mit Azubis sprechen, Themen mitnehmen, dafür engagiert er sich. Besonders wichtig sind ihm der Ost-West-Angleich und die Zukunft der ostdeutschen Industrie. „Es gibt Werksschließungen überall – wir müssen etwas tun“, sagt er.
Kerwel ist nicht scheu, liefert bald sein Debüt als Hard-Techno-DJ auf einer Azubi-Party. Aber auf den sozialen Medien war er lange nicht zu Hause, einen Instagram-Account hat er erst vor ein paar Wochen gestartet. Und jetzt läuft also die Kamera. Der Mann mit den kurzen, schwarzen Haaren blickt freundlich und sachlich in die Kamera. Edenhofner blickt hinter ebendieser auf. „Schrei die ruhig ein bisschen an“, sagt er und lacht. Mit jeder Sequenz wird der Elektroniker selbstbewusster, das merkt man. Und er bringt eigene Ideen ein, etwa als es um das Thema Recht auf Urlaub geht. „Kann ich meine Sonnenbrille aufsetzen?“, fragt er. „Ja, super“, sagt Edenhofner.
Dem Junggewerkschafter Kerwel hat besonders das Drehen der „Fakt oder Fake“-Videos, auf Tiktok gerade ein beliebtes Format, Spaß gemacht. Er freut sich schon darauf, die vom Team geschnittenen Kurzvideos bald sehen zu können – und sie dann auf seinem Kanal in die Welt zu schicken. „Gewerkschaft ist wichtig, wir brauchen eine starke Stimme – und da müssen alle mithelfen, auf allen Kanälen“, sagt er. Kerwel ist gespannt auf das Feedback im Netz. Und wie hatte Referent Holtmann schon bei der Einleitung gesagt: „Wir wollen den Daumen aufhalten.“ Bei Tiktok bedeutet das: die Nutzenden davon abhalten, mit dem Daumen zum nächsten Video zu wischen.
Wir brauchen eine starke Stimme – auf allen Kanälen.
Alexander Kerwel,
Young Creator
Das ist erst der Anfang
Das Wochenende in Bad Münder war erst der Anfang für die Young Creators. Weitere Treffen sollen folgen, das Team wachsen und auch online gemeinsam an neuen Ideen arbeiten.
Schenk und die anderen sind am Sonntag müde, aber voller Eindrücke nach Hause gefahren. Und natürlich mit einem ganzen Haufen toll produzierter Videos, etwa mit Tipps für den Berufsstart, über die Probleme von Jugendlichen im Betrieb, zur Jobsuche oder zu den größten Job-Fails. „Am Anfang war es schon eine Herausforderung, die Inhalte spannend vor der Kamera rüberzubringen. Aber als ich etwas aus meiner Komfortzone herausgekommen bin, hat es viel Spaß gemacht, so kreativ zu arbeiten.“ Sie wird sicher weitere Videos folgen lassen, am liebsten über Themen wie Frauen in der Gewerkschaft oder Rechte für Frauen im Betrieb, etwa den Mutterschutz. Schenk: „Gewerkschaft ist für mich Empowerment.“