Video: Die jüngste und der älteste Delegierte Hira Karaoglu (17) und Hans Peter Kleber (81) sprechen über Mitbestimmung und Gründe für ihr Engagement in der Gewerkschaft.
Zwei Perspektiven, eine Mission
Beim 8. Ordentlichen Gewerkschaftskongress im Oktober in Hannover sind Hira Karaoglu und Hans Peter Kleber die jüngste und der älteste Delegierte. Ein Gespräch über Generationenkonflikte, Zusammenhalt und Verantwortung.
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Das Interview mit Hans Peter Kleber findet online statt. Für den 81-Jährigen kein Problem. Ein Headset auf dem Kopf, im Hintergrund Lkw-Modelle in Originalverpackung. Hans Peter war Berufskraftfahrer, nachdem er als gelernter Koch keine Stelle finden konnte. Seine Zeit hinterm Steuer endet im Kraftwerk Weiher. Dort macht er eine Ausbildung zum Kraftwerker, arbeitet sich zum Vorarbeiter hoch und geht in den Betriebsrat. Bis zu seiner Rente 1997 ist er freigestelltes Mitglied. Hira ist per Telefon erreichbar. Die 17-Jährige lebt in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Gotha. Ihre Mutter ist zurück in Hiras Heimatstadt Worms. „Ich bin hiergeblieben, um meine Ausbildung abzuschließen“, sagt sie.
Die junge Frau ist im zweiten Lehrjahr zur Kunststoff- und Kautschuktechnologin. Continental bildet sie im Werk Waltershausen aus. Dort würde sie am liebsten bleiben und nach der Lehre von der Produktion ins Labor wechseln. Doch die Aussichten in Waltershausen sind nicht rosig, und das zweite Thüringer Werk in Bad Blankenburg soll Ende des Jahres schließen.
Knapp 64 Jahre trennen die Delegierten Hira Karaoglu und Hans Peter Kleber, ihr Einsatz in der Gewerkschaft verbindet sie.
Gab es einen Schlüsselmoment, der euch zur Gewerkschaft gebracht hat?
Hira: Die geplante Schließung des Werks in Bad Blankenburg finde ich sehr befremdlich. Dort werden schwarze Zahlen geschrieben, und trotzdem soll es dichtgemacht werden. Das ist mir ein Rätsel. Deswegen bin ich mit der IGBCE demonstrieren gegangen. Das war ein tolles Gefühl, zu zeigen, dass die Unternehmensleitung das nicht einfach so machen kann. Danach war für mich klar, dass ich mich in der Gewerkschaft engagieren möchte.
Hans Peter: Mein Vater war Hüttenmeister im Neunkircher Eisenwerk. Als Kind habe ich ihm das Essen auf die Hütte gebracht. Dort war der Solidaritätsgedanke extrem stark. Jeder war in der Gewerkschaft. Für mich stand eine Mitgliedschaft deswegen nie zur Debatte.
Hans Peter Kleber engagiert sich seit 1959 bei der IGBCE. Er ist Mitglied im Beraterkreis Mainz und im Bezirksvorstand Saarbrücken sowie Vorsitzender der dortigen Senioren. Daneben ist er im Seniorenarbeitskreis der IGBCE, im DGB-Kreisvorstand und er ist stellvertretender Vorsitzender der Saarländischen Krebsliga. Für sein Engagement hat er die Hans-Böckler-Medaille, die Verdienstmedaille der IGBCE und das Bundesverdienstkreuz am Bande erhalten.
Hira Karaoglu ist seit vergangenem Jahr Mitglied der IGBCE und in der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) aktiv. Gemeinsam mit dem Betriebsrat vor Ort hat sie sich dafür eingesetzt, dass die fünf Auszubildenden aus Bad Blankenburg nach dem Aus für ihr Werk die Lehre in Waltershausen beenden dürfen.
Engagement kostet Zeit, Energie und manchmal auch Nerven. Was treibt euch an?
Hans Peter: Für mich ist Solidarität das Wichtigste. Deswegen finde ich das Motto des diesjährigen Gewerkschaftskongresses so treffend: „Das Richtige tun! Klar. Stark. Solidarisch.“ Genau darum geht es. Nur gemeinsam kann man etwas bewegen.
Hira: Die Arbeit macht Spaß! Am glücklichsten bin ich, wenn jemand zu mir sagt: Danke, dass du mir geholfen hast.
Wie hat dein Umfeld auf den Beitritt in die IGBCE reagiert, Hira?
Hira: Sehr positiv. Klar, manche in meinem Jahrgang meinten, die Mitgliedschaft sei Geldverschwendung. Aber andere haben mich direkt nach einem Aufnahmeantrag gefragt.
Was zeichnet die Gewerkschaft für euch aus?
Hans Peter: Die Gewerkschaft hat einen direkten Einfluss auf Arbeitsbedingungen, Löhne und soziale Veränderungen. Wir begrenzen die Willkür der Arbeitgeber. Ohne uns wären wir über kurz oder lang wieder im Feudalismus. Gleichzeitig setzt sich die IGBCE für die Belange der Seniorinnen und Senioren ein, insbesondere für soziale Sicherheit, Alters- und Gesundheitsversorgung. Diese Vorteile waren immer mein größtes Argument bei den Rückholgesprächen. Bis Ende letzten Jahres habe ich die Mitglieder in meinem Kreis angerufen, die austreten wollten. Ich habe ihnen aufgezeigt, was sie mit einem Austritt alles verlieren: Bonusprogramme für Versicherungen, exklusive Urlaubsangebote, Sterbegeld und mehr. Das hat häufig überzeugt.
Hira: Die meisten Menschen wissen gar nicht, welche Rechte sie haben. Die Gewerkschaft klärt sie auf und hilft ihnen, diese durchzusetzen. Außerdem sind die Angebote für die Mitglieder super. Zum Beispiel gibt es spezielle Sommer- und Winterreisen der IGBCE. Da ist alles mit dabei, was man sich als Azubi sonst nicht leisten könnte. Damit mache ich immer Werbung unter den Azubis.
Solidarität ist das Wichtigste.
Hans Peter Kleber,
ältester Delegierter
Welche Themen liegen euch bei der Gewerkschaftsarbeit am Herzen?
Hans Peter: Als Seniorenvorsitzender interessiere ich mich vor allem für Rentnerinnen und Rentner. Wir fordern, dass die Personengruppe „Senioren“ fest in der Satzung der IGBCE verankert wird. Damit hätten wir mehr Mitbestimmungsrechte innerhalb der Gewerkschaft. Wenn uns das gelingt, bin ich der glücklichste Mensch.
Hira: Auch wenn ich selbst noch nicht in dem Alter bin, liegt mir das Thema Mutterschutz sehr am Herzen. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen. Unternehmen sollten aber nicht beim Minimum bleiben, sondern mehr tun. Kinder dürfen nicht zu einem Luxusgut werden.
Einen offenen gesellschaftlichen Disput zwischen Alt und Jung gibt es in Deutschland bisher nicht. Die Zukunft birgt jedoch zweifellos Konfliktpotenzial: Die Zahl der Rentnerinnen und Rentner wächst schneller als die der Erwerbstätigen. Dazu kommen knappe Kassen. Daneben erlebt laut einer DAK-Studie fast jeder dritte junge Beschäftigte Spannungen mit älteren Kolleginnen und Kollegen. Gründe sind nicht selten Klischees und Vorurteile: Wenn sich jemand aus der „Gen Z“ bei Stress einen neuen Job sucht, stempeln das manche „Babyboomer“ als fehlendes Durchhaltevermögen ab. Auch der Wunsch nach mehr Freizeit wird schnell als Faulheit ausgelegt.
Wie erlebt ihr das Miteinander der Generationen in der IGBCE?
Hans Peter: Ich sehe ein gutes und starkes Miteinander. Auf Demos sind nicht nur Alte, sondern auch Junge. Gemeinsam sind wir stark. Um den Austausch zu fördern, veranstalten wir vom Seniorenarbeitskreis Sitzungen mit JAV-Mitgliedern. Da geht es um praktische Dinge, zum Beispiel, wie ich höher eingestuft werden kann. Gleichzeitig lernen wir viel von den jungen Menschen. Das ist ein Geben und Nehmen.
Hira: Wir arbeiten auf jeden Fall zusammen. Aber es gibt auch Konflikte, zum Beispiel beim Thema Handy. Für uns gehört das zum Alltag. Deswegen sollte es nicht gleich Konsequenzen geben, wenn man während der Arbeit kurz draufschaut. Viele Ältere verstehen das nicht. Wir können uns aber auch von ihnen einiges abschauen. Vor allem der Zusammenhalt war früher stärker. Das wollen wir ändern und planen als JAV einen Ausflug mit allen Azubis am Standort: Der ist kostenlos, weil die IGBCE dankenswerterweise bezahlt.
Man nimmt uns
nicht ernst.
Hira Karaoglu,
jüngste Delegierte
Was würdet ihr euch von der jeweils anderen Generation wünschen?
Hans Peter: Von dem Vorurteil, die Jugend sei faul, halte ich nichts. Die jungen Menschen, die ich kenne, sind sehr engagiert. Trotzdem wünschte ich mir noch mehr Interesse an einem Austausch zwischen Jung und Alt.
Hira: Ich glaube, viele Ältere verstehen uns Jüngere nicht. Wenn man sie duzt, legen sie das gleich als Respektlosigkeit aus. Dabei spielt das Siezen für uns einfach keine Rolle mehr. Wir sind die nächste Generation, welche die Jobs übernehmen soll, und trotzdem nimmt man uns nicht ernst. Ich würde mir wünschen, dass wir auf Augenhöhe miteinander sprechen und nicht ignoriert werden.
Beim 8. Ordentlichen Gewerkschaftskongress geht es genau darum: miteinander sprechen und die Ausrichtung der IGBCE festlegen. Was erhofft ihr euch vom Kongress?
Hira: Für mich ist die Erfahrung sehr wichtig. Ich bekomme mit, welche Themen wichtig sind und womit sich die Gewerkschaft beschäftigt. Zum Beispiel Schwerbehindertenvertretung. Ein wichtiges Thema, über das ich vorher noch nie nachgedacht habe.
Hans Peter: Ich wünsche mir ein gutes Ergebnis für unseren Vorstand. Er muss die Mannschaft hinter sich wissen, um stark gegenüber Management und Politik auftreten zu können.
Für dich ist es der vierte Kongress, Hans Peter. Welchen Rat gibst du neuen Delegierten mit auf den Weg?
Hans Peter: Es ist eine Ehre, dabei zu sein. Wir entscheiden über mehr als 500 Anträge und bestimmen damit die Richtung für die nächsten vier Jahre. Deshalb gehört es sich, pünktlich zu sein. Auch das Wandern zwischen Kaffeetisch und Plenarsaal während der Debatten stört. Dafür gibt es Pausen.
Hira, spürst du als jüngste Delegierte einen Erwartungsdruck?
Hira: Nein. Ich lerne, damit ich in ein paar Jahren meine Stimme erheben und mitdiskutieren kann.