Losung? Safety first!
Wie stellt sich die IGBCE auf in unsicheren Zeiten? Was muss sie tun, um auch künftig die Interessen ihrer Mitglieder wirkungsvoll zu vertreten? Um Antworten zu finden, hat deine Gewerkschaft einen umfassenden Strategieprozess gestartet. Sie will genau hinhören, was den Mitgliedern wichtig ist. So viel ist schon klar: Sicherheit steht im Vordergrund.
Artikel vorlesen lassen
Der Blick in die Zukunft fällt alles andere als rosig aus. Eine deutliche Mehrheit der IGBCE-Mitglieder, die sich an der letzten Umfrage in der „Meine IGBCE“-App beteiligt haben, rechnet damit, dass sich die persönliche wirtschaftliche Situation in den kommenden fünf Jahren verschlechtern wird. Noch kritischer fällt die Einschätzung zur Entwicklung des Industriestandortes Deutschland aus: Vier von fünf Befragten glauben, dass der Standort Deutschland bis 2029 im internationalen Vergleich an Bedeutung verlieren wird (siehe Infografik).
Tatsächlich haben sich die wirtschaftlichen und die politischen Herausforderungen in den zurückliegenden Jahren deutlich verschärft: Corona, Ukraine-Krieg, Transformationslasten, hohe Energiepreise, belastende Regulatorik, Fachkräftemangel, schwache Weltmärkte, Druck aus China und Russland, zudem drohen nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten neue Zölle auf deutsche Produkte. Ach ja, die deutsche Ampelregierung ist nebenbei auch noch zerbröselt. Eine multiple Krisenlage hat sich da aufgetürmt, die die deutsche Industrie massiv belastet. Vor allem die energieintensiven Branchen aus dem Wirkungsbereich der IGBCE haben schwer bei den derzeitigen Bedingungen zu tragen.
Persönliche wirtschaftliche Situation
Wie schätzt du die wirtschaftliche Situation für dich persönlich und dein privates Umfeld im Jahr 2029 im Vergleich zu heute ein?
Industriestandort Deutschland
Wie steht Deutschland als Industriestandort deiner Meinung nach in fünf Jahren im internationalen Vergleich da?
Strategieprozess hat begonnen
Wie stellt sich die IGBCE angesichts der dynamischen Entwicklungen in Arbeitswelt, Gesellschaft und Politik auf, um auch künftig die Interessen ihrer Mitglieder wirkungsvoll und stark vertreten zu können? Welche Antworten hat die Gewerkschaft auf die großen Herausforderungen der Zukunft? Um diese Fragen zu beantworten, hat die IGBCE den inhaltlich-programmatischen Strategieprozess „KLAR – Klar für die Zukunft“ gestartet. Hintergrund sind dabei nicht nur die aktuell angespannte Situation, sondern auch der achte Ordentliche Gewerkschaftskongress der IGBCE, der im Oktober 2025 stattfinden wird. Der Kongress, bei dem alle vier Jahre Hunderte Delegierte aus den Reihen der IGBCE zusammenkommen, ist die zentrale Veranstaltung für die Gewerkschaft. Hier werden die langfristigen inhaltlichen sowie strategischen Leitplanken der Organisation für die kommenden Jahre festgezurrt.
Begonnen hat der inhaltliche Findungsprozess auf dem Weg zum Kongress bereits in diesem Herbst mit regionalen Auftaktveranstaltungen in den Landesbezirken mit Ehrenamtlichen und Aktiven aus den Reihen der IGBCE sowie einer App-Umfrage in der Mitgliedschaft. Fast 4.600 IGBCE-Mitglieder haben sich an dieser Befragung beteiligt, die Ergebnisse sind valide für die Gesamtmitgliedschaft. Der Blick der Menschen auf die kommenden Jahre ist skeptisch: 83 Prozent der Befragten glauben, dass es um gesellschaftlichen Wohlstand und Frieden in Deutschland in fünf Jahren schlechter bestellt sein wird als heute. 69 Prozent gehen davon aus, dass der Anteil der Industrie an der Wertschöpfung sinken wird.
IGBCE der Zukunft
Die IGBCE befindet sich in einer Transformation. Wie sollte sie in fünf Jahren aufgestellt sein? (Rangfolge der Antworten)
Zentrale Themen Tarifpolitik
Was sollten künftig aus deiner Sicht die zentralen Themen der Tarifpolitik sein? (Rangfolge der Antworten)
Kritisch bewerten die Befragten auch, wie Deutschland bei der Modernisierung der Infrastruktur und der klimaneutralen Transformation vorankommen wird: 68 Prozent der Mitglieder bezweifeln, dass der Standort Deutschland in den nächsten fünf Jahren sowohl klimagerecht transformiert als auch modernisiert sein wird. Dabei ist 70 Prozent der Befragten die Integration von Nachhaltigkeitsaspekten in die Unternehmenspolitik wichtig. 66 Prozent glauben nicht, dass Deutschland in fünf Jahren deutliche Fortschritte bei der Infrastruktur erzielen wird.
Auch zu ihren Erwartungen an die künftige Ausrichtung der IGBCE wurden die Mitglieder befragt. 78 Prozent sehen soziale Themen wie Verteilungsgerechtigkeit künftig als wichtig an. 83 Prozent rechnen mit konfliktträchtigeren Tarifverhandlungen. Die drei wichtigsten Themen bei künftigen Tarifrunden sehen die Befragten beim Entgelt (41,5 Prozent), bei der Standortsicherheit (30 Prozent) sowie Tarifvorteilen für Gewerkschaftsmitglieder (27 Prozent). Bei der Frage, in welchen Bereichen sich die IGBCE jenseits der Tarifpolitik stärker engagieren sollte, steht „im Betrieb“ an erster Stelle, gefolgt von Industrie-, Wirtschafts- und Arbeitspolitik. Die Mitglieder wünschen sich, dass ihre IGBCE bis zum Ende des Jahrzehnts einflussreicher, persönlicher und kompromissloser wird.
Es geht darum, in unsicheren Zeiten maximalen Schutz für unsere Mitglieder zu organisieren.
Michael Vassiliadis,
IGBCE-Vorsitzender
„TÜV“ für die IGBCE
Die Ergebnisse dieser App-Umfrage liefern ein klares Stimmungsbild der Mitgliedschaft – sie werden ebenso wie die Debatten und Themen bei den regionalen Auftaktveranstaltungen aufgegriffen im Strategieprozess der Organisation. Um den Findungsprozess noch breiter aufzustellen, hatte die IGBCE Ende November die digitale Zukunftswerkstatt organisiert, zu der alle Ehrenamtlichen der IGBCE wie Betriebsratsmitglieder oder Vertrauensleute eingeladen waren. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich während der Werkstattgespräche über Reaction-Links und Wortwolken beteiligen.
Zum Auftakt der Zukunftswerkstatt, an der sich der gesamte geschäftsführende Hauptvorstand der IGBCE (gHV) beteiligte, ordnete der Vorsitzende Michael Vassiliadis die aktuelle Lage und die künftigen Herausforderungen ein. Er stellte die Themenfelder heraus, die im Zentrum des Strategieprozesses stehen: die Transformation der Industrie, eine starke Sozial- und Tarifpolitik sowie eine zukunftsorientierte Unternehmens- und Betriebspolitik. Die Frage, die dabei über allem stehe, laute: „Was macht uns in dieser schnelllebigen, modernen Welt zu einer guten und starken Gewerkschaft?“ Die Zukunftswerkstatt sei dabei eine „Art TÜV“ für die IGBCE – zum einen handele es sich um eine Bestandsaufnahme, wo man stehe, zum anderen drehe es sich um die Frage: „Wo wollen, wo müssen wir hin als moderne und leistungsfähige Organisation?“ Denn es gehe jetzt darum, „in unsicheren Zeiten maximalen Schutz für unsere Mitglieder zu organisieren“.
Eveline Engel, Betriebsrätin am Bayer-Standort Bergkamen, betonte, dass es innovative Ansätze brauche, um die Transformation aktiv zu begleiten – gerade beim Thema Weiterbildung und Qualifizierung böten sich da für Betriebsräte Möglichkeiten. Auch die Zuschauerinnen und Zuschauer an den Bildschirmen konnten bei Frageblöcken über Reaction-Links ihre Meinungen teilen. Das Ergebnis: Als wichtigste Rahmenbedingungen für eine gelungene Transformation nannten sie Investitionen in die Infrastruktur (38 Prozent) und Transformationshilfen für Unternehmen (22 Prozent). Priorität hatten für sie neue zukunftssichere Jobs (42 Prozent) sowie wettbewerbsfähige Standorte (37 Prozent). Als Punkte, die die IGBCE am dringlichsten durchsetzen sollte, um Jobs zu sichern, wurden am häufigsten „sicherere und faire Arbeitsbedingungen“ (33 Prozent) und „stärkere Mitbestimmungsmöglichkeiten“ (22 Prozent) genannt. Diese Ergebnisse bestätigen die Tendenz der App-Umfrage: Die IGBCE-Mitglieder wünschen sich „Safety first“ von ihrer Gewerkschaft.
IGBCE-Vorstand tritt erneut an
Kontinuität ist Trumpf: Der Hauptvorstand der IGBCE hat Anfang November einstimmig den aktuellen geschäftsführenden Hauptvorstand (gHV) zur Wiederwahl beim achten Ordentlichen Gewerkschaftskongress im Herbst 2025 nominiert. Das Führungsteam Michael Vassiliadis (Vorsitzender, 60), Birgit Biermann (stellvertretende Vorsitzende, 50), Francesco Grioli (52), Oliver Heinrich (47) und Alexander Bercht (45) bewirbt sich damit geschlossen für eine weitere Amtszeit.
Zudem beschloss das Gremium, dass zum 1. Januar 2026 die Landesbezirke Nordrhein und Westfalen zu einem Landesbezirk fusionieren sollen.
Härtere Tarifrunden erwartet
Im zweiten Werkstattgespräch ging es um die Themenfelder Sozial- und Tarifpolitik. Der zuständige IGBCE-Vorstand Oliver Heinrich wies darauf hin, dass auch in der Tarifpolitik künftig mit härteren Auseinandersetzungen zu rechnen sei. Die Prioritäten in dem Bereich sahen die Ehrenamtlichen an den Bildschirmen klar in der Absicherung gegen Arbeitsplatzverluste und Krisen (41 Prozent) sowie bei höheren Löhnen (31 Prozent). Ganze 83 Prozent erklärten, dass sie Tarifverträge als wichtiges Instrument der sozialen Absicherung sehen würden. Bei der Sozialpolitik wünschten sich die Zuschauerinnen und Zuschauer ein besonders starkes Engagement der IGBCE in den Themenfeldern Renten und Altersvorsorge (43 Prozent) sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf (31 Prozent).
Die IGBCE-Vizevorsitzende Birgit Biermann analysierte, es gebe einen klaren Zusammenhang zwischen Tarifverträgen und Alterssicherung: „Höhere Löhne spielen eine wichtige Rolle für auskömmliche Renten.“
Natalie Mühlenfeld, Vorstandssekretärin bei der IGBCE und verantwortlich für die Gestaltung des Strategieprozesses, zeigte sich nach der Veranstaltung zufrieden: „Die Zukunftswerkstatt war ein wichtiger Meilenstein in unserem Strategieprozess ‚KLAR – Klar für die Zukunft‘ und zugleich das erste Mal, dass wir dieses Format genutzt haben. Dabei konnten wir viele wertvolle Impulse und Perspektiven zusammenführen, die nun die Grundlage für unsere nächsten Schritte bilden. Die Veranstaltung hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, gemeinsam voranzugehen – mit Klarheit, Zuversicht und Entschlossenheit.“ Die Erkenntnisse der Zukunftswerkstatt werden mit den Diskussionen und den Debattenbeiträgen aus den regionalen Veranstaltungen sowie den Ergebnissen aus der App-Umfrage unter den IGBCE-Mitgliedern zusammengeführt und mit Blick auf den achten Ordentlichen Gewerkschaftskongress vom 19. bis zum 24. Oktober 2025 ausgewertet. Bei den ab Januar stattfindenden Bezirksdelegiertenkonferenzen sowie den im Mai geplanten Landesbezirksdelegiertenkonferenzen werden die gewonnenen Erkenntnisse über Prioritäten und Ansprüche der Mitglieder erneut diskutiert und schließlich in inhaltliche Anträge übersetzt. Zudem werden auf Landesbezirksebene die Delegierten für den Kongress ausgewählt. Diese werden über die Anträge abstimmen – und damit über den weiteren Weg der IGBCE in den kommenden Jahren.
Weg zum Kongress