Menschen & Gemeinschaft

Ein starkes Team

Video: Gelebtes Ehrenamt – zu Besuch beim Betriebsrat des Druckfarbenherstellers Hubergroup.

Mitbestimmung in Farbe

Text Julius LeichsenringFotos Maria Irl

Im Konferenzraum Bolzano Vincentino trifft sich einmal pro Woche der Betriebsrat beim Druckfarbenhersteller Hubergroup. Die neun Mitglieder diskutieren über das Homeoffice, sprechen über künstliche Intelligenz und bereiten sich auf die Wahlen 2026 vor. Ein Besuch in Kirchheim bei München.

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Der Betriebsrat harmoniert, aber es herrscht nicht immer Konsens. Dann wird diskutiert, bis es eine gemeinsame Lösung gibt.

In der Welt der Farben sind die Böden aus grauem Teppich. Mit gedämpften Schritten läuft Andrea Sturm in den Besprechungsraum 2.01. Ihre roten Schuhe leuchten auf dem dunklen Untergrund wie Sonnenuntergänge vor Regenwolken. Zielgerichtet geht die 56-Jährige an die Längsseite eines ovalen Konferenztisches. „Eigentlich haben wir keine feste Sitzordnung. Das ist eher ein Gewohnheitsding“, sagt die Betriebsratschefin der Hubergroup am Standort Kirchheim bei München.

Das Unternehmen stellt vor allem Druckfarben für Verpackungen, Zeitungen und Broschüren her. Etwa 3.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dreißig Ländern arbeiten für die Hubergroup. Die Firmenzentrale liegt in Kirchheim.

Im Konferenzraum vor Ort sitzt Andrea Sturm vor einer blauen Wand. Neben ihr hängt ein weißer Schriftzug: „Bolzano Vicentino“; Name einer Gemeinde im Norden Italiens, Produktionsstandort der Hubergroup – und Bezeichnung des Besprechungsraums, in dem der Betriebsrat einmal pro Woche tagt.

Nach und nach kommen die anderen acht Mitglieder und gehen zu ihren angestammten Plätzen. Gegenüber von Andrea Sturm setzt sich Florian „Flo“ Fischer, Käppi auf dem Kopf, silbernes Kreuz um den Hals. Der Grafiker ist im Kommunikationsteam des Betriebsrates, mischt aber auch bei den meisten anderen Themen mit. Neben ihm sitzt Labormitarbeiter Tobias Orend. Inoffizieller Titel: Hausmeister des Betriebsrates. Er kümmert sich um Veranstaltungen. Schräg gegenüber klappt Katrin Auerweck ihren Laptop auf. Die Ausbilderin schreibt in jeder Sitzung das Protokoll. „Ich bin zwar das Gesicht des Betriebsrates“, sagt Sturm, „meine Arbeit kann ich aber nur gut machen, weil das Gremium so toll funktioniert.“

2026 stehen Neuwahlen an. Mit Aushängen werden Florian Fischer, Andrea Sturm und Daniela Weberstetter auf die ehrenamtliche Betriebsratsarbeit aufmerksam machen.

Gruß vom Betriebsrat: kostenlose Pflegeprodukte für die Belegschaft.

Querschnitt der Belegschaft

Die Vorsitzende liest die Tagesordnung vor. Erster Punkt: Ein Mitarbeiter möchte seine Stunden reduzieren. Einstimmig genehmigt. Danach geht es um eine gemeinsame Position zum Thema Homeoffice. Es wird hitzig. Während ein Teil für flexible Regelungen eintritt, lehnen andere eine Ausweitung ab. Die Teams im Labor seien schon jetzt benachteiligt, weil sie nicht zu Hause arbeiten können.

Eine gemeinsame Linie findet das Gremium nicht. Vollkommen okay, findet Sturm: „Wir wollen den Querschnitt der Belegschaft abbilden. Auch da herrscht nicht immer Konsens. Trotz aller Diskussionen vertragen wir uns aber immer wieder und finden eine Lösung.“

Gemeinsam mit den Beschäftigten hat der Betriebsrat in den letzten Jahren gravierende Einschnitte erlebt. Ein Blick aus dem Fenster des Besprechungsraums macht sie deutlich. Im Glas spiegelt sich der überdachte Eingangsbereich des Bürokomplexes Sunsquare. Hinter den Scheiben tüftelt ein Start-up an Batterien, baut ein Unternehmen Fahrzeugelektronik, fertigt ein Marktführer Prototypen mit 3D-Druckern. Mittendrin auf vier Etagen: die Hubergroup. Knapp 150 Angestellte haben hier einen Arbeitsplatz.

Noch vor fünf Jahren saßen sie im Nachbarort Heimstetten an einem eigenen Standort mit Produktion. Die Anlage wurde stillgelegt, denn die Druckfarbenbranche schrumpft. Was einst in kräftigen Tönen aufs Papier kam, flimmert heute meist auf Bildschirmen.

Mit dem Ende der Fabrik verloren 350 Menschen ihren Job. Ein Jahr später folgte eine weitere Entlassungswelle, von der etwa 35 Mitarbeitende betroffen waren. Der Betriebsrat konnte das nicht verhindern. Gemeinsam mit der IGBCE handelte er jedoch einen Interessenausgleich aus. „Da haben wir ein sehr gutes Ergebnis erzielt“, sagt Sturm. Konkret: mehr Geld für Eltern, weniger Abzüge für Ältere.

In der Woche des Kahlschlags organisierte das Gremium ein Betriebsratscafé. Bei Keksen und Taschentüchern hörten sie zu: den Betroffenen, die gehen mussten. Und denen, die bleiben durften, deren Nachbartisch aber am nächsten Morgen leer bleiben würde. „Ich spreche immer von der Hubergroup-Familie“, sagt die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Daniela Weberstetter, von allen Dany genannt. „Die Kolleginnen und Kollegen sind ein Traum. Es gibt viele Freundschaften. Die Entlassungswelle war deswegen für alle ein Schock.“

Ich wollte mehr erfahren, mitreden und mitbestimmen.

Daniela Weberstetter,
stellvertretende Betriebsratsvorsitzende

Psychische Belastungen nehmen zu

Daniela Weberstetter hat ihr gesamtes bisheriges Berufsleben bei der Hubergroup verbracht. Erst als Praktikantin, später als Auszubildende, mittlerweile als Leiterin eines kleinen Laborteams. Seit 2021 sitzt sie im Betriebsrat. „Ich wollte mehr erfahren, mitreden und mitbestimmen“, sagt die 48-Jährige.

Für die Belegschaft kümmert sich Weberstetter um kleine Zeichen der Wertschätzung: Das zweimal im Jahr stattfindende Betriebsratsfrühstück unterstützt sie nach Kräften, ebenso eine Grillaktion an einem Wagen der IGBCE, um mit Kolleginnen und Kollegen in netter Atmosphäre in den Austausch zu kommen. In den Toilettenräumen finden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kostenlose Pflaster, Erfrischungssprays und Einwegzahnbürsten.

Ihr neues Vorhaben: die Beurteilung für psychische Gefährdungen überarbeiten. In Deutschland ist die Zahl an Krankschreibungen aufgrund psychischer Probleme in den letzten Jahren gestiegen. Das schlägt sich auch bei der Hubergroup nieder. Zugleich steigt in dem Unternehmen die Belastung wegen häufiger Dienstreisen, weil ein Großteil der Produktion nun in Polen und Indien stattfindet.

Behandelt werden diese Themen im Arbeitsschutzausschuss, intern ASA genannt. Das Gremium setzt sich zusammen aus Management, Betriebsrat und Sicherheitsfachkräften. „Im ASA können wir Themen platzieren, um die sich der Arbeitgeber dann laut Gesetz kümmern muss“, sagt die Vorsitzende Sturm.

Generell sei die Mitbestimmung des Betriebsrates am einfachsten, wenn sie mit Paragrafen unterlegt ist – egal, ob es sich um Neueinstellungen, Pausenregelungen oder Tarifverträge handelt. „Bei allen anderen Themen versuchen wir, den Keil irgendwie hineinzukriegen. Der Arbeitgeber möchte so wenig und so spät wie möglich informieren. Wir wollen genau das Gegenteil. Darin liegt das Spannungsfeld.“

Die Ingenieurin Sturm startete als Entwicklerin bei der Hubergroup. Seit 2021 ist sie Vorsitzende des Betriebsrates und als einzige freigestellt. Beim Blick auf ihre Vergangenheit eine fast zwangsläufige Laufbahn: Ihr Vater war stellvertretender Vorsitzender eines Betriebsrates und als Drucker in einer hochorganisierten Branche tätig. Schon als Kind ging Sturm mit auf Demos der IGBCE.

Beide Welten – die der Gewerkschafterin und die der Akademikerin – verbindet sie in ihrem Engagement für außertarifliche Kolleginnen und Kollegen. Sie möchte für sie eine Betriebsvereinbarung mit klaren Verdienstregeln durchsetzen. Verhandlungen mit der Unternehmensleitung dazu laufen. Weiter fortgeschritten ist eine Vereinbarung für die IT. „Mittlerweile können viele mit künstlicher Intelligenz eigene Software entwickeln und einsetzen. Wir müssen das in geregelte Bahnen kriegen“, sagt Sturm.

Alle Neune: der Betriebsrat des Druckfarbenherstellers Hubergroup.

Wahl des neuen Betriebsrates

Gegenüber dem Besprechungsraum Bolzano Vicentino liegt das Betriebsratsbüro von Sturm und Weberstetter. Sie stellen auf einen kleinen, runden Tisch eine Holzkiste mit goldenem Schlüsselloch und einen grauen Kasten mit Vorhängeschloss. Die Urnen für die Betriebsratswahlen im kommenden Jahr. Sie finden deutschlandweit in allen mitbestimmungspflichtigen Unternehmen vom 1. März bis zum 31. Mai statt.

In Kirchheim wird dafür in den kommenden Wochen aus dem Betriebsrat heraus ein Wahlausschuss bestimmt. Er leitet die Vorbereitungen. Das betrifft vor allem die Einhaltung von gesetzlichen Fristen: Wann muss die Belegschaft über den Wahltermin informiert werden? Bis wann müssen die Listen mit den Kandidatinnen und Kandidaten veröffentlicht sein? Wie lange dürfen Stimmzettel abgegeben werden? Damit nichts schiefläuft, unterstützt die IGBCE mit Schulungen, Leitfäden und rechtlicher Beratung. „Ohne diese Hilfe würde es nicht funktionieren“, sagt Weberstetter.

Wer macht mit im Ehrenamt?

Daneben läuft die Suche nach geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten. Denn auch wenn der kommende Betriebsrat aufgrund des Personalabbaus nur noch sieben statt neun Sitze umfasst, bleibt ein voll besetztes Gremium plus Ersatzmitglieder eine Herausforderung. Einige Mitglieder haben bereits angekündigt, nicht mehr kandidieren zu wollen. „Betriebsratsarbeit ist ein Ehrenamt“, sagt Sturm. Es muss neben Familie und Beruf Platz finden. Gerade für Jüngere sei das eine Herausforderung.

Auszubildende und junge Erwachsene sind im jetzigen Betriebsrat nicht vertreten. Das muss sich ändern, findet Sturm. „Ich kann ihre Interessen gar nicht vollumfänglich vertreten. Dafür sind die Lebensrealitäten zu verschieden.“ Die Vorsitzende geht im Moment von Abteilung zu Abteilung und spricht jüngere Kolleginnen und Kollegen direkt an. „Das bringt am meisten. Man muss den Leuten persönlich aufzeigen, was sie in dem Amt bewegen können und dass sie dafür geeignet sind.“

Lohnenswert ist das Engagement in jedem Fall: Nach neun Generationen in Familienhand übernahm in diesem Jahr ein Konsortium aus Indien und den USA die Hubergroup. Die neuen Eigentümer haben ehrgeizige Pläne und wollen das Unternehmen zu einem Chemiekonzern weiterentwickeln. Investitionen sind geplant, die Belegschaft ist wieder zuversichtlich. Der Betriebsrat darf diese positive Zukunft entscheidend mitprägen.