Verantwortung übernehmen
Laborbetriebe und kleinere pharmazeutische Unternehmen waren bisher selten in der IGBCE organisiert. Im Bezirk Schleswig-Holstein ändert sich das: Hier gründen zumeist jüngere Kolleginnen neue Betriebsräte.
Foto : Noor Al Jammali
3 Fragen an …
Petra Adolph
Die stellvertretende Landesbezirksleiterin über Branchen und Mitgliedergruppen.
Wie verändern sich die Branchen der IGBCE und was bedeutet das für die Mitgliederstruktur?
Unsere Mitgliederstruktur ändert sich permanent. Gut organisierte Branchen brechen weg, neue kommen hinzu. Das hat Auswirkungen auf unsere Arbeit, unsere Angebote und auf die Ansprache neuer Mitglieder. Mit einem besonderen Angebot für kaufmännische, akademische und außertarifliche Angestellte haben wir zum Beispiel Beschäftigtengruppen in den Fokus genommen, die uns traditionell nicht so nahestehen. Dass sich hier jetzt auch verstärkt Frauen engagieren, freut mich sehr und ist mir persönlich ein großes Anliegen.
Wie werden neue Branchen erschlossen?
Mit den Fachsekretärinnen und -sekretären für Mitgliederstärke haben wir Kolleginnen und Kollegen, die sich genau dieser bisher unerschlossenen Bereiche annehmen. Sie fokussieren sich auf die Ansprache und die Unterstützung interessierter Beschäftigter bei der Einführung und die Etablierung von Mitbestimmungsstrukturen. Gerade das Gründen neuer Betriebsräte ist ein hochsensibler Bereich, da kann viel schiefgehen. Umso wichtiger ist es, diese Prozesse eng zu begleiten und den noch unsicheren Kandidatinnen und Kandidaten beizustehen.
Mit Blick auf den Gewerkschaftskongress im Oktober: Wie wird sich diese Entwicklung auf die Ausrichtung der IGBCE auswirken?
Neue Engagierte bringen immer auch neue Themen mit. Darauf muss sich eine Mitgliederorganisation immer einstellen, und das können wir auch. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich die IGBCE im Oktober zukunftsgerichtet und modern präsentieren wird.

Arbeitnehmendenvertretung von Richter-Helm Biologics.
Foto: privat
Ungeregelte Arbeitszeiten, Überstunden als Normalfall: Vor drei Jahren beschlich Christine Peters erstmals das Gefühl, dass beim Kieler Labordienstleister Agrolab Umwelt „irgendetwas schiefläuft“. Als eine neue Kollegin das Wort „Betriebsrat“ erstmals laut aussprach, war Christine Peters’ Interesse geweckt. Mit weiteren Interessierten verabredeten sie ein konspiratives Treffen mit ihrem IGBCE-Gewerkschaftssekretär. „Seine Begeisterung für Mitbestimmung, Gerechtigkeit und Solidarität hat uns sofort angesteckt“, erzählt Peters. Die Entscheidung stand fest: Ein Betriebsrat musste her!
Im Herbst 2023 wählten rund 205 Beschäftigte ihre erste Interessenvertretung. Christine Peters übernahm den Vorsitz. „Mir war klar, dass ich Verantwortung übernehmen will“, sagte sie – trotz anfänglicher Unsicherheit. Schulungen brachten Klarheit, eine erste Betriebsvereinbarung zum Thema Arbeitszeit wird aktuell verhandelt: „Wir wollen endlich Ordnung in problematische Abläufe bringen.“
Wir wollen eine Tarifbewegung anstoßen.
Eckehard Sieg,
IGBCE-Gewerkschaftssekretär
Die gelebte Mitbestimmung strahlt aus: Auch beim Schwesterunternehmen Agrolab Lufa mit 270 Beschäftigten wurde im Juni der erste Betriebsrat gegründet – auf Initiative engagierter Kolleginnen um die 29-jährige Svenja Priewe. Ihr zuständiger Gewerkschaftssekretär Eckehard Sieg plant nun im kommenden Jahr den nächsten Schritt: „Wir wollen eine Tarifbewegung anstoßen.“
Im Bezirk Schleswig-Holstein ist der Anteil weiblicher Mitglieder in den vergangenen vier Jahren um rund dreißig Prozent gestiegen. Das liegt auch daran, dass im Rahmen eines bereits abgeschlossenen Projekts die Betriebserschließungen in Laborbetrieben und bei Pharma-Lohnherstellern intensiviert werden konnten. Da in diesem Bereich überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind, geht hier die Initiative zu Betriebsratsgründungen zunehmend von engagierten, jüngeren Frauen aus, berichtet Eckehard Sieg. „Sie sehen die Verantwortung und übernehmen sie.“
Beim Labordienstleister für klinische Studien GBA CLS wird die Mitbestimmung ebenfalls maßgeblich von Frauen getragen. Zwei Entlassungswellen innerhalb der gut hundertköpfigen Belegschaft musste der seit sechs Jahren bestehende Betriebsrat seit August 2024 abfedern. „Wir haben für jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen gekämpft und mit Unterstützung der IGBCE einen individuell angepassten Widerspruch geschrieben“, erzählt Betriebsrätin und Mitinitiatorin Ilona Kleeberg. Mit Erfolg: Zwei Kündigungen wurden rückgängig gemacht. Den Austausch mit anderen Ehrenamtlichen beim Kieler Betriebsrätestammtisch der IGBCE empfindet das Gremium dabei als große Hilfe.
Auch der Betriebsrat des Pharma-Lohnherstellers Richter-Helm Biologics arbeitet in einem herausfordernden Umfeld. Gegründet wurde er 2022 inmitten eines rasanten Wachstums – die anfängliche Belegschaft verdoppelte sich auf knapp 250. „Damit änderten sich auch die Strukturen“, berichtet Anna Christophersen, Mitbegründerin und heutige Vorsitzende.
Mit einem Betriebsrat ist das Management gezwungen, diese Ressource zu nutzen.
Anna Christophersen,
Betriebsratsvorsitzende bei Richter-Helm Biologics
Aktuell begleitet das Gremium die Inbetriebnahme einer neuen Produktionshalle und die Umstellung der Produktion – und verhandelt mit dem Arbeitgeber über eine Betriebsvereinbarung zur Schichtarbeit. Während das Verhältnis der Geschäftsführung anfangs von Misstrauen und Angst gegenüber dem Gremium geprägt war, werde allmählich der Nutzen erkannt, erzählt die 29-Jährige. „Wenn der Betriebsrat als Sprachrohr der Belegschaft rechtzeitig in Entscheidungen einbezogen wird, wird die Umsetzung in der Praxis besser gelingen“, ist sie überzeugt. „Mit einem Betriebsrat ist das Management gezwungen, diese Ressource zu nutzen.“