Arbeit & Gesellschaft

Hintergrundstory

Illustration: Jindrich Novotny | publish!

Unklarer Ausblick

Text Inken Hägermann

Zurzeit wieder im Zentrum der gesellschaftlichen Diskussion: das deutsche Rentensystem. Was sich dort jetzt tun muss und wie die IGBCE-Mitglieder für ihren Lebensabend vorsorgen.

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der IGBCE-Mitglieder würden den Satz „Die Rente ist sicher!“ heute „auf keinen Fall“ oder „eher nicht“ unterschreiben.

Es gibt so Sätze, an denen wird man für den Rest seines Lebens gemessen. Nun ist Norbert Blüm bereits seit mehr als fünf Jahren tot, er wird sich dem Realitätscheck nicht mehr stellen müssen. Aber der von dem früheren CDU-Arbeitsminister geprägte Satz „Die Rente ist sicher“ kann wohl als eines der bekanntesten und bis heute umstrittensten Zitate eines bundesdeutschen Politikers gelten. 1986 im Wahlkampf äußerte er dieses Versprechen, das auch bundesweit plakatiert wurde als Antwort auf das schon damals große Misstrauen, ob das deutsche Rentensystem zukunftsfest ist. Bis heute hat sich dieser Zweifel sogar verstärkt, denn die demografischen Herausforderungen sind noch gewachsen: Immer mehr Rentnerinnen und Rentnern stehen immer weniger Beschäftigte gegenüber. Und in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren werden geschätzt mindestens sieben Millionen Beschäftigte, die sogenannten Babyboomer, aus dem Arbeitsleben ausscheiden.

Auch in den Branchen der IGBCE werden Zehntausende in den kommenden Jahren in Rente gehen. Während in den frühen 1960er-Jahren noch sechs Beschäftigte auf einen Rentner kamen, sind es aktuell noch knapp zwei Beitragszahlerinnen und -zahler pro verrenteter Person, 2030 dürfte das Verhältnis bei 1,5 zu 1 stehen. Wie soll das also realistisch funktionieren mit der Finanzierung der Rente?

Regelrenteneintritt

Wie sieht es mit deiner persönlichen Lebensplanung aus? Hast du vor, bis zum Erreichen deines regulären Renteneintrittsalters zu arbeiten?

Rentenniveau

Glaubst du, dass deine eigene gesetzliche Rente im Ruhestand ausreichen wird, deinen Lebensstandard zu halten?

Quelle: IGBCE

Vorschläge zur Absicherung der gesetzlichen Rente

Kein Wunder, dass derzeit viele sinnige wie auch unsinnige Vorschläge kursieren, wie die Rente generationengerecht, auskömmlich und sicherer gemacht werden könnte. Die Regierung hat sich mit einem Rentenpaket nach vorn gewagt, liebäugelt unter anderem mit einem flexibleren, höheren Renteneintrittsalter oder der Aktivrente, bei der Rentnerinnen und Rentner bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen könnten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat einen „Boomer-Soli“ in die Diskussion geworfen, bei dem Personen mit hohen Alterseinkünften (inklusive Kapitaleinkünfte oder Betriebsrenten) eine Sonderabgabe von zehn Prozent zahlen sollen.

Die IGBCE-Mitglieder sind besorgt angesichts der Entwicklung. Vier von fünf Befragten erklärten in der jüngsten Umfrage in der „Meine IGBCE“-App, dass sie Blüms Satz von der sicheren Rente heute nicht mehr unterschreiben würden. Erschreckende 83 Prozent glauben, dass ihre gesetzliche Rente nicht ausreichen wird, um ihren Lebensstandard zu halten. „Das ist ein alarmierendes Signal – nicht nur an die Politik, sondern an uns alle“, sagt dazu Birgit Biermann, stellvertretende Vorsitzende der IGBCE und zuständig für den Bereich Sozialpolitik. „Das Vertrauen in die gesetzliche Rente ist massiv erschüttert. Das hat und muss unsere volle Aufmerksamkeit haben.“

An der Rentenumfrage in der „Meine IGBCE-App, die von Anfang Juni bis Anfang Juli lief, haben sich mehr als 4.600 IGBCE-Mitglieder beteiligt. Und für diese ist das Thema Rente ein zentrales: Fast 82 Prozent gaben an, dass sie sich „sehr intensiv“ oder „ausreichend“ mit ihrer finanziellen Zukunft im Ruhestand beschäftigen.

Die IGBCE hat fast flächendeckend in ihren Branchen tarifliche Lösungen für betriebliche Altersvorsorge gestaltet.

der Befragten setzen neben der Rente bei ihrer Altersvorsorge auf die tariflich bezuschusste betriebliche Altersvorsorge.

Betriebliche Altersvorsorge soll gestärkt werden

Immerhin gibt es auch gute Nachrichten, zumindest für die Beschäftigten in den IGBCE-Branchen. Rund 80 Prozent der Befragten gaben an, dass sie zusätzlich zur gesetzlichen Rente mit einer betrieblichen Altersvorsorge planen – ein Erfolg, der ohne starke IGBCE-Tarifverträge und engagierte Betriebsräte beziehungsweise Tarifkommissionsmitglieder nicht möglich wäre. Denn die IGBCE hat fast flächendeckend in ihren Branchen tarifliche Lösungen für betriebliche Altersvorsorge gestaltet (siehe Artikel Betriebsrente). Diese „zweite Säule“ will Schwarz-Rot nun weiter stärken und vor allem für Beschäftigte mit niedrigem Einkommen steuerlich fördern.

Fast jedes zweite IGBCE-Mitglied setzt bei der Vorsorge außerdem auf Kapitalanlagen und Immobilien (Mehrfachantworten waren möglich) als Ergänzung zur gesetzlichen Rente. Auch private Rentenversicherungen (29 Prozent) und Riester-Renten (24 Prozent) spielen bei einem nicht unerheblichen Teil der Befragten eine Rolle bei der finanziellen Planung des Ruhestands. Lediglich vier Prozent der Befragten gaben an, dass sie keine weiteren Bausteine zur Altersvorsorge vorgesehen haben.

„Die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule ist unverzichtbar und muss weiter gestärkt, tariflich abgesichert und für alle Beschäftigten zugänglich gemacht werden. Im Gegensatz zur privaten Altersvorsorge wird hier auch der Arbeitgeber in die Verantwortung genommen“, unterstreicht Biermann.

Über diese Forderung werden auch die Delegierten beim Gewerkschaftskongress der IGBCE im Oktober abstimmen, der Hauptvorstand hat einen Antrag zur Alterssicherungspolitik eingebracht, in dem unter anderem eine Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge angestrebt wird. Die IGBCE verfolgt die Möglichkeit der tariflichen Sozialpartnermodelle bereits seit Jahren. Nun ist es laut Antrag für eine weitere Verbreitung wichtig, dass Tarifvertragsparteien ermöglicht wird, sich einem bestehende Sozialpartnermodell anzuschließen, um den Kreis potenzieller Bezieherinnen und Bezieher zu erweitern natürlich auch außerhalb der IGBCE-Branchen.

Als wichtigen Beitrag zur Generationengerechtigkeit sieht die IGBCE die langfristige Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent als absolute Untergrenze und eine perspektivische Anhebung auf mindestens 50 Prozent, auch diese Forderung ist im Antrag zur Alterssicherungspolitik Thema auf dem Kongress.

Foto: Kai-Uwe Knoth

Wer heute jung ist, braucht auch in 20 oder 30 Jahren eine verlässliche Perspektive.

Birgit Biermann,
stellvertretende Vorsitzende der IGBCE

Rentenniveau stabil halten

Die schwarz-rote Bundesregierung hat mit ihrem neuen Rentenpaket bereits angekündigt, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu stabilisieren. „Das ist ein guter Schritt in die richtige Richtung aber kein nachhaltiger“, konstatiert Biermann. „Wer heute jung ist, braucht auch in 20 oder 30 Jahren eine verlässliche Perspektive. Eine zeitlich befristete Sicherung reicht nicht aus, um das Vertrauen in die gesetzliche Rente langfristig wiederherzustellen.“ Das widerspreche auch nicht dem Gedanken der Generationengerechtigkeit. „In der politischen Debatte um die Rente wird häufig behauptet, eine Stabilisierung oder gar Erhöhung des Rentenniveaus gehe zulasten der jungen Generation“, so Biermann. „Wir sehen das entschieden anders. Wer heute das Rentenniveau stärkt, sorgt für stabile Renten auch in Zukunft – das ist keine Belastung, sondern ein Beitrag zu echter Generationengerechtigkeit.“

Was aktuell viel mehr fehle, sei eine klare Vision für ein solidarisches Rentensystem, das alle Bürgerinnen und Bürger, auch Selbstständige sowie Beamtinnen und Beamte, mit Beiträgen finanzieren, sagte Biermann. Das fordern auch die IGBCE-Mitglieder mit einer überwältigenden Mehrheit: Ungefähr neun von zehn Befragten sprachen sich in der App-Umfrage für ein Rentensystem aus, in das auch Beamtinnen, Beamte und Selbstständige einzahlen. Allerdings hielten mehr als zwei Drittel (70 Prozent) den Vorschlag für „eher“ oder „sehr unrealistisch“. „Die Bundesregierung bleibt bei dem Punkt vage“, kritisiert Biermann und mahnt: „Auch die geplante Rentenkommission darf kein Feigenblatt sein, sondern muss konkrete Reformvorschläge liefern, die das System zukunftsfest machen.“

Sicherung Rentenniveau

Was sollte aus deiner Sicht getan werden, um das gesetzliche Rentenniveau für die kommenden Jahrzehnte zu sichern?

Flexible Übergänge in die Rente ermöglichen

Die Bundesregierung sei jetzt gefordert, erklärte die Vizevorsitzende der IGBCE: „Das Rentenpaket darf kein Reförmchen bleiben. Wir brauchen eine echte Stärkung der gesetzlichen Rente, ein dauerhaft stabiles Rentenniveau, eine gerechte Finanzierung und eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Alterssicherung. Unsere Mitglieder haben ihre Stimme erhoben jetzt muss die Politik zuhören.“

Die Bundesregierung strebt unter anderem auch eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters an – natürlich nur nach oben. „Ein höheres Renteneintrittsalter ist keine Lösung. Viele Beschäftigte in unseren Branchen – insbesondere in körperlich und psychisch belastenden Tätigkeiten schaffen es schon heute kaum bis zur Regelaltersgrenze“, erklärt Biermann.

Auch das deckt sich mit den Ergebnissen der IGBCE-Umfrage: Lediglich ein knappes Drittel der Befragten geht davon aus, dass es den aktuellen Job bis zum Erreichen des regulären Renteneintrittsalters „voll und ganz“ oder „eher ja“ ausüben könnte. Knapp 35 Prozent sagt hingegen, dass sie es sowohl körperlich als auch psychisch „eher nicht“ oder „auf keinen Fall“ schaffen würden. „Das ist ein deutliches Warnsignal. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, mehr Prävention und flexible Übergänge in den Ruhestand – ohne existenzielle Abschläge“, sagt die stellvertretende IGBCE-Vorsitzende. „Deshalb setzen wir uns für gesunde und flexible Übergänge in die Rente ein. Dazu gehören ein verpflichtender Gesundheitscheck ab 45 Jahren, höhere Arbeitgeberbeiträge für besonders belastete Berufsgruppen, eine Teilrente ab 60 sowie eine abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren unabhängig vom Alter.“ Über diese Forderungen im Antrag zur Alterssicherungspolitik werden auch die Delegierten auf dem IGBCE-Kongress abstimmen.

Klar ist: Auch die persönliche Planung der Beschäftigten geht eher in diese Richtung. Rund 60 Prozent der Befragten wollen vor dem Erreichen des regulären Eintrittsalters aus dem Arbeitsleben austreten, am liebsten im Alter von 63 bis 65 Jahren (42 Prozent), gefolgt von der Altersspanne 60 bis 63 Jahren (34 Prozent). Die aktuellen Abschläge bei einem vorzeitigen Renteneintritt sind allerdings beileibe nicht für alle zu stemmen: Knapp 39 Prozent der Befragten gaben an, sie würden Abschläge in Kauf nehmen. Aber rund 42 Prozent erklärten, das könnten sie sich nicht leisten.